Mobilität der Zukunft - Kommen jetzt die Seilbahnen?

Im Ausland ergänzen Seilbahnen längst den urbanen öffentlichen Nahverkehr und befeuern damit auch die wirtschaftliche Entwicklung. Hersteller wittern nun auch hierzulande ihre Chance, mehr als nur Skiliftanlagen zu bauen. Aber ist das realistisch?

Mittel- und Südamerika mit seinen urbanen Seilbahnen brachte schon mehrere deutsche Politiker auf Ideen / picture alliance
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Lars-Thorben Niggehoff ist freier Wirtschaftsjournalist aus Köln.

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Lange war Medellín ein Synonym für Drogenhandel und Gewalt. Von der kolumbianischen Stadt aus dirigierten Drogenbarone wie Pablo Escobar ihre Kartelle, verbreiteten Angst und Schrecken. Das machte Medellín einst zur inoffiziellen Mordhauptstadt der Welt.

Der Mann, der das änderte, wirkt mit seinen schulterlangen, grauen Haaren ein wenig wie ein Universitätsprofessor. Sergio Fajardo wurde hier 2004 Bürgermeister, mit dem klaren Ziel, Medellín ein besseres Image zu verpassen und das Leben für die Bürger gerade in den Slums am Stadtrand leichter zu machen. Während seiner vier Jahre im Amt gelang ihm das. Auch internationale Medien sprechen seither vom „Medellín Miracle“. Für den promovierten Mathematiker Fajardo war es der Beginn einer erfolgreichen Politikkarriere, er wurde später Gouverneur und bewarb sich sogar um das Präsidentenamt. Medellín wurde sicherer, moderner, lebenswerter.

Doch einen wichtigen Anteil daran hatten nicht nur Polizei und Stadtplaner, sondern auch Ingenieure aus dem fernen Südtirol. Dort, in Bozen, hat die Leitner AG ihren Sitz. Die Firma baut seit mehr als 130 Jahren Seilbahnen. Der Hauptmarkt ist Mitteleuropa, Skilifte sind das große Geschäft. Doch seit einigen Jahren sind die Italiener sehr aktiv bei Planung und Bau sogenannter urbaner Seilbahnen. Auch in Medellín verbinden inzwischen Seilbahnen von Leitner die Slums besser mit der Innenstadt, was in den Elendsvierteln immerhin zu einem bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung führte. Das Konzept war so erfolgreich, dass Dutzende südamerikanische Städte seither ebenfalls Seilbahnen bauten, von Bogotá über La Paz bis Mexico City entstand diese erwünschte Form von Seilschaften.

Klimawandel bedroht Skilifte

Auch für die übrigen europäischen Seilbahnhersteller ist diese Entwicklung wichtig. Denn ihr eigentliches Kerngeschäft, die Skilifte, sind zunehmend bedroht. Deshalb hoffen sie darauf, dass auch in Deutschland in naher Zukunft Seilbahnen zum festen Bestandteil des öffentlichen Personennahverkehrs werden. Der im vergangenen Jahr mit voller Wucht ins öffentliche Bewusstsein gerückte Klimawandel ist kein Freund der Wintersportler. Er sorgt dafür, dass Schneetage immer rarer werden. Auch die Alpenregionen werden wärmer, immer mehr Pistenbetreiber haben trotz künstlicher Beschneiung Probleme, ihre Abfahrten fit für die Saison zu machen. Zugleich ist Skifahren mittlerweile ein teures Hobby geworden. Allein ein Sechs-Tage-Skipass kann je nach Region deutlich mehr als 200 Euro kosten. Hinzu kommen Hotelkosten, Ausrüstung und Verpflegung. Gerade junge Menschen suchen sich inzwischen andere Sportarten, wie Forscher der Sporthochschule Köln 2018 in einer Studie feststellten.

Wer die Trends beobachten will, kann ins Allgäu reisen. Dort gibt es viele Skilifte, Wintertourismus ist wichtig in dieser Region. Zugleich sind sie hier inzwischen aber auch Vorreiter beim Thema urbane Seilbahnen. In der 70 000-Einwohner-Stadt Kempten soll, wenn es insbesondere nach dem Willen von CSU-Lokalpolitikern geht, bald eine Seilbahn den Bahnhof, der ein wenig stadtauswärts liegt, mit dem Stadtzentrum verbinden. Als die Pläne 2019 vorgestellt wurden, berichtete selbst die überregionale Presse. Das bayerische Verkehrsministerium finanziert eine Machbarkeitsstudie in Höhe von 50 000 Euro, die bald Ergebnisse liefern soll.

