Nachtzug - Europäische Entgleisungen

Günstige Schnellzüge könnten Flüge in Europa zumindest auf kürzeren Distanzen längst ersetzen. Doch ausgerechnet nationale Eisenbahnen wie die Deutsche Bahn blockieren. Derweil erlebt ein altes Fortbewegungsmittel sein ungeahntes Comeback: der Nachtzug

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Morgens im gehobenen Dreierabteil im Nachtzug nach Budapest / Fotos: Gina Bolle 
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Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Ein Gefühl geht um in Europa: Es ist die Flugscham. An einem geschäftigen Montagvormittag ist in Berlin-Tegel davon aber nichts zu spüren. Touristen in Jogginghose und Businessmen in knittrigen Anzügen wuseln zwischen Check-in, Backdiscounter und Taxi­schalter. Keiner blickt schuldbewusst betreten zu Boden. Etwa die Hälfte aller Menschen, die in Tegel losfliegen, wollen zu einem Ziel im europäischen Ausland: nach Paris, Amsterdam, Tallinn oder wie die Gäste von Iberia Flug IB 3677 nach Madrid-Barajas.

Schämen Sie sich nicht? „Überhaupt nicht“, entgegnet ein deutscher Geschäftsreisender empört, er habe schließlich einen wichtigen Termin in Madrid. Zwei spanische Schwestern, die wegen der angeschlagenen spanischen Wirtschaft in Berlin wohnen, erzählen, sie wollten ihre Familie südlich von Madrid besuchen. „Wie sollen wir denn sonst nach Hause kommen?“, fragen sie ein wenig pikiert, während ihr Airbus A320 auf die Starterlaubnis in Tegel wartet.

Noch keine günstigen Alternativen zum Flugzeug

Klar, sie hätten mit dem Flixbus fahren können, was mit Umstieg in Paris knapp zwei Tage dauert, oder die knapp zweieinhalbtausend Kilometer selbst mit dem Auto fahren können. Oder sie hätten mit ICE, TGV und dem spanischen AVE fahren können, hätten dann aber bei der deutschen, der französischen und der spanischen Bahn separat Tickets kaufen müssen. „Auf dieser Strecke gibt es nun mal keine sinnvolle Alternative zum Flugzeug“, sagt eine der beiden Spanie­rinnen. „Wir nehmen den Flieger, obwohl wir wissen, wie klimaschädlich das ist“, schiebt sie hinterher. Bei dem dreistündigen Flug nach Madrid etwa stößt jeder Passagier rund 327 Kilogramm CO2 aus. Hört man sich unter den Fluggästen um, ergeht es den meisten so: Eigentlich wollen sie im Angesicht der Klimakrise weniger fliegen, aber viele innereuropäische Relationen lassen sich im Moment nur im Flugzeug zurücklegen. Flugreisen sind die mit Abstand klimaschädlichste Art zu reisen. Aber Billigflieger sind nicht nur Klimakiller. Sie tragen auch ihren Teil zur europäischen Verständigung bei.

Die Europäische Union, die sich heute durch Klimaschutz zu profilieren sucht, hat die europäischen Billigflieger ganz bewusst gefördert – auch, um die europäische Integration voranzutreiben. In den neunziger Jahren deregulierte die EU den europäischen Himmel: Preisvorgaben wurden abgeschafft, und die EU erlaubte jeder europäischen Airline jede europäische Relation zu fliegen – und besorgte so den an Dumping grenzenden Wettbewerb am Himmel. Es war die Geburtsstunde von Easyjet, Ryanair und inzwischen vielen anderen. „Die EU verleiht Flügel“, wirbt die EU-Kommission noch heute auf ihrer offiziellen Internetpräsenz. Und tatsächlich: 1996 hat ein Flug von Hamburg nach Lissabon und wieder zurück im besten Fall noch 860 Euro mit der Lufthansa gekostet, heute fliegt Ryanair die Strecke mitunter für 40 Euro hin und zurück – unfassbare 95 Prozent billiger als noch vor gut 20 Jahren.

