Kosten der Zuwanderung - Wer beschönigt, schadet der Sache

Immer wieder ist zu hören, dass wir ökonomisch von den Flüchtlingen profitieren würden, Wirtschaft und Sozialsysteme seien wegen der demografischen Entwicklung auf Zuwanderung angewiesen. Diese Rechnung ist nicht nur falsch, sie spielt letztendlich sogar den Rechtspopulisten in die Hände

Wer kann besser rechnen – Wolfgang Schäuble oder Heiko Maas? / picture alliance
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Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „Beyond the Obvious“. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group (BCG). Zuletzt erschien sein Buch „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.

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Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine humanitäre Aufgabe, die sich per definitionem einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise entzieht. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung scheint gewillt, die Lasten für Versorgung und Integration zu übernehmen. Es gibt also keinen Grund, die finanziellen Folgen der ungesteuerten Zuwanderung zu beschönigen. Doch genau dies tun die Befürworter der Zuwanderung regelmäßig.

Letztes Beispiel bisher ist der heftig umstrittene Auftritt von Justizminister Heiko Maas bei Maybritt Illner. Während er in vielen Medien als Gewinner des Rededuells mit dem AfD-Vizechef Alexander Gauland porträtiert wurde, hielten andere Maas vor, die finanziellen Folgen bewusst zu leugnen. Konkret kam der Minister zu dieser Feststellung: „Die Milliarden für die Integration wurden in diesem Land erwirtschaftet und wurden niemanden weggenommen.“

Zuwanderung kostet jährlich 20 Milliarden Euro

Was ist nun von dieser Aussage zu halten? Zunächst ist es angesichts des Haushaltsüberschusses auf Bundesebene zutreffend, dass zumindest ein Teil der Milliarden in der Tat im Land erwirtschaftet wurde. Doch dort, wo Länder und Kommunen trotz der guten Konjunktur weiterhin Defizite machen, haben die Kosten der Zuwanderung naturgemäß die Schulden erhöht. Deshalb ist es nicht ganz richtig, davon zu sprechen, dass die Mittel „erwirtschaftet wurden“. Ein Teil muss von künftigen Generationen erwirtschaftet werden.

Weitaus interessanter ist der zweite Teil der Aussage, wonach diese Mittel „niemandem weggenommen wurden“. Leider gibt es kein Szenario, in dem diese Aussage stimmt. Sie ist schlichtweg falsch. Solange die Kosten für die Betreuung, Verwaltung und Integration der Zuwanderer über Null liegen, müssen diese Kosten von jemandem getragen werden. Tatsächlich gehen die direkten Kosten (Unterbringung, Verpflegung, Sprachkurse) wie auch die indirekten (Verwaltung, Sicherheit) in die Milliarden. Schätzungen beziffern die Ausgaben auf 20 Milliarden pro Jahr. 20 Milliarden aus den öffentlichen Haushalten, die für andere Zwecke hätten verwendet werden können:

- Zugunsten der Steuerzahler durch eine Senkung der Steuerlast. Bei einem Lohn-und Einkommensteueraufkommen von rund 215 Milliarden Euro immerhin ein Senkungspotential von rund neun Prozent.

- Zugunsten der Transferempfänger durch großzügigere Sozialleistungen. Der Sozialhaushalt von 130 Milliarden könnte um 15 Prozent aufgestockt werden.

- Zugunsten von allen Bürgern durch mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur. 2015 lagen die Investitionen von Bund, Ländern und Gemeinden bei rund 66 Milliarden. Immerhin 30 Prozent mehr hätte der Staat demnach ausgeben können.

- Zugunsten kommender Generationen durch eine stärkere Senkung der Schuldenlast, indem der Staat mehr tilgt.

Kann Maas nicht rechnen - oder will er nicht?

Sogar bei einer direkten Finanzierung der Ausgaben durch ein Geldgeschenk der Europäischen Zentralbank (EZB) gäbe es einen Verlust an anderer Stelle: Alle Besitzer von Geld würden mittelfristig über einen Kaufkraftverlust (Inflation) dafür bezahlen.

Der lateinische Grundsatz „iudex non calculat“ (der Richter rechnet nicht) gilt unter Juristen als universelle Ausrede für mathematische Unfähigkeit. Darauf könnte sich Jurist und Justizminister Maas natürlich berufen. Sein Kollege im Kabinett, Wolfgang Schäuble, beweist jedoch, dass es durchaus Juristen gibt, die gut rechnen können. Deshalb besteht der Verdacht, Maas habe die finanziellen Folgen bewusst geschönt, um Kritikern der Zuwanderungspolitik den Wind aus dem Segel zu nehmen und die breite Bevölkerung nicht zu verunsichern. Damit erreicht er jedoch das Gegenteil. Je mehr Teile der Bevölkerung solchen simplen Tricks nicht mehr auf dem Leim gehen, desto größer wird die Ablehnung des Kurses, für den Maas eigentlich werben will.

Finanzielle Folgen beschönigt

Maas ist damit keineswegs alleine. In der Medienkampagne für sein neues Buch durfte der Politikwissenschaftler Herfried Münkler ohne kritische Rückfrage behaupten, dass wir von der Flüchtlingskrise ökonomisch enorm profitieren würden, weil Wirtschaft und Sozialsysteme wegen der demografischen Entwicklung auf Zuwanderung angewiesen seien. Bundeskanzlerin Merkel hätte auf diesen wirtschaftlichen Nutzen von Anfang an deutlicher hinweisen müssen, so der Wissenschaftler.

