Mietendeckel in Berlin - „Rot-Rot-Grün hat einen Mieterhöhungsturbo eingeschaltet“

Berlins neuer CDU-Vorsitzender Kai Wegner greift Rot-Rot-Grün für den Mietendeckel an. Die verantwortliche linke Senatorin verhindere neue Wohnungen. Vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) fordert er einen Wohngipfel, Wohngeld für Normalverdiener und mehr Hochhäuser

Statt einem Mietendeckel fordert Kai Wegner (CDU) einen Wohngipfel mit allen Akteuren / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Kai Wegner ist der Vorsitzende der Berliner CDU und baupolitischer Sprecher der CDU-CSU-Fraktion im Bundestag.

Wie viele Immobilien besitzen Sie, Herr Wegner?
Meine eigene, in der ich wohne.

Ist das nicht schade? Sonst hätten Sie vor dem Berliner Mietendeckel noch schnell die Miete erhöhen können.
Ich habe wie gesagt keine Mieter und daher gibt es auch keine Mieterhöhung. Ich kenne aber viele Mieterinnen und Mieter, die in den letzten Tagen ängstlich den Briefkasten geöffnet haben, ob sie eine Mieterhöhung bekommen. Viele haben mich informiert, wie erbost sie darüber sind, dass durch diese Maßnahme von Rot-Rot-Grün die Mieten in Berlin in den letzten Tagen und Wochen noch einmal erheblich gestiegen sind. Das liegt einzig und allein an diesem angekündigten Mietendeckel.

Berlins Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (Die Linke), rät Mietern dazu, gegen diese Erhöhungen Einspruch einzulegen.
Da bin ich mal gespannt, ob die Nicht-Bausenatorin Recht behält. Die Eigentumsrechte haben in Deutschland eine Bedeutung. Der Mietendeckel soll rückwirkend ab dem 18. Juni gelten. Davor eingetroffene Mieterhöhungen sind meines Erachtens rechtens. Das Ganze wird noch viele Anwälte und Gerichte beschäftigen. Es wird Prozesse geben ohne Ende. Ob der Mietendeckel verfassungsgemäß ist, ist sehr fraglich. Ganz zu schweigen von den Verwaltungskosten und Personalkapazitäten, die jetzt die Kontrolle des Mietendeckels verschlingen wird. Das alles wird sehr teuer werden, sowohl für die Mieterinnen und Mieter, als auch für das Land Berlin.

Dann wäre das Gegenteil dessen erreicht, was man erreichen wollte.
In der Tat hat Rot-Rot-Grün einen Mieterhöhungsturbo eingeschaltet. Es gibt insbesondere private Vermieter, die in den letzten Jahren die Miete nicht erhöht haben. Weil die Vermieter aber wissen, dass sie jetzt die Miete für fünf Jahre nicht mehr erhöhen dürfen, haben sie den Rahmen jetzt noch bis zum Äußersten ausgeschöpft.

Wird die Berliner CDU gegen den Mietendeckel vor das Verfassungsgericht ziehen?
Wir werden Maßnahmen diskutieren. Wahrscheinlich werden andere den Gerichtsweg beschreiten, vielleicht sogar die Genossenschaften oder der ganz normale, einzelne Privatvermieter und nicht die großen Immobilienkonzerne.

Man könnte auch sagen, Rot-Rot-Grün handelt endlich und zieht die Notbremse.
In der Tat hat die Politik zu spät reagiert. Der Zug in die großen Städte kam aber einigermaßen unerwartet. In den 90er Jahren gab es große Bauplanungen für Berlin als 4-Millionen-Metropole. Aber dann kamen erst einmal gar nicht so viele Menschen und die Bautätigkeit ruhte weitestgehend. Die Stadt wächst jetzt um 40.000 bis 60.000 Menschen im Jahr. Es gibt derzeit kaum Leerstand. Die Baugenehmigungen sinken. Jetzt sämtliche Marktmechanismen außer Kraft zu setzen, wird nicht funktionieren. Bauinvestoren, die wir unbedingt brauchen, werden einen Bogen um Berlin machen. Wir brauchen dringend Wohnungsneubau. Der Mangel muss abgestellt werden, Rot-Rot-Grün verwaltet den Mangel lediglich.

Der Mietendeckel gilt aber explizit nicht für Neubau-Wohnungen. Warum sollten bauwillige Investoren zurückschrecken?
Wir haben mit der Enteignungsdebatte ja noch eine weitere Diskussion, die Investoren abschreckt.

