Werder Feinkost - Weniger Zucker, weniger Essig

In der DDR war Ketchup aus Werder ein Luxusprodukt, heute ist man mit der Würzsauce in den neuen Ländern Marktführer. Jetzt will Werder Feinkost auch den Westen erobern

Erschienen in Ausgabe
Die beiden Geschäftsführer Dénes Radmacher (links) und Tim Walter / Barbara Dietl
Anzeige

Autoreninfo

Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

So erreichen Sie Yves Bellinghausen:

Anzeige

Mitten in Werder an der Havel, nur ein paar Kilometer südlich von Berlin, steht ein überschaubares Fabrikgelände und verbreitet einen süßlichen, penetranten Geruch. Auf dem gesamten Werksgelände von Werder Feinkost und in den angrenzenden Straßen bemerkt man ihn, und sogar oben in den Büroräumen sitzen die beiden Geschäftsführer Tim Walter, 39, und Dénes Radmacher, 33, in einer Duftnote von Ketchup. Die beiden verantworten das operative Geschäft des Unternehmens.

In der DDR war das Kombinat Havelland Werder noch ein Volkseigener Betrieb, und der Ketchup aus dem brandenburgischen Vorort von Berlin galt als Luxusware. „Damals stauten sich die LKW mit den frischen Tomaten noch vor den Toren“, sagt Walter. Aber nach der Wende war das Werk in einem katastrophalen Zustand, die Gebäude waren baufällig und die Alteigentümerin, an die die Treuhand das enteignete Unternehmen zurückgeben wollte, war zu alt, um sich noch in dem Unternehmen zu engagieren. Am Schluss kaufte ein gewisser Heinrich Geiger das Unternehmen.

Nach der Wende ging es weiter

Dieser Heinrich Geiger verstand nicht viel von Gewürzsaucen und interessierte sich auch nicht sonderlich für das Ketchupmachen. Geiger war Architekt und wollte die Anlage abreißen, um etwas Neues auf dem zentral gelegenen Fabrikgelände zu bauen. Aber als dieser wohlhabende Bayer nach Werder kam, stellte er erstaunt fest, dass auf seinem Fabrikgelände noch immer 20 Mitarbeiter waren, die unbeeindruckt von der Wende weiter Ketchup herstellten. „Gewissermaßen in Eigenregie“, sagt Walter. Das imponierte Geiger, und so gab er den Ketchupmachern aus der brandenburgischen Provinz eine Chance: Er beschloss, die Fabrik weiterzubetreiben.

Dazu baute Geiger erst mal massiv Stellen ab. Vor der Wende haben knapp 130 Leute hier gearbeitet, kurz nach der Übernahme waren es noch etwa 26. Heute hat Werder Feinkost etwa 60 Mitarbeiter. Aber Geiger investierte auch gewaltig, sanierte die baufälligen Gebäude und kaufte neue Maschinen. Insgesamt hat er einen zweistelligen Millionenbetrag in das Werk gesteckt, schätzen die beiden Geschäftsführer.

Wachsender Gewinn

Für Werder Feinkost war das ein Glücksfall. Denn während viele andere DDR-Unternehmen nach der Wende untergegangen sind, konnte Werder Feinkost sich am Markt etablieren. Heute setzt das Unternehmen rund 17 Millionen Euro im Jahr um und macht dabei etwa eine Million Euro Gewinn.

Walter und Radmacher gehen durch eine der Hallen, eine Abfüllanlage pumpt Ketchup in Glasflaschen und zischt dabei so laut, dass die wenigen Mitarbeiter alle Ohrschutz tragen. Etwa 120 000 Flaschen füllt die Maschine am Tag ab. Über das ganze Gelände transportieren Gabelstapler die Saucen von Werder, aber auch Ketchup von anderen Marken, für die Werder Feinkost Auftragsfertigungen übernimmt.

Ketchup made in Ostdeutschland

Heinrich Geiger selbst ist im vergangenen September gestorben, vererbt hat er das Unternehmen an seine Kinder und Enkelkinder. Seine Tochter Jutta Geiger-Saumweber ist neben Radmacher und Walter die dritte Geschäftsführerin. Sie lebt am Starnberger See und ist nur selten in Werder. Wie in vielen ostdeutschen Unternehmen stehen auch bei Werder Feinkost Westdeutsche an der Spitze. „Von außen betrachtet kann ich es natürlich nachvollziehen, dass manche Ostdeutsche da hellhörig werden, aber ich weiß auch, was die Familie Geiger für das Unternehmen getan hat“, sagt Radmacher, der selbst aus Brandenburg kommt. „Und ehrlich gesagt, finde ich es auch ein wenig traurig, dass wir noch immer in den Kategorien Ost- und Westdeutsche denken.“

Beim Ketchupgeschmack allerdings unterscheiden sich West- und Ostdeutsche auch 30 Jahre nach der Wende noch. So ist Werder in Deutschland nur der drittgrößte Ketchuphersteller, in den neuen Ländern aber klarer Marktführer. „Ich glaube, das ist anerzogen“, sagt Walter. In der DDR habe es jahrelang nur den Ketchup aus Werder gegeben. Der hat weniger Zucker und weniger Essig als andere Ketchups, dafür schmeckt er würziger. „Und wenn Sie damit aufwachsen, dann denken Sie: Ja, so muss ein Ketchup schmecken!“, sagt Walter. Für einen Westdeutschen könne Werder-Ketchup dagegen ungewöhnlich schmecken. „Aber wir arbeiten daran, den Geschmack auch in den alten Ländern zu etablieren“, sagt Radmacher. Dazu geht Werder gezielt in westdeutsche Supermärkte und verteilt Kostproben an die Kunden. Vielleicht kommen die ja auch noch auf den Geschmack.

Dies ist ein Artikel aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten












 

Anzeige