Problem der Überflugsrechte

„Bei uns bietet sich ein solches Projekt aufgrund der örtlichen Topografie an“, sagt Richard Schießl, Leiter des Kemptener Referats für Wirtschaft, Kultur und Verwaltung. In der Stadt sei es bergig, dazu teile die Iller als Fluss Kempten in zwei Hälften. Eine Seilbahn könne diese Hindernisse unkompliziert überwinden, so die Hoffnung vor Ort. Auch der Kemptener CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, ist Fan der Idee. „Eine Seilbahn ist in der Stadt emissionsfrei und es können bis zu 1000 Busfahrten pro Tag eingespart werden“, sagt er und rechnet auch mit einem neuen „touristischen Anziehungspunkt“.

Die Kemptener sind bei Weitem nicht die Ersten, die solche Pläne fassen. „In den vergangenen Jahren hatten Politiker immer wieder diese Idee, oft nachdem sie in Südamerika waren“, sagt Maike Puhe. Sie leitet die Forschungsgruppe Mobilitätszukünfte am Institut für Technologiefolgenabschätzung und Systemanalyse, einem Teil des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Puhe hat sich intensiv mit den Planungen sogenannter urbaner Seilbahnen in Deutschland befasst. Als Verkehrsmittel hätten sie einige Vorteile. „Seilbahnen können genauso viele Leute befördern wie Straßenbahnen“, erklärt Puhe. „Gleichzeitig nehmen sie weniger Platz weg, da man am Boden eigentlich nur die Pfeiler verbaut.“ Dazu ließen sie sich recht schnell realisieren, anders als bei Bahnen müssten weder Schienen verlegt noch Straßen untertunnelt werden.

Trotzdem kommen die wenigsten Projekte bislang über das Anfangsstadium hinaus. Ein Grund ist die komplexe deutsche Rechtslage. „Sie müssen sich mit allen Menschen abstimmen, über deren Grundstücke die Seilbahn gehen soll“, sagt Puhe. Solche „Überflugrechte“ gebe es in Südamerika meist nicht, was die Umsetzung dort deutlich einfacher macht.

Herausforderungen für Seilbahn-Projekte

In Deutschland scheitern derweil Projekte, etwa in Wuppertal. Dort sollte eine Seilbahn den Hauptbahnhof mit der örtlichen Universität verbinden. Die Stadt ist bereits bekannt für ihre Schwebebahn. Man könnte erwarten, dass Bürger neuen Verkehrswegen in großer Höhe positiv gegenüberstehen. Doch bei einer Bürgerbefragung im vergangenen Jahr sprachen sich mehr als 60 Prozent der Teilnehmer gegen die geplante Seilbahn aus. Die Lokalpolitik beerdigte das Projekt. Auch in Hamburg, Ulm oder Trier gab es große Träume, die dann platzten.

In Kempten reagiert die Bevölkerung gespalten: „Die einen sind sehr angetan von der Idee, die anderen komplett dagegen“, berichtet Referatsleiter Schießl. Dazwischen gebe es nicht viel. Viele Anwohner machten sich Sorgen, dass ihnen Menschen aus der Seilbahn ins Fenster schauen könnten, wenn die Strecke über ihr Grundstück führt. „Und natürlich hat so ein Projekt auch Auswirkungen aufs Stadtbild“, sagt Schießl. Auch CSU-Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, dessen Wahlkreis in Kempten liegt, soll kein Freund der ambitionierten Pläne sein. Dabei sagte er schon 2016 in einer Rede bei der KfW in Berlin, dass bei Verkehrskkonzepten „nicht nur die Mega-Cities Unterstützung brauchen – sondern gerade die mittelgroßen Städte“. Verkehr müsse klimafreundlich, für alle erreichbar, sicher und erschwinglich sein, „vom Auto bis zur Seilbahn“, sagte Müller.