CDU-Vorsitzender Berlins,
Kai Wegner

Das sind doch aber Totschlag-Argumente. Niemand möchte Investoren, die neue Wohnungen bauen wollen, später diese Wohnungen wegnehmen.
Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie, das hat einst schon Ludwig Erhard gesagt. Wir reden über Mietendeckel, Enteignung und totale Regulierung. Warum sollte ein Investor bei so unüberschaubaren Verhältnissen, bei denen er nicht weiß, was morgen als nächstes kommt, ein Risiko eingehen? Ich höre häufig von privaten Investoren, die sich gerne in Berlin engagieren würden: „Wir werden vom Senat behandelt wie Feinde“. Selbst die Wohnungsbaugenossenschaften, die wirklich preisdämpfend wirken, schalten große Anzeigen mit dem Aufruf: „Jetzt reicht’s Genossen. Mietendeckel stoppen!“.

Wie wollen Sie ein vertrauensvolles Klima für Investoren schaffen und zugleich niedrigere Mieten für Ihre Wählerinnen und Wähler?
Viele Investoren sind bereit, Vereinbarungen mit dem Land Berlin auszuhandeln. Als baupolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion höre ich von den Bau- und Immobilienverbänden: „Klar sind wir offen. Wenn das Land Berlin beispielsweise sagen würde, ihr dürft bauen, wenn ihr 25 Prozent der Wohnungen als Sozialwohnungen anbietet, machen wir das.“ Der Regierende Bürgermeister Müller wollte das Thema zur Chefsache machen. Wir brauchen endlich einen Berliner Wohnungsgipfel, bei dem wir uns mit der Privatwirtschaft, den städtischen Gesellschaften, mit den Genossenschaften und der Bauwirtschaft zusammensetzen und klären, was benötigt wird, damit günstige Wohnungen entstehen.

Es geht längst nicht mehr nur um fehlende Sozialwohnungen.
Ja, wir brauchen auch Wohnungen für normalverdienende Familien, die keinen Wohnberechtigungsschein haben, sich aber auch niemals Luxuswohnungen leisten können. Darüber reden wir viel zu wenig. Auch Menschen, die bis zu 11 Euro für den Quadratmeter zahlen könnten, die breite Mittelschicht, findet nichts mehr. Wir als CDU fordern ein “Berliner Wohngeld”, das auch Menschen mit mittleren Einkommen und einer Nettokaltmiete zwischen 8 und 13 Euro pro Quadratmeter erhalten sollen.

Aber wer bezahlt das?
Das würde aus dem Haushalt gezahlt werden. Unseren Berechnungen zufolge wäre das aber deutlich preiswerter als die möglichen 37 Milliarden Euro, die Berlin als Kompensation für Enteignungen von Wohnungen bezahlen müsste.

Der ehemalige SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin sagt: „Auch in New York können nicht alle an der Upper East Side leben“. Sie selbst wohnen in Kladow am Rande Berlins. Ist doch schön da, oder?
Da ist es auch sehr schön. Aber ich möchte den Menschen nicht vorschreiben, wo sie zu leben haben. Was Berlin immer ausgemacht hat, ist die „Berliner Mischung“ Hier lebte in einem Stadtquartier der Bauarbeiter direkt neben der Arztfamilie und diese direkt neben der Künstlerin. Trotz starker Konzentrationen bestimmter Gruppen in manchen Bezirken, hat diese Durchmischung in weiten Teilen funktioniert. So schön Paris auch ist, ich möchte nicht irgendwann in einem Berlin aufwachen, in dem sich nur noch Bestverdiener und Millionäre ein Leben im Stadtkern leisten können. Und ich will keine Ghettos an den Rändern, wo alle anderen leben.

Auch New York hat nun einen Mietendeckel eingeführt, warum nicht auch Berlin?
New York könnte beim Thema Sicherheitspolitik ein tolles Vorbild für Berlin sein. Eine Null-Toleranz-Strategie, wie die des ehemaligen Bürgermeisters Rudolph Giuliani, fehlt hier. Aber auch ein Mietendeckel in New York wird vielen Menschen nicht helfen, die eh schon an die Ränder gedrängt wurden, sondern den Reichen, die zentral wohnen.