Die EU steckt in einem Mobilitätsdilemma

Aber der Zeitgeist ändert sich. Zum Shoppen nach Mailand zu fliegen, ist nicht mehr schick, sondern ignorant, finden viele Menschen. Vielfliegerei sei ein ökologischer Albtraum, und in gewisser Weise stimmt das ja auch. Andererseits ist die Luftfahrt für nur 2 bis 5 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich – je nachdem, wen man fragt. Aber Europa wächst immer weiter zusammen, und damit wächst auch der Bedarf an innereuropäischer Mobilität. Um etwa 42 Prozent soll der Flugverkehr in Europa bis 2040 zulegen – in Zeiten des Klimawandels ist das schwer zu verkaufen. Zwar würde der zunehmende Luftverkehr die Konnektivität in Europa beträchtlich erhöhen und die Wirtschaft stimulieren, schreibt die EU in ihrem aktuellen Luftfahrtumweltbericht, gleichzeitig erkenne sie aber auch den negativen „Beitrag des Luftverkehrs zu den Folgen des Klimawandels, des Lärmes und der Luftqualität“ in Europa an.

Die EU steckt in einem Mobilitätsdilemma: Zum einen liegt es im Interesse der Union, die Mobilität innerhalb der Union zu fördern: Sie vergibt Millionen Erasmusstipendien, die Volkswirtschaften Europas sind einmalig eng verzahnt, und dank europäischer Freizügigkeit sind auch Europas Gesellschaften zunehmend durchmischt. Einerseits. Andererseits will die EU unter der deutschen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Vorreiterrolle im globalen Kampf gegen den Klimawandel einnehmen.

Eine Dänin auf Reise im Nachtzug
von München nach Budapest

Andreas Knie glaubt, dass es einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt: die Schiene. Knie ist Mobilitätsforscher an der Technischen Universität Berlin und eigentlich ein erklärter Feind des Flugzeugs. Aber das außergewöhnlich hohe europäische Verkehrs­aufkommen sei eben von zentraler Relevanz für die europäische Einheit, findet auch Knie. „Wir Europäer sind ohnehin ein reiselustiges Völkchen“, sagt er, „wir wohnen in einem einheitlichen Kulturraum, der trotzdem sehr abwechslungsreich ist und sind dazu noch wohlhabend.“ Kein Wunder also, dass Europa so vernetzt ist – und das ist auch gut so. Nur findet ein Großteil des europäischen Austauschs derzeit noch auf dem Luftweg statt. „Dabei sind mittlerweile viele Leute bereit, auch auf europäischen Relationen Zug zu fahren“, sagt der Mobilitätsforscher, „nicht nur aus Klimagründen, sondern weil viele Leute Zugfahren als bequemer empfinden.“ Bis 500 Kilometer sei der Zug in jedem Fall komfortabler, glaubt er, wenn die Strecke richtig ausgebaut ist. Und das würde schon viele europäische Relationen abdecken, für alles darüber bieten sich Nachtzüge an.

Die letzten nationalistischen Behörden in Europa

Kein Check-in, keine Handgepäckbestimmungen und keine nervtötende Dauerwerbebeschallung bei 74 Zentimetern Sitzabstand, wie etwa bei Ryanair. Die europäische Zugwelt könnte so schön sein, wären da nicht die nationalen Eisenbahngesellschaften. „Die Eisenbahnen sind die letzten nationalistischen Behörden in Europa“, sagt der ehemalige Grünen-Politiker Michael Cramer. 15 Jahre lang hat er im europäischen Parlament dafür gekämpft, die europäischen Bahnen miteinander zu harmonisieren. „Im Parlament gibt es da auch eine sehr große Mehrheit für“, sagt er, nur die nationalen Bahnen und Regierungen würden blockieren. So gebe es etwa schon längst ein einheitliches europäisches Zugbeeinflussungssystem, genannt ETCS, das den grenzüberschreitenden Verkehr ermöglicht. Viele Bahnen aber würden lieber ihr eigenes Zugbeeinflussungssystem behalten wollen, sagt Cramer, auch die Deutsche Bahn hatte das ETCS jahrelang blockiert und realisierte es – erst auf Druck von Brüssel – bislang nur auf wenigen Strecken. „Weil sie den Wettbewerb fürchten“, sagt er. Die Bahn bestreitet die Vorwürfe auf Nachfrage: Seit einigen Jahren würden neue Fernverkehrszüge in der Regel mit ETCS-Ausstattung bestellt, zudem habe der „Roll­out“ für ETCS auf dem Schienennetz in den kommenden Jahren Priorität.