Aber sind urbane Seilbahnen eher Wunschdenken der Hersteller? Maike Puhe vom KIT sagt, Städte müssten sich klarmachen, was eine Seilbahn leisten soll, und was nicht. „Realistisch betrachtet können Seilbahnen in Deutschland eine Ergänzung zum bestehenden Netz sein, sie werden es aber nicht ersetzen“, sagt sie. Gut funktionieren würden Seilbahnen als Direktverbindungen zwischen wichtigen Punkten, etwa Innenstadt und Hauptbahnhof. „Und man könnte eventuell die Peripherie besser anbinden, Teile der Stadt, die bisher außen vor sind.“ Doch das hat Grenzen. „Seilbahnen sind nicht sehr kurvengängig“, sagt Puhe. Und sie seien schwer in Innenstädte zu integrieren: „Deswegen sind die meisten bislang existierenden Seilbahnen Prestigeprojekte oder Touristenattraktionen.“

Seilbahn in Berlin bald mit der BVG?

„Aktuell beschäftigen sich 15 bis 20 Städte ernsthaft mit solchen Modellen“, sagt Michael Tanzer. Der Verkaufsleiter in Deutschland und Österreich für die Leitner AG geht davon aus, dass bald weitere nachziehen. In den nächsten 15 bis 20 Jahren werde das Skigeschäft für Leitner wohl aber noch wichtiger bleiben, denn auch bestehende Seilbahnen würden durch neue Anlagen ersetzt werden.

Die Umstellung von Skilift auf Verkehrsseilbahn sei für seine Firma nicht schwer, die Technik prinzipiell gleich. Aber: „Einen Skilift müssen Sie nur einen Teil des Jahres betreiben, und dann nur für sieben bis acht Stunden täglich“, sagt er: „Bei einer urbanen Seilbahn sind es 12 bis 16 Stunden, 365 Tage im Jahr.“ Dazu kämen Themen wie Lärmemissionen, die in Skigebieten weniger relevant seien. „Auch digitale Vernetzung spielt im Nahverkehr eine viel größere Rolle“, so Tanzer: „Sie müssen Anzeigen einbauen und Durchsagen ermöglichen.“

Beim Konkurrenten Doppelmayr bleiben Skilifte ebenfalls noch Umsatzgenerator Nummer eins. „Rund zwei Drittel unserer Anlagen werden in Skigebieten verbaut“, teilt die Firma mit. Aber auch die Österreicher pushen aktiv urbane Seilbahnen. Im bolivianischen La Paz bauten sie ein ganzes Seilbahnnetz, in Europa haben sie erste Projekte betreut, etwa in Lissabon oder Luxemburg.
Die Leitner AG baut in Deutschland erste Miniprojekte, wie in Berlin: Anlässlich der Internationalen Gartenausstellung 2017 errichteten die Südtiroler eine Seilbahn im Bezirk Marzahn-Hel­lersdorf. Nach dem Ende der Ausstellung blieb sie stehen und wird bis heute von Leitner betrieben. Die Leute hätten das „begeistert angenommen“, sagt Tanzer. Demnächst soll man sie auch mit einem Ticket der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nutzen können. Die Verhandlungen laufen.

Wer wird die ersten Standards etablieren?

Man setzt auf den Klimawandel: „Wir haben schon einen gewissen Greta-Effekt“, sagt Tanzer. Weil Seilbahnen elektrisch betrieben werden, stoßen sie relativ wenig Emissionen aus, sind also für Städte, die ihre Klimabilanz aufpolieren wollen, ein interessantes Konzept. Womöglich denken Politiker über bessere Regulierungen nach. Denn es mangele an baurechtlichen Richtlinien, beklagt Tanzer. Auch KIT-Expertin Puhe sieht Nachholbedarf. „Es gibt kaum standardisierte Verfahren, wenn man eine Seilbahn bauen möchte“, sagt sie. Allerdings gebe es hierbei ein gewisses Henne-Ei-Problem: „Ohne Erfahrungswerte ist es schwierig, Standards zu schaffen.“

Es bräuchte ein erstes erfolgreiches Projekt. Ob der Durchbruch aber ausgerechnet in Kempten im Allgäu kommt, ist fraglich. CSU-Oberbürgermeister Thomas Kiechle, der das Projekt vehement vorantreibt, muss sich bei den bayerischen Kommunalwahlen Mitte März dem Votum der gespaltenen Bürgerschaft stellen. Es wird ein erster Stimmungstest für seinen Allgäuer Drahtseilakt.

 

Dieser Text ist in der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können

 

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