Peter Altmaier - Der Staatswirtschaftsminister

Das Amt des Wirtschaftsministers hätte für Peter Altmaier zur Krönung seiner politischen Karriere werden sollen. Doch plötzlich hagelt es Kritik von allen Seiten

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Ist Peter Altmaier eine „Fehlbesetzung“ im Amt des Wirtschaftsministers? / picture alliance
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Fiona Weber-Steinhaus ist freie Journalistin und lebt in Hamburg

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Im Ludwig-Erhard-Saal des Wirtschaftsministeriums in Berlin gibt es hohen Besuch. Der Astronaut Alexander Gerst steht auf einer Empore, erzählt von seinen 197 Tagen im All, von seinen Träumen, vom Alltag auf der ISS, Zuversicht und Zukunft. Eine Ministeriumsmitarbeiterin blickt verstohlen nach hinten. Dort sitzt der Chef des Hauses, Peter Altmaier. Dieser hat die Beine ausgestreckt, die Hände über seiner violetten Krawatte gefaltet, sein Kopf neigt sich nach vorne. Sie tippt den Mann neben sich an. „Guck mal“, flüstert sie. „Der Altmaier schläft.“

Es ist nur ein kurzes Nickerchen, ein Powernap in den womöglich anstrengendsten Wochen des CDU-Wirtschaftsministers. Am Montag muss Peter Altmaier seine Industriepolitik verteidigen. Am Dienstag muss er Kritiker wie die Familienunternehmer bei Riesling und Hühnchen besänftigen. Am Freitag seine Mutter beerdigen. Zwischendurch versucht er, die strategischen Weichen für seine weitere Amtszeit zu stellen. Bislang scheint seine Strategie zu sein: weiterhin nach außen so zu tun, als sei alles in bester Ordnung.

Dabei ist nichts in Ordnung. Nach einem Jahr im Amt wurde Peter Altmaier, 60 Jahre alt, zuletzt ungewöhnlich hart kritisiert. „Er beschädigt das Wirtschaftsministerium“; „Totalausfall“; „Fehlbesetzung“ – so ließen sich Unternehmer und Industrieverbände öffentlich zitieren.

Nicht alle teilen die Kritik

Der vermeintliche Auslöser: Im Februar dieses Jahres präsentierte Altmaier seine Nationale Industriestrategie 2030. Das Ziel: sich den Herausforderungen der deutschen Wirtschaft stellen. Er schrieb darüber, „in welchen Fällen ein Tätigwerden des Staates ausnahmsweise gerechtfertigt oder gar notwendig sein kann, um schwere Nachteile für die eigene Volkswirtschaft und das gesamtstaatliche Wohl zu vermeiden“. Er hatte das Papier alleine geschrieben, in Nachtschichten, und auch nicht tief schürfend mit seinen Mitarbeitern diskutiert, sagt er. Ein Fehler, wie sich später zeigte.

„Staatswirtschaft“ war nicht der einzige Vorwurf. Der Beirat „Junge Digitale Wirtschaft“ im eigenen Ministerium kritisierte, Altmaier habe nur einen Bruchteil der im Koalitionsvertrag festgelegten Versprechen zur Unterstützung der Digitalwirtschaft umgesetzt. Doch der eigentliche Affront schien zu sein: Der Minister hatte die Mittelständler, Kernklientel der Konservativen, nicht genügend wertgeschätzt. Das Wort Mittelstand hatte Altmaier ein einziges Mal in seinem Strategiepapier getippt, auf Seite 11 von 16.

Die Unternehmerverbände schossen zurück: Altmaier gefährde die soziale Marktwirtschaft, von einem „Angriff auf das Lebenselixier der Familienunternehmer“ sprach Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands. Der Sprecher eines der größten Mittelständler sagte: Es gibt keinen einzigen Unternehmer, der Altmaier wirklich gut findet.