Nicht nur die Zugsicherung ist ein Problem, sondern auch das Schienennetz, das sich an veralteten, nationalen Bedürfnissen orientiert. „Zwischen Hamburg und Krakau beispielsweise gäbe es einen wunderbaren Korridor, nur zwischen Cottbus und der polnischen Grenze gibt es eine 50 Kilometer lange Lücke, die nicht elektrifiziert ist“, sagt Cramer. Deshalb dauere die Zugfahrt mit knapp fünf Stunden fast doppelt so lange wie vor dem Zweiten Weltkrieg. So wurde der Eurocity zwischen Berlin und Breslau 2014 eingestellt, unterdessen gibt es Pläne, die Strecke wiederzubeleben. Aber selbst da, wo der grenzüberschreitende Verkehr gut ausgebaut ist, blockieren die nationalen Bahnen. Für viele grenzüberschreitende Anschlussfahrten muss man die Tickets einzeln kaufen, weil die Bahnen sich nicht darauf einigen können, wer bei Verspätung haftet, und weil die nationalen Bahnen ihre Preise und Abfahrtszeiten oft als „Betriebsgeheimnisse“ betrachteten, sagt Cramer. Auch hier wolle die DB nachbessern und mehr internationale Verbindungen über das Internet verkaufen, verspricht der Bahn-Sprecher.

Besonders Österreich profitiert

Verkehrsforscher Andreas Knie sieht noch ein anderes Hemmnis für die europäischen Züge: „Fliegen ist heutzutage viel zu billig“, sagt er und fordert höhere Steuern und Abgaben auf Flugtickets, damit Fliegen wieder mehrere Hundert Euro kostet – so teuer wie damals, bevor die EU den europäischen Luftverkehr liberalisiert hat. Dabei ist europäische Mobilität doch eine Errungenschaft. Vielleicht sollte die EU gar nicht mal das Fliegen teurer machen, sondern das Bahnfahren billiger. Auf Kerosin beispielsweise zahlen Fluggesellschaften in der EU in der Regel keine Steuern, während die Bahn in den meisten europäischen Ländern Steuern auf Strom zahlen muss. Auf Flugtickets werden normalerweise keine Mehrwertsteuern erhoben, in Deutschland sinkt der Steuersatz auf Fernverkehrsfahrten im nächsten Jahr immerhin von 19 auf 7 Prozent.

Kurt Bauer, Leiter des österreichischen ÖBB-Bahnfernverkehrs, geht das aber noch nicht weit genug. „Wir brauchen eine völlige Gleichbehandlung aller Verkehrsträger, um mit den Billigfliegern mitzuhalten“, sagt er. Die Österreicher profitieren inzwischen stark von der Flugscham vieler Europäer, denn in Europa betreiben sie das größte internationale Nachtzugnetz – für die Relationen, die für Schnellzüge zu weit sind. 2016, als der Deutschen Bahn ihre Nachtzüge zu defizitär waren, übernahmen die Österreicher von ihr einige Verbindungen. Heute befördern sie rund 1,4 Millionen Menschen pro Jahr in den Nachtzügen, Tendenz steigend. Behandelte die DB ihre Nachtzüge bis zur Einstellung noch recht stiefmütterlich, seien die Nachtzüge für die Österreichische Bundesbahn eine „Herzensangelegenheit“, behauptet ÖBB-Mann Kurt Bauer. Vergangenes Jahr bestellten die Österreicher 13 neue Nachtzüge bei Siemens, sie bauen ihr Streckennetz Jahr für Jahr aus, nach Deutschland, Italien, in die Schweiz. Bald wolle man auch die Benelux-Länder ans österreichische Nachtzugnetz anschließen, so Bauer.


