New Work - Neue Arbeit, neues Glück?

Schon seit der industriellen Revolution steht die Frage im Raum, wie der moderne Mensch seine Erfüllung bei der Lohnarbeit finden kann. Das viel gepriesene Konzept „New Work“ verspricht im Zeitalter der Digitalisierung endlich den großen Sprung nach vorn. Zu Recht?

Erschienen in Ausgabe
Arbeiten wir bald alle wie wir es uns wünschen? / picture alliance
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Ayad Al-Ani ist Mitglied beim Einstein Center Digital Future, Berlin

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Auf kaum einer der vielen „Zukunftskonferenzen“ darf derzeit der Begriff „New Work“ fehlen – ob im Mai auf der re:publica in Berlin oder etwa bei der Online Marketing Rockstars in Hamburg. Dort fand im März auch die Veranstaltung „New Work Experience“ des deutschen Karrierenetzwerks Xing statt; neben einem Vortrag Joschka Fischers zum Thema „Vom Taxifahrer zum Außenminister“ klangen auch die übrigen Referatsthemen durchaus vielversprechend: „Zehntausende Mitarbeiter lassen sich ohne Hierarchie führen“, hieß es da etwa. Das sollte wohl einen Vorgeschmack auf künftige Arbeitswelten geben.

New Work ist der Megatrend einer Zeit, in der sich durch Digitalisierung und Globalisierung vieles ändert oder verschärft. Offensichtlich müssen Unternehmen innovativer, schneller und mutiger werden. Auch Politiker übernehmen das Wording. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) etwa beschwört die New-Work-Ära als Chance „für Qualifizierung und Weiterbildung, für agiles Arbeiten, für Zusammenarbeit und Vernetzung auf Augenhöhe und über Hierarchie- und Ressortgrenzen hinweg, für Beteiligung sowie für Flexibilität, Kreativität und Gesundheit“.

Tatsächlich aber versprechen solche New-Work-Philosophien meist etwas, das sie gar nicht einlösen können. Sie geben vor, einen altbekannten Widerspruch aufzulösen. Nämlich den zwischen einer arbeitsteiligen Hierarchie in Firmen mit mäßig enthusiastischen und gestressten Mitarbeitern sowie einem agilen, sich schnell anpassenden und sogar antizipierenden Unternehmen, in dem Mitarbeiter auf allen Ebenen notwendigerweise innovativ und engagiert sind.

Emanzipation und Transformation

Dieses Dilemma der Arbeitsorganisation beschrieb schon der „Vater der Nationalökonomie“, Adam Smith, im 18. Jahrhundert. Demnach sei Arbeitsteilung zwar effizient, degeneriere aber den Menschen. Der Begriff New Work, so wie er heute meist verwendet wird, dient dazu, diesen Widerspruch zu übertünchen. Zumal die Aufgabe der Transformation dem Individuum selbst zufällt: Die Arbeitnehmer sollen eine neue ­Work-Life-Balance suchen, stets innovativ und engagiert sein und lebenslang lernen. Die notorische Substanzlosigkeit der New-Work-Konzepte lässt sich allerdings daran ablesen, dass sie heikle Themen meist ausklammern – etwa Macht- und Einkommensverteilung, Bildungsgerechtigkeit oder soziale Mobilität.

New Work ist so betrachtet eher eine Ablenkung oder ein mobilisierendes Leitbild für eine Phase des Übergangs, in der sich eine neue Arbeitsorganisation noch nicht durchgesetzt hat und grundsätzliche Themen noch nicht angesprochen werden dürfen. Eine echte Emanzipation und Transformation der gegenwärtigen Strukturen wird in Zukunft vermutlich eher von Maschinen und Algorithmen ausgelöst, die zu neuen Organisationsformen führen und andere Vorstellungen von Arbeit geradezu erzwingen.

Adam Smith beschrieb die Arbeitsteilung als zentrales Prinzip der kapitalistischen Organisation in seinem zentralen Werk „Der Wohlstand der Nationen“ von 1776. Anhand eines Besuchs einer kleinen Stecknadelfabrik zeigt er die Vorteile auf: In solchen Manufakturen spezialisiert sich jeder Arbeiter auf eine bestimmte wiederkehrende Tätigkeit und erlangt selbst als Ungelernter darin bald große Geschicklichkeit. Arbeitsteilung und damit auch Hierarchie sowie Management (denn man brauchte ja nun Fachleute, die die einzelnen Arbeitsschritte koordinieren) waren von da an so mächtige Prinzipien, dass ein Ökonom erst in den siebziger Jahren die Frage stellte, warum Smith die Arbeitsteilung für einen Aufgabenbereich vorschlug, der keine Komplexität aufwies und genauso gut in Gruppenarbeit hätte geleistet werden können. Weniger bekannt ist, dass Smith selbst bereits die Auswirkungen der Arbeitsteilung auf den Menschen kritisch sah, ohne dass er dieses Paradoxon auflösen konnte. Im letzten Abschnitt seines Buches erläuterte er fast beiläufig, dass der Mensch in diesem System „verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen, und so stumpfsinnig und einfältig wird, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann“.

