Klimawandel und Naturkatastrophen - Wir müssen lernen uns anzupassen

Die Debatte um den Klimawandel fokussiert sich zu sehr auf die Vermeidung von Treibhausgasen, schreiben der Soziologe Nico Stehr und der Klimaforscher Hans von Storch. Stattdessen müsse die Vorsorge vor Extremereignissen Priorität haben. Die Regierung aber investiere zu wenig in die Forschung

Dürren werden zunehmen / picture alliance
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Nico Stehr ist Kulturwissenschaftler, Soziologe und Autor. Zuletzt ist von ihm und Dustin Voss im Velbrueck Verlag das Buch erschienen: „Geld. Eine Gesellschaftstheorie der Moderne.“

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Hans von Storch ist einer der bedeutendsten deutschen Klimaforscher. Der 69 Jahre alte ehemalige Leiter des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht war Professor
an der Uni Hamburg, am Max-Planck-Institut für Meteorologie sowie an der Ocean University of China. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt Klimapolitik.

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Die öffentliche Diskussion zur Klimaproblematik wird anscheinend von der Illusion befördert, dass sich das Problem in den kommenden Generationen lösen lässt. Realistisch sind dagegen weiter steigende Emissionswerte in den kommenden Jahren und damit eine Verstärkung der Erderwärmung über Jahrzehnte und Jahrhunderte. Gelingt es, die globale Emission der Treibhausgase in den kommenden Jahrzehnten zu eliminieren, so eine häufig geteilte Ansicht, sei das unangenehme Problem „kurzfristig“ gelöst. Das ist nachweislich falsch. Dies heißt aber nicht, dass man die Anstrengungen zur Vermeidung vernachlässigen kann. Im Gegenteil, unsere Verantwortung für zukünftige Generationen erfordert es, die Klimapolitik der Minderung erheblich zu stärken. 

In der Tat, der Handlungsbedarf dürfte nicht dringender sein. Deshalb hat die aufgeheizte Klimadiskussion der vergangenen Woche ihr Gutes. Das Klimathema ist in Deutschland wieder einmal mit an die Spitze der dringenden politischen Inhalte befördert. Es wird heftig über politische und gesellschaftlich durchsetzbare Lösungsansätze gestritten. Aber fast immer und immer noch nur einseitig. 

Ist der Klimawandel irreversibel?  

Der Fokus der politischen und gesellschaftlichen Debatte liegt schon wie vor 20 oder mehr Jahren auf Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgase. Dazu zählt nicht nur die Bepreisung von CO2, sondern auch die Aufforstung unseres Waldbestands, die Förderung von erneuerbaren Energien, beispielsweise die Errichtung von Windrädern (bei den damit verbundenen Schwierigkeiten), die Elektromobilität, die Isolierung von Immobilien, die Reduktion der Mehrwertsteuer auf Fahrkarten der Bahn, Verbotszonen von Dieselfahrzeugen in den Städten  und so weiter. Das vorhandene politische Kapital wird ausschließlich in die Vermeidung investiert. Dies sind zweifellos beförderungswürdige Unterfangen, wie eine anscheinend wachsende Mehrheit der Politik, der Medien und der Bevölkerung von Ausnahmen abgesehen erkennt.

Ein öffentlich wenig diskutiertes Phänomen ist dagegen die Verweildauer der Treibhausgase in der Atmosphäre. Diese variiert. Bis die Gase aus der Atmosphäre herausgewachsen sind, vergehen Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende. Genauere Erkenntnisse haben wir nicht, oder anders formuliert, die Reversibilität des vom Menschen verursachten Klimawandels ist eine unbekannte Größe. Eine jüngste Studie  schätzt, dass der Klimawandel erst 1000 Jahre, nachdem die Emissionen vollständig gestoppt worden sind sich, umkehren würde. In anderen Worten, der anthropogene Klimawandel ist mindestens ein Millennium lang irreversibel. Und selbst eine erstrebenswerte, die Treibhausgase in der Atmosphäre reduzierende Wirtschaft wird für eine menschlich fast schon unvorstellbare Zukunft nichts an den Folgen der Haltezeit der Treibhausgase in der Atmosphäre ändern können.