Blick aus dem Abteilfenster kurz vor der Ankunft in Budapest

„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass in einigen Jahren wieder ganz Europa von einem Nachtzugnetzwerk überzogen ist“, sagt er. Tatsächlich sind die Österreicher nicht die Einzigen mit Ambitionen im europäischen Nachtzuggeschäft: Auch die Schweizer Bundesbahn, die vor rund zehn Jahren wegen der Billigflieger ihre Nachtzüge eingestellt hat, bereitet ein Comeback ihrer Nachtzüge vor. In den nächsten Jahren sollen von der Schweiz aus wieder Verbindungen nach Deutschland und vermutlich auch nach Italien starten. Und natürlich hat auch Schweden, Heimat von Greta Thunberg und der flygskam (Flugscham), eine nationale Nachtzugstrategie. Dieses Jahr kündigte die schwedische Regierung an, umgerechnet mehr als fünf Millionen Euro in Nachtzugverbindungen von Schweden in andere europäische Länder zu investieren. Der europäische Nachtzug, der noch in den 2000er Jahren als anachronistisches, bestenfalls romantisches Verkehrsmittel galt, erlebt derzeit ein unerwartetes Comeback. Auch die New York Times blickt neidisch nach Europa und schreibt: „Europe’s Night Trains Rebound“. Die Deutsche Bahn hat die neue europäische Begeisterung für Nachtzüge dagegen noch nicht erreicht: Nachtzugverbindungen seien bis auf Weiteres nicht geplant, sagt ein Sprecher.

Ein Schritt zur Seite

Ziemlich traurig, findet Verkehrsforscher Andreas Knie das, denn Nachtzüge würden eine neue Akzeptanz unter Europäern erfahren. Vor wenigen Jahren hatten sie kein gutes Image, waren beliebt unter Backpackern, die durch Osteuropa reisen wollten. Businesstraveler traf man eher im Flugzeug. Natürlich transportiert auch heute noch das Flugzeug wesentlich mehr Menschen, aber Knie stellt einen Mentalitätswandel fest: „Viele Leute nehmen Nachtzüge nicht mehr als Schritt zurück, sondern als Schritt zur Seite wahr“, sagt er. Ihnen sei das Fliegen einfach zu hektisch.

Auch Knie selbst, der als Verkehrsforscher viele Termine im europäischen Ausland hat, reist mit dem Nachtzug, wenn es eine Verbindung gibt. Für ihn sei das auch eine Frage des Komforts. Und der Romantik. Beim Fliegen mit Hunderten Stundenkilometern durch die Troposphäre geschossen zu werden und nach wenigen Stunden am anderen Ende des Kontinents wieder Boden zu betreten, ist sicher eines der eindrucksvollsten Erlebnisse des modernen Alltags. Poetisch aber sei ein spätabendlicher Wein im Bordrestaurant, ein Hauch von Fin de Siècle bei der Reise. Harry Graf Kessler, Orientexpress, Kurswagen abkoppeln, Kurswagen ankoppeln: Der Nachtzug ist auch ein europäisches Kulturgut.

Der Erdteil mit der höchsten Eisenbahndichte

Zugfahren verkörpere wesentlich besser die europäische Diversität als Fliegen, sagt Martin Speer. Vor ein paar Jahren war der Aktivist in den Nachrichten, weil er von der EU forderte, sie solle jedem jungen Europäer ein Interrailticket zum 18. Geburtstag schenken – nicht aus bloßer Generosität, sondern um die europäische Identität unter jungen Menschen zu stärken. Ganz bewusst setzte Speer bei seiner Forderung auf den Zug und nicht die Billigflieger. „Zum einen ist Zugfahren natürlich ökologischer“, sagt er, „vor allem aber lernt man Europa und seine Vielfalt erst im Zug richtig kennen.“ Europa ist zudem der Erdteil mit der höchsten Eisenbahndichte. Flughäfen sehen auf der ganzen Welt gleich aus, uniforme Ufos draußen vor den Toren der Stadt. Große europäische Bahnhöfe dagegen liegen meistens im Zentrum der Stadt, prägen sie und sind beeindruckend. Mal beeindruckend schön, wie in Mailand, mal beeindruckend hässlich, wie in München. „Wenn europäischer Binnenverkehr auch die Funktion hat, die europäische Einheit zu stärken, dann ist Zugfahren das Mittel der Wahl“, sagt Speer, „man bekommt ein Gefühl für Landschaften, Distanzen, Architektur, die Menschen – kurz: für Europa selbst.“