Innovationsfähigkeit leidet

Erst in den demokratischen Gesellschaften der Nachkriegszeit wurde versucht, die politische Konsequenz des smithschen Paradoxons – wie können sich Gesellschaften demokratisch nennen, wenn Arbeitnehmer in hierarchischen Organisationen arbeiten müssen? – abzumildern. So kam es in Deutschland im Zuge der gesetzlichen Regelung zur Mitbestimmung Mitte der siebziger Jahre zu einem innovativen betriebswirtschaftlichen Ansatz: Ziele sollten im Dialog festgelegt und deren Umsetzung den Betroffenen selbst überlassen werden.

Dieser Ansatz mit dem sperrigen Namen „Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre“ erinnert an die New-Work-Versprechen von heute. Er hatte aber viel größere politische Ambitionen und wurde deshalb als Auftragsarbeit für den DGB abqualifiziert. So schlussfolgerte der Arbeitstheoretiker André Gorz in den achtziger Jahren denn auch, dass eine Überwindung des smithschen Paradoxons unmöglich sei. Gorz schlug stattdessen vor, die Arbeitnehmer müssten versuchen, jene Aspekte ihrer Persönlichkeit zu entfalten, die im Unternehmen keinen Platz haben: Kultur, Freundschaft, Erziehung.

Ende der neunziger Jahre aber verschärfte sich mit der Phase des Hyperwettbewerbs die Situation für Unternehmen. Sie verfielen zunächst auf die altbekannte Strategie, Kosten zu senken. Aber diese Maßnahmen hatten Nebeneffekte: Die Arbeitszufriedenheit nahm ab, und der Stress nahm zu. Die „schlanken“ Unternehmen hatten keine Puffer mehr, Arbeitnehmer mussten permanent größtmögliche Energie aufwenden, um keine Fehler zu machen und so den Produktionsfluss zu stören.

Auf Grundlage einer weltweiten Umfrage vermeldete dann die Personalberatung Towers Watson Anfang dieses Jahrzehnts: „Zwei Drittel der Arbeitnehmer sind nicht engagiert.“ Zugleich leide auch die Innovationsfähigkeit. Experimentierräume waren den Kostensenkungen geopfert worden, zudem wirkte das smithsche Paradoxon fort: Von allen Aspekten einer Persönlichkeit des Arbeitnehmers filtern sich Unternehmen nur bestimmte heraus und negieren andere. Gleichzeitig wollen Unternehmen im Hyperwettbewerb aber immer den „ganzen“ Menschen, seine Motivation und seinen Enthusiasmus. Die Psychologie wurde deshalb als Hilfswissenschaft bemüht, um die Mitarbeiter zu mobilisieren. Was aber kaum gelingen konnte, denn man wollte Menschen, deren Talente und Fähigkeiten schlecht genutzt wurden, davon überzeugen, eine Arbeit, die sie nicht erfüllte, mit vollem Einsatz zu erledigen.

Peer-to-Peer-Organisationen

War Gorz noch davon ausgegangen, menschliche Selbstverwirklichung könne nur im Privaten erfolgen, so lösten die neuen sozialen Medien eine wahre Revolution aus. Denn plötzlich konnte der Einzelne sich ohne große Umstände mit Gleichgesinnten zusammentun. So schrieb etwa der Programmierer Linus Torvalds schon Ende der neunziger Jahre seine berühmte E-Mail, in der er die Community zur Mitarbeit an einem offenen Betriebssystem, das spätere Linux, einlud. Was dabei entstand, war die erste wirkliche neue Organisationsform seit der industriellen Revolution: Nach 17 Uhr versammelten sich „freie Produzenten“ (die meisten waren bei den großen IT-Konzernen angestellt) und arbeiteten zunächst unbezahlt an Projekten, für die sie sich wirklich interessierten. Diese Open-Source-Bewegung nutzte „neue“ Prinzipien: Selbststeuerung und -organisation und flüssige Hierarchien. Die in diesen „Peer-to-Peer-Organisationen“ entwickelten Produkte (Linux, Mozilla, Wikipedia und andere) wurden zudem kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Die Technologiekonzerne wurden hellhörig: Warum waren ihre Mitarbeiter in dieser Organisationsform viel innovativer als in ihrem Angestelltenverhältnis? Und könnte man diese benötigte Innovationskraft nicht wieder in die Wertschöpfungskette reintegrieren? Es kam zu einer Rückholaktion: Die Innovationskraft des Individuums, das sich auf der Flucht selbst organisierte, musste wieder ökonomisiert werden. So kam es zum Phänomen des Crowdworking: IT-Konzerne machen nun einen großen Teil ihres Umsatzes mit der Beratung um Open-Source-Produkte herum (Linux); freie Produzenten arbeiteten gegen Entgelt für Unternehmen, und diese wiederum zapften Start-ups an, um deren Innovationskraft zu nutzen.