Starkregen, Wirbelstürme, Hitzeperioden

1. Es gibt zumindest drei wichtige Gründe, warum sich die Politik, die Gesellschaft und die Wissenschaft dringend nicht nur um die Abschwächung des Klimawandels, sondern auch um Vorsorgemaßnahmen als Reaktion auf die Folgen des Klimawandels kümmern müsste:

2. Es gibt keine aufeinander abgestimmte Zeitskalen nachhaltiger Ergebnisse der Mäßigung und dem Klimawandel. Die Erfolge der Mäßigung des Ausstoßes von Treibhausgasen zeigen sich erst in ferner Zukunft. Eine Welt, in der nur noch geringe Mengen von CO2 emittiert werden, kommt zu spät, um den Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten zu begrenzen. Die bisherigen, unbegrenzten Emissionen stellen sicher, dass der Klimawandel unsere Lebensbedingen radikal verändern wird. 

3. Die Gefährdung durch klimabedingte Extremereignisse wie Starkregen, Überschwemmungen und Hitzeperioden ist in vielen Regionen dieser Welt schon heute sehr groß. Man denke nur an New Orleans. Die Verletzlichkeit unserer Existenzgrundlagen steigt in dem Maß, in dem die wachsende Weltbevölkerung in Regionen siedelt, die gefährdet sind, in der wachsende Bevölkerungsgruppen schutzlos marginalisiert werden und auf Grund der politischen Ökonomie Opfer von so genannten Naturkatastrophen werden.

Die Regionen dieser Welt, deren Existenzgrundlagen von den Folgen der weltweiten Klimaveränderungen besonders betroffen sein werden, fordern schon heute mit Recht und mit wachsendem Nachdruck, dass sich die Welt um ihren Schutz und nicht nur um den Schutz des Klimas kümmern müsse.

Vorsorge ist leichter als Mäßigung

Trotz der bisher gegenteiligen Ansichten aller politischen Parteien, zum Beispiel der erkennbaren Angst, von Klimavorsorgeprogrammen zu sprechen, ist Anpassung als Vorsorgemaßnahme politisch wesentlich leichter durchzusetzen und zu legitimieren als Mäßigungsstrategien; so hat die Vorsorge den enormen Vorteil, dass ihr Erfolg nicht in ferner Zukunft eintritt. Wenn es beispielsweise darum geht, durch Innovationen in Wissenschaft und Technik Lösungen für ein Problem zu finden, lassen sich diese viel leichter darstellen, wenn sie als Adaptionsmaßnahmen gedacht werden.

Durch Anpassungsstrategien lassen sich auch mehrere Ziele auf einmal leichter erreichen: Die Verbesserung der Lebensqualität, die Verringerung sozialer Ungleichheit und ein Mehr an politischer Teilhabe schließen einander nicht aus. Die Risiken und Gefahren im Umgang mit Unsicherheiten, etwa neuen Technologien, sind im Falle von Anpassungsmaßnahmen geringer. 

In die Forschung investieren 

Adaptionsprozesse können zum Motor dessen werden, was wir heute nachhaltiges Wirtschaften nennen. Anpassung kann dazu führen, dass der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert wird. Anpassung und Mäßigung widersprechen sich nicht. Nur: Reduktion allein führt nicht unbedingt zur Anpassung. Jede Nachhaltigkeit ist lokal. Es geht nicht nur darum, die Küstendeiche zu erhöhen, sondern um ein Bündel von Maßnahmen im Gesundheitswesen, der Mobilität, der Erwartungen an den Wohnraum, der Wasserversorgung, dem Flächenverbrauch, der Sozialisierungsmuster, der Demokratie oder dem Management der Ökosysteme der Küsten.

Man muss in den kommenden Jahrzehnten zunehmend an das Machbare denken. Und das Machbare ist Vorsorge – zu unser aller Vorteil. Kurz und radikal formuliert, wir sollten uns daran machen, zu überleben und wir können deshalb nur fordern, endlich private und öffentliche Mittel für eine intelligente Vorsorgeforschung und -maßnahmen für alle Lebensbereiche des Menschen bereitzustellen. Bisher geschieht auf diesem Gebiet kaum etwas. Die Wirtschaft und die Politik fürchten sich immer noch, das Wort Anpassung beziehungsweise Vorsorge auszusprechen. Das muss sich ändern. Anpassungsmaßnahmen sollen zumindest gleichwertige politische Ziele sein. Die Risiken und Gefahren im Umgang mit den Unsicherheiten der Folgen Klimawandel müssen ganz oben auf die politische Agenda.

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