Ostbahnhof Budapest, etwa zehn Stunden
nach der Abfahrt in München

Ein Donnerstagmorgen um 8.40 Uhr in Madrid-Chamartín, einem Bahnhof, der eher in die Kategorie beeindruckend hässlich fällt. Auf Gleis 15 rollt der Nachtzug aus Lissabon ein, eine alte Elektrolokomotive zieht drei Liegewagen, einen Bistrowagen und zwei Sitzwagen. Die Türen zischen auf, und die Reisenden taumeln noch leicht zerknautscht auf den Bahnsteig. Aus dem hinteren Sitzwagen kommt ein bulliger Mann um die 50, Antón, zündet sich eine Zigarette an und beginnt die Arme über seinem Kopf zu strecken. „Malísimo!“ sei die Reise gewesen, sagt er – fürchterlich. Er habe sein Handy nicht aufladen können, die Toiletten seien widerlich gewesen, und in den Schlafsitz habe er nur mit Mühe und Not gepasst. „52 Euro habe ich für die Albtraumnacht bezahlt“, sagt er erschöpft. Hinter ihm stolpert eine chinesische Familie aus dem Liegewagen und beginnt sogleich den renovierungsbedürftigen Bahnhof zu fotografieren. Man habe eine authentische Erfahrung machen wollen, sagt der Familienvater, aber wirklich gemütlich war es auch im Liegewagen nicht. Tatsächlich: Der Zug ist alt und eng. An diesem Donnerstagmorgen waren die überwiegende Mehrheit der Fahrgäste Touristen.

Zu träge, um den Bedarf nachzukommen

„Das muss aber nicht so bleiben“, sagt Zugaktivist Martin Speer, „europäische Bahnen sollten ihren Mehrwert gegenüber Flugzeugen gezielter ausspielen.“ Man könne etwa Coworking-Bereiche in Hochgeschwindigkeitszüge und Nachtzüge integrieren, schlägt er vor, um die Zeit besser zu nutzen. Europaweite Vielfahrerprogramme und eine einheitliche Buchungsplattform könnten Zugfahren in Europa attraktiver machen, gerade wenn Tag- und Nachtfahrpläne länder­übergreifend verknüpft würden. „Ich will das Flugzeug gar nicht verteufeln, es gibt Situationen, in denen es einfach sinnvoller ist zu fliegen“, sagt Speer. Aber modernere Nachtzugkonzepte könnten neue Bevölkerungsschichten anziehen – da sind sich Verkehrsforscher Knie und Zug­aktivist Speer einig.

Bei der ÖBB sind junge Touristen und Familien die Basis des Nachtzuggeschäfts, räumt ÖBB-Mann Kurt Bauer ein. Aber in den vergangenen Monaten erfahre man verstärkt Nachfrage von Alleinreisenden, die geschäftlich unterwegs sind. Selbst wenn die Nachfrage nur langsam steigen sollte – die europäischen Eisenbahnen sind zu träge, dem Bedarf hinterherzukommen, geschweige denn ihn zu erzeugen. Aufregende Konzepte aber gibt es: So haben die Deutsche Bahn und der Internationale Eisenbahnverband eine Studie über Hochgeschwindigkeitsnachtzüge erstellt. Von London nach Madrid käme man so in etwa zwölf Stunden, heißt es dort – aber solche Konzepte sind erst mal utopisch. „Denn ehrlich gesagt macht man mit Nachtzügen keine großen Gewinne“, sagt ÖBB-Mann Bauer.

Die Politik könnte das ändern, indem sie die Abgabenlast für die europäischen Bahnen senkt und die Harmonisierung forciert. Es wäre wohl der vorerst eleganteste Ausweg aus dem Verkehrsdilemma: nicht das Fliegen verteuern und auf den Hyperloop warten, sondern dem vorhandenen Schienennetz samt Nachtzug zur Renaissance verhelfen.

Dieser Text ist in der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

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