Der Zuzug auch in andere große Städte ist immens. Sind die damit nicht überlastet?
Ja, durchaus. Auch der Bund muss mehr unterstützen. Ich bin froh, dass auch die Bundeskanzlerin gesagt hat, dass wir zum Beispiel den Spekulationsmechanismen Einhalt gebieten müssen. Mit Bauland zu spekulieren, statt es zu bebauen, bestraft jene, die bereit sind zu investieren. Möglich wäre eine empfindlich hohe Grundsteuer für nicht genutztes Bauland, also keinen Bauzwang, aber ein Baugebot. Wir brauchen außerdem ein Baubeschleunigungsgesetz. Es darf nicht drei Jahre oder länger dauern, bis man den ersten Spatenstich auf erworbenem Bauland tätigen kann.

Wie wollen Sie beschleunigen?
Ich finde Bürgerbeteiligung wichtig, aber man könnte den Prozess verkürzen. Umweltauflagen sind wichtig, aber auch diese Prüfungen könnte man verkürzen. Nach 2015, während der Flüchtlingskrise, haben wir das gemacht. Da ging alles viel schneller. Wir haben in den Städten keine Zeit mehr, zu warten. Was damals für Flüchtlingsunterkünfte ging, muss jetzt für den normalen Wohnungsbau auch funktionieren. Berlin muss außerdem die hohe Grunderwerbsteuer senken, um die Baukosten zu mindern.

Aber auch mit Beschleunigung und niedrigeren Baukosten muss jemand die Wohnungen bauen. Überall auf den Baustellen fehlen Fachkräfte.
Das ist ebenfalls ein großes Problem in ganz Deutschland. Damit die Bauwirtschaft die Kapazitäten hier hochfahren kann, braucht sie aber Planungssicherheit. Den Fachkräftemangel muss man zudem durch eine Bildungspolitik beheben, durch Förderung von handwerklichen Berufen. Nicht jeder muss Akademiker werden.

In Ihrem CDU Papier schreiben sie „Mut zu Hochhausbau“. Wünschen sie sich eine Berliner Skyline wie in Frankfurt?
Ich wünsche mir nicht zwingend eine Skyline. Berlin soll nicht aus Wolkenkratzern bestehen, mit Straßenschluchten, in denen man den Himmel nicht mehr sieht. Aber wir werden nicht darum herumkommen, auch höher zu bauen. Dass eine Metropole wie Berlin auch ein paar Hochhäuser und Wolkenkratzer hat, wird so kommen. Am Alexanderplatz oder am Bahnhof Zoo gibt es Potenzial. Es macht Berlin aus, dass wir viele Bezirke mit drei- oder viergeschossigen Häusern haben. Aber auch hier müssen wir in einigen Bereichen ein bis zwei Stockwerke höher bauen. Studien zeigen, dass man durch Aufstockungen und Dachausbau relativ kurzfristig rund 80.000 Wohnungen schaffen könnte. Würde man dazu viele Supermärkte und Discounter aufstocken, hätten wir ein Potenzial von mehr als 100.000 Wohnungen.

Wie lange gilt für Sie der Volksentscheid von 2014, das Tempelhofer Feld nicht zu bebauen?
Bis es einen neuen Volksentscheid gibt. Ich glaube, die Mehrheit der Berliner ist für eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes. Wenn wir eine Vision eines Quartiers der Zukunft aufzeigen, die die Menschen begeistert, werden sie zustimmen. Wir brauchen ein Konzept für ein bezahlbares, familiengerechtes, altersgerechtes, studentisches, nachhaltiges und lebenswertes Wohnen, eine zeitgemäße Mischung aus Eigentums- und Mietwohnungen mit kurzen Wegen zwischen Wohnen und Arbeiten. Das Feld wäre dann immer noch so groß wie der Tiergarten und der ist wirklich nicht klein.

Was ist ihr aktueller Tipp für Leute, die jetzt eine Wohnung brauchen und nichts finden?
Bei der nächsten Wahl in Berlin Rot-Rot-Grün abzuwählen und als bürgerliche Alternative der CDU die Stimme zu geben. Ansonsten bleibt derzeit nur, offen zu sein und sich nicht auf einen Bezirk zu konzentrieren. Auch in den Rand- und Außenbezirken lässt es sich gut leben.

Wie sehen Sie das Wohnen in Berlin in 20 Jahren?
Auch in den nächsten Jahren wird Berlin weiter wachsen. Daher dürfen wir Berlin nicht nur in Stadtgrenzen denken, sondern in gemeinsamer Planung mit Brandenburg. Wir brauchen Wohnungen auch um Berlin, die dann aber mit einer guten ÖPNV-Struktur einen schnelleren Anschluss nach Berlin brauchen.

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