Paolo Gentiloni als EU-Wirtschaftskommissar - Ausgerechnet ein Italiener?

Der ehemalige italienische Regierungschef Paolo Gentiloni soll Ursula von der Leyens neuer EU-Wirtschaftskommissar werden. Heute stellt er sich der Anhörung im EU-Parlament. Reicht er als Rezept gegen Salvini?

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Paolo Gentiloni 2017 / picture alliance
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Petra Reski lebt in Venedig, schreibt über Italien und immer wieder über die Mafia. Zuletzt erschien ihr Roman „Bei aller Liebe“ (Hoffmann&Campe). Foto Paul Schirnhofer

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Für Beppe Grillo war Paolo Gentiloni der „Mann für alle Jahreszeiten“ oder besser: das „absolute Nichts, bei dem man sich nicht mal an den Namen erinnert“, sagte der Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung einst. Dabei dürfte der Name des neuen EU-Wirtschaftskommissars, der in Zukunft über den Stabilitätspakt und die Haushaltsdisziplin der Mitgliedsländer wachen soll, wohl noch das Flamboyanteste an Paolo Gentiloni Silveri sein. Er stammt aus der Adelsfamilie der Silveri, dem Geschlecht der Edlen von Tolentino, Macerata, Filottrano und Cingoli.

Mit Gentiloni werde ein Bock zum Gärtner gemacht, tönten viele konservative EU-Abgeordnete, insbesondere aus Deutschland: Ausgerechnet ein Italiener, der aus dem Land kommt, das den größten Schuldenberg Europas vor sich herschiebt, zwei Billionen Euro, soll jetzt darüber wachen, dass die Sparmaßnahmen eingehalten werden? Nominiert von der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Vertrauten von Angela Merkel, der Sparmeisterin Europas?

Kann Gentiloni den „Green Deal“ populär machen?

Natürlich war die vorauseilende Kritik an Gentilonis Ernennung reine Spiegelfechterei: Gentiloni ist der ideale zweite Mann, kein Mann für kühne Ideen, ein treu dienender Parteisoldat, dessen umstürzlerischster Moment im Leben wohl die Chefredaktion für das Umweltmagazin der Naturschutzorganisation Legambiente war, weil das Engagement für die Umwelt in Italien bis heute noch als verdächtige Subversion gilt. Insofern wird es spannend, wie Gentiloni den angekündigten „Green Deal“ der EU in seiner Heimat populär machen will.

Der 64-Jährige gehört seit 40 Jahren nicht nur zum italienischen, sondern auch zum europäischen Establishment, als Abgeordneter der Demokratischen Partei war er italienischer Ministerpräsident, Außenminister und Kommunikationsminister. Und wenn Paolo Gentiloni einen langatmigen Satz sagt wie: „Ich denke, dass wir das Recht und die Pflicht haben, eine Rolle zu spielen, die uns zusteht: Unsere Geschichte, unsere Kultur und unsere Wirtschaft sind entscheidend für die Europäische Union“, dann ist das bereits das Kühnste, was man von ihm erwarten kann. Ungefähr so, als würde sich Matteo Salvini auf die Brust schlagen und den Rosenkranz küssen, vor laufender Kamera.

Nur wenige Zugeständnisse an Italien

Hinter dem Schachzug Ursula von der Leyens verbirgt sich wohl nichts anderes als eine Streicheleinheit für die ramponierte italienische Seele. Sie soll dabei helfen, aus Salvini etwas Luft zu lassen, der trotz seines tiefen Falles ja keineswegs von der politischen Bühne Italiens verschwunden ist, sondern immer noch 30 Prozent der Umfragewerte auf sich verbuchen kann.

Gentiloni wird den europäischen Garten nicht verwüsten – das lässt sich auch daraus ablesen, dass er seine Entscheidungen mit dem als Hardliner bekannten Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis abstimmen muss, dem lettischen Christdemokraten, der „die Arbeiten für die Wirtschaft im Dienste der Menschen koordinieren“ soll, wie Ursula von der Leyen verlauten ließ. Es sind schöne Worte, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass Italien nicht allzu viele Zugeständnisse gemacht werden dürften.

Abwehrkampf gegen Salvini

Die EU-Kommissionspräsidentin ist sich vermutlich auch darüber im Klaren, dass die EU Salvini etliche Vorlagen geliefert hat: Nicht nur durch das unnachsichtige Beharren auf dem Abkommen von Dublin, sondern auch auf dem Stabilitätspakt. Dadurch wurden in Italien besonders diejenigen getroffen, die wenig haben. Denn gespart wird in Italien vor allem an Schulen, Universitäten und am Gesundheitswesen. Italiens Kulturgüter und die Infrastruktur des Landes wurden verkauft. Und solange die europaweite Verteilung der in Italien ankommenden Migranten und Flüchtlinge auf freiwilliger Basis beruht, wird Salvini ein leichtes Spiel haben. Die Regierung von Giuseppe Conte steht nach wie vor an einem Abgrund und blickt in die Tiefe. Der Plan des deutschen Innenministers Horst Seehofer, jeden vierten Flüchtling aus Italien aufzunehmen, gilt wohl auch diesem Abwehrkampf gegen Salvini.

Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella versucht derweil, Paolo Gentiloni den Rücken zu stärken: Dass der als zurückhaltend bekannte Präsident ausdrücklich eine Überprüfung der Regeln des Stabilitätspakts wünscht, ist bemerkenswert. Möglicherweise wird sich Brüssel gegenüber Italien etwas konzilianter bewegen. Das mag nicht nur mit dem Too big to fail zu tun haben, sondern auch mit der Erfahrung, dass sich die EU mit der griechischen Rosskur vor allem selbst geschadet hat. Und in Deutschland steht eine Rezession vor der Tür. Die vor allem dürfte auch hier nachsichtiger machen.

Dieser Text ist in der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können. 

 

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