Doch nicht alle teilen diese Kritik. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie etwa begrüßt das Altmaier-Papier: „Die ungleichen globalen Rahmenbedingungen können dazu führen, dass die Marktkräfte nicht ausreichen, die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland aufrechtzuerhalten.“ Staaten wie China, Indien, Russland oder auch die USA unterstützen ihre eigenen Unternehmen massiv im Wettbewerb. Bei seinem Besuch im Wirtschaftsministerium zeigt der Astronaut Alexander Gerst, wie viele Länder, wie viele Menschen an der ISS mitgearbeitet haben. Mit dabei: die Bremer Firma OHB. Die kleine Hydraulikfirma hat sich innerhalb von knapp 38 Jahren von einem kleinen Mittelständler zu einem der Hauptakteure der Raumfahrt entwickelt; zu einem „nationalen Champion“ im altmaierschen Sinne.

Der große Kommunikator

Doch bei der Kritik an dem Minister geht es um mehr: Altmaiers Karriere ist eng mit Angela Merkel verknüpft. Wenn die Große Koalition zerbricht, wenn Annegret Kramp-Karrenbauer die nächste Kanzlerin wird, ist unklar, ob er dann als EU-Kommissar nach Brüssel geht oder was seine zukünftige Rolle sein könnte. Er selbst sagt dazu: „Es ist nicht Sache eines Fachministers, seine eigene Rolle zu definieren.“

Und so beginnt Peter Altmaier die Woche Anfang Mai mit einer Einladung an seine Kritiker. Gegen 10 Uhr versammeln sich im Ludwig-Erhard-Saal drei Frauen und 54 Männer. Zwei Verbände haben eigene Positionspapiere gleich mitgebracht. Altmaier gibt sich gelassen, erklärt, dass sein Papier nur ein Entwurf gewesen, dass er einen Schritt auf die Kritiker zugegangen sei. Doch als er nachmittags vor den Fernsehkameras den guten Dialog betont, wirkt sein Blick müde, der Schnürsenkel seines linken Schuhes ist offen. Später sagt er: „Mit meinem Vorschlag habe ich die wichtigste wirtschaftspolitische Debatte seit langem ausgelöst. Da ist Kritik ganz normal.“ Der Minister schafft es, gleichzeitig abzuwiegeln und sich aufzubauschen. Der Präsident der Familienunternehmer beschreibt den Tag so: „Das Ergebnis war nicht so vielversprechend, wie wir es uns erhofft hatten.“ Aber Altmaier, der sonst „viel redet und wenig zuhört“, habe „viel zugehört und wenig geredet“. Im Herbst will Peter Altmaier eine überarbeitete Version des Strategiepapiers vorlegen.

Eigentlich gilt Altmaier als großer Kommunikator. Er schaffte es als Umweltminister, selbst den Ausstieg aus der Atomkraft nach Fukushima halbwegs talkshowtauglich zu vermitteln. Doch zuletzt schien ihn das Glück zu verlassen. Im Januar etwa tagt im Ministerium die Kohlekommission. Vor der Tür Demonstrierende. Hopphopphopp-Klimastopp-Rufe hallen über den Platz an der Invalidenstraße. Der Minister steht vor den jungen Menschen und lächelt. Dann dreht er sich um. „Das war echt eine Scheißidee“, blafft er seinen Pressesprecher an. Als er sich zurück Richtung Kameras dreht, beginnt Altmaier wieder zu lächeln, so gütig, als würde er einen Faschingsumzug beklatschen. Er wird dabei zufällig gefilmt.

Der menschgewordene Stammtisch

Der Wechsel seiner Mimik offenbart sein Problem. Altmaier muss weitermachen, das Gesicht wahren, auch wenn alle merken, dass es wohl wirklich eine schlechte Idee war zu denken, dass die Demonstrierenden den Herrn Minister feiern würden.
Peter Altmaier ist krisenerprobt, seit 1994 sitzt er im Bundestag, er war Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Umweltminister, Kanzleramtsminister, Koordinator der Flüchtlingskrise und interimsweise Bundesfinanzminister – ein Mann für alle Fälle, immer verfügbar, immer im Dienst der Partei. „Schon als Jugendlicher bestand mein Leben nur aus Junger Union und Politik“, sagte er vor sieben Jahren dem Spiegel. Er reinigte Flussläufe, um zu unterstreichen, dass Umweltschutz alle angeht. Er zersägte Grenzpfosten, um für ein Europa ohne Binnengrenzen zu kämpfen.

