Oxfam-Studie - Vermögen ist ein schlechter Indikator für Ungleichheit

Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Das geht aus der neuen Oxfam-Studie hervor, die zum Weltwirtschaftsforum in Davos erschienen ist. Die Schweizer Wirtschaftsprofessorin Monika Bütler erklärt, warum diese Studie der Politik gar nicht hilft

Wem es gut geht, der legt nichts auf die hohe Kante /picture alliance
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Autoreninfo

Monika Bütler ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Sie ist außerdem Mitglied des Bankrats der Schweizerischen Nationalbank (SNB). 

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Pünktlich zum Weltwirtschaftsforum hat die Entwicklungsorganisation Oxfam auch 2019 eindrückliche Zahlen zur globalen Ungleichheit der Vermögen veröffentlicht. Dass die 1892 Milliardäre (meist Männer) mehr als viermal mehr Vermögen besitzen als die ärmere Hälfte der Menschheit (mehrheitlich Frauen) stößt auf Unverständnis. Zu Recht: Armut und eine grosse Kluft zwischen Arm und Reich verletzen nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden, sondern gefährden die Entwicklung oder die politische Stabilität eines Landes. 

Dennoch: Die Vergleiche von Oxfam eignen sich nicht als Grundlage für eine bessere Wirtschaftspolitik, weder international noch innerhalb eines Landes. Vermögen ist ein miserables Maß zur Bewertung von Wohlstandsunterschieden. Es ist schwierig zu messen und wird in viel größerem Ausmaß als die Einkommen von institutionellen Faktoren mitgeprägt. Und auch wenn dies politisch unpopulär ist: Es hängt auch von persönlichen Entscheidungen ab – gerade in reicheren Ländern.

Was ist überhaupt Vermögen und Vermögensungleichheit? Eine dumme Frage, vielleicht. Doch hätten sie gewusst, welches der folgenden Länder eine ungleichere Vermögensverteilung aufweist: Griechenland oder Schweden? 

Der Ikea-Effekt 

Auf dem Papier – und somit als Basis von Statistiken wie derjenigen von Oxfam - war ich mit einem Nettovermögen von je ein paar Tausend Franken bis vor wenigen Jahren nicht nur vermögensärmer als meine Söhne – sondern auch als fast alle Bauern in Afrika: Weil die Schulden auf dem Haus die Bewertung der Immobilie überstiegen. Daneben bleiben meine künftigen Rentenleistungen, teils selbst angespart, teils aus Ansprüchen der öffentlichen Rentenversicherung, unberücksichtigt im Vermögen. 

Als der kürzlich verstorbene IKEA-Gründer aus der Schweiz nach Schweden zurückwanderte, sank auf einen Schlag die Vermögensungleichheit in der Schweiz – und stieg in Schweden. Den Schweden ging es nach der Vergrößerung der Vermögensungleichheit allerdings nicht schlechter. Wenn überhaupt, dann eher etwas besser, sorgte doch der zugezogene IKEA Patron für höhere Steuererträge. 

Wie definiert man Vermögen?  

Das sind Spielereien, kann man einwerfen. Doch genau wer zur ärmeren Hälfte der Menschheit und wer zu den Superreichen gehört, ist die Basis der Statistiken von Oxfam und anderer Organisationen. Die Verteilung der Vermögen wäre dann aussagekräftig, wenn sie die Verteilung des Wohlstandes widerspiegelte. Tut sie aber nicht, und dies selbst innerhalb eines Landes nicht. Ein paar Fakten: Zu den Ländern mit der größten Ungleichheit im Vermögen zählen nicht nur Russland und Indien – sondern auch Schweden und Dänemark. Deutsche Haushalte haben im Durchschnitt nur rund halb so viel Vermögen wie griechische Haushalte und weniger als ein Drittel italienischer Haushalte. Gemessen an der Vermögensverteilung ist Griechenland gerechter als Deutschland und beide Länder viel gerechter als Schweden. 

Wie kann es sein, dass ausgerechnet die Musterstaaten des sozialen Ausgleichs bei der Vermögensverteilung so „schlecht“, sprich ungleich, abschneiden? Das Vermögen einer Familie kann aus zwei Gründen gering sein. Erstens, weil nach Steuern, Krankenversicherung und den üblichen notwendigen Ausgaben schlicht zu wenig zum Sparen bleibt. Hier geht es den ärmeren Haushalten in den reicheren Ländern nicht anders als der Mehrheit in den ärmeren Gegenden der Welt, auf einem viel höheren Lebensstandard natürlich.