Das ist ein weiterer Versuch, einen ökonomischen Vorteil zu suggerieren, der bei einer nüchternen und sachlichen Analyse selbst im optimistischen Fall nicht eintreten wird. Die Zuwanderung wird, anders als es politisch und medial immer wieder betont wird, eben keinen ökonomischen Nutzen bringen. Schon vor der aktuellen Zuwanderungskrise hat die Bertelsmann Stiftung aufgezeigt, dass eine gesteuerte Zuwanderung die Bevölkerung fiskalisch entlasten könnte. Allerdings sei Voraussetzung, dass künftige Einwanderer im Durchschnitt ein besseres als mittleres Qualifikationsniveau aufweisen. Eine Wiederholung der Gastarbeitereinwanderung sei mit Blick auf den Arbeitsmarkt im 21. Jahrhundert ökonomisch nicht sinnvoll. Hingegen sei es geradezu geboten, qualifizierte Einwanderer ins Land zu holen. 

Naturgemäß ist eine Flüchtlingskrise etwas anderes als geordnete Zuwanderung. Nur müssen wir uns darüber klar sein, dass es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht das ist, was wir brauchen. So hat das Ifo Institut basierend auf Erhebungen in den Flüchtlingslagern in der Türkei ausgerechnet, „dass 16 Prozent der syrischen Flüchtlinge Analphabeten sind und acht Prozent gar keinen Schulabschluss haben. Ein Viertel der syrischen Flüchtlinge ist also als unqualifiziert einzustufen. Der Rest der Befragten gab an, über einen Schulabschluss zu verfügen. 35 Prozent haben demnach die Grundschule beendet und 22 Prozent die Hauptschule.“ 

Auch andere Analysen, die schon seit Monaten vorliegen, zeigen eindeutig: Bei der Zuwanderung, die wir heute erleben, wiederholen sich nicht nur die Fehler früherer Einwanderungsperioden, sondern sie werden potenziert. Was wiederum nicht schlimm ist, wenn man sie als das sieht, was sie ist: eine humanitäre Leistung, bei der wir unseren Wohlstand mit anderen teilen. Nicht als ein Programm, um unsere demografischen Probleme zu lösen. Was bleibt, ist der Eindruck, dass es darum geht, die finanziellen Folgen zu beschönigen.

Hauptsache, es dient der guten Sache

Doch vielleicht geht diese Kommunikationsstrategie ja auf? Vor einem Jahr dominierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, die Medien mit seiner als „Studie“ beworbenen Überschlagsrechnung zu den wirtschaftlichen Folgen der Flüchtlingskrise. Keine der führenden Zeitungen und Magazine im Lande kam umhin, seine positive Nachricht prominent in die Welt zu tragen. Selbst im ungünstigsten Fall sollten die wirtschaftlichen Folgen positiv sein. Dass die Annahmen unhaltbar waren, interessierte niemanden. Die mittlerweile gewonnene Erkenntnis, dass die tatsächliche Integration signifikant schlechter erfolgt und deutlich hinter dem Negativszenario des DIW zurückliegt, fand – wenn überhaupt – nur in kleinen Meldungen Platz. Geblieben ist bei einem Großteil der Bevölkerung die Vorstellung, es gäbe den ökonomischen Nutzen.

Kein Problem, könnte man meinen, dient es doch einer offeneren Haltung zur Zuwanderung und verhindert eine weitere Zunahme der Fremdenfeindlichkeit. In der Tat scheinen das auch viele Bürger genauso zu sehen. Nach meinem im Spiegel abgedruckten Streitgespräch mit Marcel Fratzscher erreichten mich nicht wenige Zuschriften, die mir in meiner Kritik an den unhaltbaren Annahmen in Fratzschers Rechnung zustimmten, jedoch mit Blick auf die Stimmung in der Bevölkerung darum baten, dies nicht so laut zu sagen. Es sei letztlich egal, ob die Rechnung stimme, Hauptsache, sie diene der guten Sache.

Konjunkturkrise brächte das Kartenhaus zum Einsturz

Meine große Sorge ist jedoch: Was passiert, wenn die gute Konjunktur, in der wir uns sonnen, zu Ende geht? Noch nie hielt ein wirtschaftlicher Aufschwung ewig an. Dies gilt wohl auch für den derzeitigen. In der Tat sind die Risiken in der Weltwirtschaft erheblich. Dann werden wir in eine Situation kommen, wo nicht sprudelnde Einnahmen – die Steuereinnahmen stiegen alleine 2016 gegenüber dem Vorjahr um fast 20 Milliarden Euro – verteilt werden, sondern stagnierende oder gar schrumpfende. Spätestens dann werden mehr Bürger direkt spüren, dass es sehr wohl Menschen gibt, denen etwas weggenommen wird. Die Folgen werden verheerend sein. Es wird genau das Gegenteil von dem eintreten, was die Befürworter der Zuwanderung mit ihren gegenwärtigen Aussagen erreichen wollten.

Abraham Lincoln hat gesagt: „You can fool all the people some of the time, and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time“ (Man kann das ganze Volk einen Teil der Zeit täuschen und einen Teil des Volkes die ganze Zeit über. Aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen). Das gilt gerade auch in der Zuwanderungsfrage.

Aktualisierung: In einer früheren Fassung wurde die Bertelsmann-Stiftung dahingehend zitiert, als habe sie belegt, dass Einwanderer per se eine ökonomische Belastung seien.

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