Das verlangt natürlich auch traditionellen Unternehmen einen Anpassungsprozess ab. Der Axel-Springer-Konzern etwa lancierte Recruiting-Videoclips, deren Episoden sich um das humorvoll präsentierte Zusammenprallen von alter und neuer Arbeitswelt ranken (ein Nerd bewirbt sich bei Springer-Chef Mathias Döpfner). Das sollte deutlich machen: Aus dem traditionellen Konzern muss ein hybrides Unternehmen werden, welches die Vorteile eines großen Konzerns mit denen eines Start-ups kombiniert. So gesehen ist New Work ein Ausdruck der Davos-Strategie, „alles zu ändern, damit alles so bleibt“. Der smithsche Widerspruch aber kann auf diese Weise nicht aufgelöst, sondern allenfalls überspielt werden nach dem Motto: Wer jetzt noch immer keine Erfüllung bei der Arbeit findet, ist im Zweifel selbst schuld und muss zum Coach.

Blühende Volkswirtschaft

Dabei wäre längst viel mehr denkbar und auch machbar. Roboter und Algorithmen können Mitarbeiter von körperlich anstrengenden, aber auch repetitiven Aktivitäten befreien. Diese „Emanzipation“ aus dem smithschen Paradoxon führt natürlich zu einem Abbau von Jobs. Allerdings werden im Unternehmen durch die Transformation auch neue Rollen geschaffen (neue Dienstleistungen, Datenmanagement, Training von Maschinen, Beratung, Projektmanagement und anderes), die womöglich sogar erfüllender und anspruchsvoller sind. Die zentrale Frage wird dabei sein, ob die Mitarbeiter der alten Organisation diese Jobs auch ausfüllen können und wollen.

An dieser Stelle ist es sinnvoll, sich den ursprünglichen Ideen und Zielen des New-Work-Konzepts zuzuwenden. Oft wird vergessen, dass der Schöpfer dieses Begriffs, der Philosoph Frithjof Bergmann, eigentlich erreichen wollte, dass der Arbeitnehmer endlich das tut, „was er/sie wirklich, wirklich will“. Denkbar ist also, dass das Individuum seinen Leidenschaften und Talenten folgt und auch außerhalb oder neben seinem bisherigen Tätigkeitsbereich arbeiten will. Der Stadtstaat Singapur etwa fördert diese (Wieder-)Entdeckung der Talente seiner Bürger ganz konkret: Dort wird jeder Arbeitnehmer im Zuge eines „Second-Skilling-Programms“ dabei unterstützt, sich nicht nur im Rahmen seiner bisherigen Karriere weiterzubilden, sondern auch in jenen Bereichen, in denen Interessen und Neigungen bestehen. So kann etwa ein Softwareingenieur auch Kurse für Schriftstellerei besuchen, wenn er beim Verfassen von Bedienungsanleitungen bemerkt hat, dass Schreiben seine Passion ist.

Der Gedanke dahinter ist, dass eine blühende und effiziente Volkswirtschaft vor allem dann entsteht, wenn jedes Individuum das tut, was es am besten kann und am liebsten macht. Dann bräuchte es auch weniger Anleitungen und externe Motivation, denn diese sind ja nur notwendig, wenn wir etwas tun, das uns widerstrebt. New Work sollte also in erster Linie beim einzelnen Menschen und dem Freisetzen seiner Fähigkeiten anknüpfen, die durch die Arbeitsteilung oft verkümmert sind. Jenseits dieser sehr persönlichen Herangehensweise ist aber auch klar, dass New Work nur funktioniert, wenn die Rahmenbedingungen stimmen: etwa ein kostenfreier Zugang zu jedweden Bildungsinhalten rund um die Uhr, eine gezielte Förderung von Ideen und Talenten statt allgemeiner Trainings- und Beschäftigungsmaßnahmen – und wohl auch eine gewisse Fürsorge für das Individuum entlang seines zunehmend selbstbestimmten Pfades.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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