Armut macht sparsam 

Zweitens sind die Vermögen dann geringer, wenn größere Ersparnisse angesichts der guten institutionellen Rahmenbedingungen und der sozialen Absicherung gar nicht mehr so nötig sind. Abgesehen von den Superreichen ist Vermögen kaum Selbstzweck, sondern vor allem Vorsorge. Im Sozialstaat ist die Ausbildung der Kinder jedoch kostenlos,  und die Bewohner sind gegen die meisten Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Alter oder Tod gut versichert. Müssten wir ohne diese Versicherungen auskommen, wären wir gezwungen, nur schon für den Invaliditätsfall mehrere Jahreslöhne als Puffer auf die hohe Kante zu legen.

Ein funktionierender Kapitalmarkt, der ebenfalls von staatlichen Rahmenbedingungen abhängt, sorgt zudem für den Zugang zu Krediten für eine breite Schicht der Bevölkerung. Er erlaubt den Kauf eines Hauses ohne viel Eigenkapital – vor allem aber unternehmerische Aktivitäten, die für den Wohlstand so zentral sind. Je grösser die Unsicherheit, desto stärker das Bedürfnis nach Vermögensbildung. Je besser die Menschen versichert sind, desto geringer die Notwendigkeit zur freiwilligen individuellen Vermögensbildung. Griechische Haushalte sind deshalb „reicher“ als deutsche und schwedische, weil sie sparen mussten. Als Absicherung gegen Schicksalsschläge, für die Zukunft der Kinder.

Staatliche Wohlfahrt macht private Vorsorge überflüssig

Andere Zahlen aus den Industrieländern stützen diese Erklärungen. Wo die Vorsorge für den Mittelstand knapp ist, so in Italien oder Australien, ist die Vermögensverteilung gleichmäßiger. Umgekehrt ist Schweden das unerwartete Schlusslicht in der Gleichheitsrangliste. Die Vermögensärmsten 30 Prozent der schwedischen und dänischen Haushalte haben sogar Schulden. Die Ersparnisse eines Großteils der Bevölkerung sind genau deshalb so gering, weil angesichts kollektiver Vorsorge die private Vorsorge im Wohlfahrtsstaat gar nicht nötig ist. 

Nur: Erstaunlich bleibt die große Vermögensungleichheit in Ländern mit moderater Einkommensungleichheit dennoch. Auf das Bild des Vermögens als geronnenes Einkommen will sie nicht passen. Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass die Einkommensverteilung so stark von der Vermögensverteilung abweicht: Individuelle Entscheidungen prägen die Vermögen viel stärker als die Einkommen.

Zur Illustration ein kleines Gedankenexperiment: Alle Einwohner eines Landes erhalten gleich viel Taschengeld. Es gibt somit keine Einkommensungleichheit und anfänglich auch keine Vermögensungleichheit. Menschen sind aber unterschiedlich. Die einen geben alles aus, was sie erhalten. Andere sparen, aus verschiedenen Gründen. Wieder andere üben sich in unternehmerischer Freiheit und werden womöglich reich (oder verlieren alles wieder). Mit der Zeit schlagen sich die Unterschiede in den persönlichen Entscheidungen in einer beträchtlichen Vermögensungleichheit nieder, selbst in einem Land mit identischem Taschengeld. Für Eltern mit mehr als einem Kind ist dies wenig überraschend. 

Anteil der Superreichen sinkt

Messbarkeit, Institutionen, unterschiedliche Entscheidungen: Sie alle tragen dazu bei, dass Vermögen ein viel schlechterer Indikator für Ungleichheit ist als Einkommen. Vermögen faszinieren die Menschen aber mehr. Die Bewertung sehr reicher Menschen geht von bewundernd (Stars in Musik und Sport) bis ablehnend (Wirtschaftsführer und Investoren). Dabei fallen auch die Millionen Roger Federers nicht vom Himmel, sondern werden letztlich aus den Eintrittsgeldern und TV Gebühren der kleinen Leute bezahlt. Und der Anteil an den Superreichen, die bereits in eine superreiche Familie geboren wurden, ist deutlich tiefer als noch vor 20 Jahren. 

Die Welt ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden: Die globale Ungleichheit der Einkommen ist gesunken, die Kindersterblichkeit ist stark zurückgegangen, die Lebenserwartung und die Schulbildung sind gestiegen. Ist also alles gut? Nein natürlich nicht. Die Ungleichheit in den Einkommen ist innerhalb der Länder gestiegen, Frauen sind noch immer ärmer als Männer. Vor allem aber bleiben Armut und mangelnde Entwicklungschancen von zu vielen Menschen ernsthafte Herausforderungen in der Weltwirtschaft. 

Der Aufruf von Oxfam, diese Probleme anzugehen ist daher richtig. Mit ihren plakativen Vergleichen trägt die Organisation aber eher zur Banalisierung der Ungleichheit bei. Das implizierte Rezept einer stärkeren Umverteilung von reich zu arm ist aber nur ein Teil einer möglichen Lösung – und manchmal auch die falsche. Andere sind fairere Bedingungen im internationalen Handel, Zugang zu den Märkten und eine gewisse Offenheit für die Migration.

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