In seiner Zeit als Parlamentarischer Geschäftsführer erschienen massenweise Porträts über ihn, für die er Journalisten zu sich nach Hause einlud. Zwischen den Zeilen liest man, wie humorvoll, belesen und gleichzeitig ein wenig wunderlich Altmaier wirkt: ein Mann, der mit über 2500 Büchern in einer etwa 250-Quadratmeter-Wohnung nahe des Kadewe zusammenlebt, aber nie mit einem Partner. Ein Mann, der eine Work-Work-Balance durchaus als ausgewogenes Lebensmodell sieht. Altmaier, der menschgewordene Stammtisch, der Parlamentarier zusammenbringt und Kritikern selbst gekochte Klöße auftischt.

Das Amt des Wirtschaftsministers hätte die Krönung seiner politischen Karriere werden können. Doch bislang will ihm das nicht gelingen. Er ist nicht mehr Generalist, sondern Fachminister. Auf seinem Tisch landen mehr Akten und weniger Themen. Mehr Reisen, weniger Nächte zu Hause. Ein paar Tage nach seinem Amtsantritt flog er nach Wa­shington, um mit dem amerikanischen Wirtschaftsminister zu frühstücken. Er vermittelte zwischen Moskau und Kiew, in Ägypten traf Altmaier den Präsidenten, besuchte die Pyramiden, bereiste Japan, China, Indonesien. Er forderte gemeinsam mit Bruno Le Maire, dem französischen Wirtschaftsminister, eine europäische Batteriezellenproduktion.

Die Pizza-Connection

Der Gescholtene erklärt die Kritik an seiner Person mit mehreren Ursachen: „Wir haben eine wirtschaftliche Situation, wo die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“ Gerade erst hatte Altmaier die Wachstumsprognose für Deutschland deutlich nach unten auf 0,5 Prozent senken müssen. Die Wirtschaft sei beim Koalitionsvertrag zu kurz gekommen, erklärt er: „Das Wirtschaftskapitel ist umfangreich, aber im Vergleich zu anderen Kapiteln nicht so konkret. Außer im Energiebereich.“ Die Unternehmer fordern bessere Rahmenbedingungen: Tatsächlich sind die Stromkosten in Deutschland so hoch wie nirgends in Europa. Und der Minister hofft, die Stimmung noch wenden zu können. Zwar gebe es im Vergleich etwa zum Finanzministerium weniger konkrete Zuständigkeiten, „man kann aber im Austausch mit der Wirtschaft viel gestalten“.

Doch die Frage ist, ob diese das will. Altmaier weiß, dass einige in der Wirtschaft und viele Mitglieder seiner Partei lieber Friedrich Merz als Wirtschaftsminister hätten. Im Wirtschaftsministerium sehnen sich viele nicht nach einem Strategen oder einem guten Diplomaten. Sie wollen einen Entscheider. Und natürlich weiß auch Altmaier, dass der Erfolg eines Ministers sich an dem bemisst, was dieser umgesetzt hat. „Aber es wird nicht immer sofort deutlich. Oft sieht man Erfolge erst nach Jahren.“

Altmaier selbst verweist auf die Pizza-Connection. So nannte sich eine Gruppe junger Abgeordneter von CDU und Grünen. Als sich beide Parteien noch spinnefeind waren, schmiedeten sie im Keller des Bonner Restaurants Sassella bei Rotwein und Pasta politische Utopien. Altmaier, der zum liberalen Flügel der CDU gehört, kämpfte damals für die Liberalisierung des Staatsbürgerrechts oder für die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Heute sagt er: „Fast alles, was wir damals forderten, wurde durchgesetzt – wenn auch nicht gleich 1995, sondern oft erst 2005 oder 2015.“ Vielleicht zahlt sich sein langer Atem auch diesmal aus.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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