Mehrwertsteuersenkung - Kein Geschenk für die Verbraucher

Das Kabinett hat die Mehrwertsteuersenkung beschlossen. Von der Regierung wird dies als verbraucherfreundliche Maßnahme verkauft, die zudem die Wirtschaft stimulieren soll. Tatsächlich wird für Kunden kaum nachvollziehbar sein, ob sie wirklich sparen. Diese gewollte Überraschung könnte böse enden.

Ist das wirklich billiger? / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Das Überraschungs-Moment dürfte inzwischen verpufft sein: Vor rund einer Woche hatte die Große Koalition die Details ihres Konjunkturpakets bekanntgegeben. Darunter auch eine ab dem 1. Juli geltende und bis zum 31. Dezember befristete Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 16 Prozent, beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent. Die Bundesregierung bemühte sich, diese Maßnahme als Quasi-Steuergeschenk an uns Verbraucher in geschätzter Höhe von rund 20 Milliarden Euro zu verkaufen. Viele Ökonomen lobten das Vorhaben als einen echten Anreiz, insbesondere für Menschen mit niedrigen Einkommen. Tatsächlich aber gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen der ökonomischen Wirksamkeit der Mehrwertsteuersenkung und dem Vorteil für die Konsumenten.

Denn der 1. Juli 2020 dürfte keineswegs zu einer Art Black-Friday oder Cyber-Monday werden. Die Kunden werden sich ab diesem sommerlichen Corona-Wednesday kaum in Scharen auf lang ersehnte Ware stürzen. Denn schon mit einfachem Dreisatz lässt sich ausrechnen, wie viel durch die Maßnahme wirklich gespart werden kann. Es wird also keinen Run auf Gemüse und Obst geben, weil dieses jetzt eventuell ein paar Cent günstiger wird. Zumal die Lebensmittelpreise während Corona teilweise bis zu 92 Prozent teurer wurden im Vergleich zu 2019. Eine Familie mit kleinem Einkommen wird ab dem 1. Juli also kaum häufiger in den Supermarkt gehen als zuvor. Je größer die Anschaffung, desto größer ist freilich der Betrag, der gespart werden kann, vorausgesetzt die Unternehmen geben die Senkung weiter. Aber kaufen wir uns plötzlich Waschmaschinen, Kühlschränke oder Sitzmöbel, weil sie vielleicht 30 Euro weniger kosten? Selbst wer sich den günstigsten VW Golf für rund 20.000 Euro kauft, spart dank der Senkung gerade mal um 500 Euro (hier geht's zum Blitzrechner).

Ist psychologische Täuschung ein kluger Trick?

Ob dieser Ausblick einen spezifischen Schub für die deutsche Automobilindustrie entfacht, darf durchaus bezweifelt werden. Und ebenso, ob es als gerecht empfunden wird, wenn jemand, der sich ein Tesla-Einstiegsmodell für 125.000 Euro leisten kann, das Auto jetzt für rund 121.000 Euro bekommt. Aber um Gerechtigkeit geht es bei der Mehrwertsteuersenkung ja nicht, sondern darum, die Konjunktur anzukurbeln. Und die Regierung setzt dafür ganz offensichtlich vor allem auf Psychologie, wenn nicht gar auf psychologische Täuschung. Wir sollen in Kauflaune versetzt werden, indem der Schnäppchenjäger in uns getriggert wird. Nicht ohne Grund hat die Bundesregierung umgehend betont, dass sie eine direkte Weitergabe der Senkung von den Unternehmen an die Verbraucher „erwartet“. Etwas anderes hätte sie politisch auch kaum vertreten können. Etwas schwammigeres aber auch nicht. Denn sie kann dies weder garantieren noch kontrollieren.

Denn tatsächlich hat die Große Koalition mit der Mehrwertsteuersenkung ein Gießkannen-Instrument gewählt, das gerade für uns Konsumenten ziemlich intransparent ist. Denn um wirklich nachvollziehen zu können, ob man von einer direkten Weitergabe der Senkung profitiert, müsste man jedes Produkt mit seinem vorherigen Preis vergleichen können. Fast alle Konsumprodukte aber haben regelmäßig schwankende Preise. So könnte selbst eine Behörde wie das Statistische Bundesamt kaum nachvollziehen, ob ein spezifisches Produkt in einem spezifischen Laden nun günstiger oder teuer geworden ist. Vergangenes Jahr hatte die Stiftung Warentest sich die Mühe gemacht zu ergründen, ob die Sonderangebote an Black Friday und Cyber Monday wirklich so günstig sind  wie behauptet. Selbst die Untersuchung dieser beiden klar umrissenen Tage waren ein extrem komplexes Unterfangen, bei dem immerhin herauskam, dass viele Angebote eben doch kaum günstiger sind als zu anderen Tagen im Jahr. Es geht bei solchen Aktionen eben vor allem darum, einen Kaufgrund schaffen, wo sonst vielleicht keiner entstehen würde.

Böses Erwachen in 2021

Und auch die Regierung hofft offenbar schlicht darauf, dass die Konsumenten von der Senkungsmaßnahme zum Kauf gereizt werden, obwohl die Ersparnis bei den Produkten minimal ist. Sie muss insbesondere darauf hoffen, dass den Verbrauchern nicht auffällt, dass viele Branchen, wie etwa die Gastronomie, die Senkung kaum weitergeben dürften. Denn die sogenannten Menü-Kosten, die es bedeuten würde, eine Speisekarte innerhalb von drei Wochen für sechs Monate umzustellen, um sie dann voraussichtlich erneut umstellen zu müssen, dürfte kaum ein Wirt auf sich nehmen. Die Senkung wäre dann eine quasi verschleierte weitere direkte Finanzhilfe für viele tatsächlich notleidende Betriebe.

Für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung könnte das am Ende sogar gut sein. Aber eine spürbare Steuererleichterung für Verbraucher ist die Mehrwertsteuersenkung anders als propagiert nicht. Wenn, wie von der Bundeskanzlerin angekündigt, die Mehrwertsteuer 2021 wieder auf das vorherige Niveau angehoben werden sollte, könnte es sogar sein, dass die Konsumenten insgesamt vom Konsum abgeschreckt werden. Denn Preiserhöhungen werden meist bewusster wahrgenommen als umgekehrt.

Es entsteht der Eindruck, als sei die Mehrwertsteuersenkung vor allem gekommen, weil die Regierung sich einerseits nicht auf so etwas wie die zurecht umstrittenen Kaufprämieren einigen konnte. Andererseits hatte man aber offenbar auch nicht die Zeit, das Vermögen, den Mut oder alles zusammen, um zielgenauere Lösungen für einzelne Wirtschaftsbereiche zu ersinnen. Der Vorschlag der IG Metall zu Leasing-Prämien für CO2-ärmere Autos etwa, wäre so eine Lösung gewesen, die Kaufanreiz mit Klimazielen vereint hätte. Die Rechnung für diese Gießkannen-Taktik könnte sich bald schon rächen, wirtschaftlich und politisch.

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