Clubsterben in Berlin - „Wir werden das bitter bezahlen“

Stirbt die Clubkultur in der Coronakrise, droht Berlin zu einer Hauptstadt aus Stahlbeton-Zentren zu werden. Davor warnt Berlins Kultursenator Klaus Lederer im „Cicero“-Interview. Gefährlich sei der Immobilienboom und die zögerliche Bundesregierung. Aber auch illegales Feiern bedrohe die Clubs.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) / Bastian Brauns
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Herr Lederer, sind die Berliner Clubs systemrelevant?
Ob man es systemrelevant oder nicht systemrelevant nennt: Orte, an denen Kunst und Kultur stattfinden kann, sind in jeder demokratischen Gesellschaft essenziell. Sie sind relevant, als Orte, die die Systemfrage stellen. Denn es sind kritische Orte, an denen Alternativen diskutiert und vorgelebt werden.

Auf welche Weise?
Clubs sind in einer Stadt immer auch „Safe Spaces“ für Menschen, die nicht den gängigen Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft entsprechen, wie beispielsweise einem heteronormativen Bild. Es sind Orte des Experimentierens und Ausprobierens, in denen immer wieder auch neue Formen von musikalischen, aber auch performativen Ideen entstehen. Viele von ihnen sind auch Orte des politischen Austauschs und der Diskussion.

Und es sind bedrohte Orte.
Ja, und das nicht erst seit Corona. Berlin hat sich in den vergangenen Jahren enorm verdichtet. Brachen und Leerstände sind immer weiter verschwunden. Spätestens seit der Finanz und Wirtschaftskrise 2008/2009 führte die Suche nach Kapitalanlagen in Immobilien und Entwicklungsprojekte zu massiv steigenden Preisen weltweit und auch hier. Das macht Clubs als Orte für alternatives Denken oder für kulturelle Innovation noch bedeutsamer.

Welchen Anteil hat die Gentrifizierung?
Wachstum verändert eine Stadt infrastrukturell: Es braucht Schulen, Kitas, Nahverkehr, andere öffentliche Einrichtungen und auch Wohnraum. Es ist eng geworden in Berlin, zusätzlich verschärft durch die Gentrifizierung und die Inwertsetzungsstrategien. Die Freiräume der neunziger Jahre sucht man jetzt mit der Lupe. Aber in den Clubs existiert noch immer das, was die Besonderheit Berlins aus den neunziger Jahren ausgemacht hat. Clubs sind oft ganz anders organisiert, als man es von klassischen Wirtschaftsbetrieben kennt. Viele Kollektive versuchen eine andere Art des miteinander Arbeitens und Lebens zu verwirklichen.

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In Clubs kommen Menschen einander sehr viel näher als anderswo. Ausgelassen feiern, den Alltag, seine Regeln und Zwänge vergessen. Wir müssen lernen mit dem Coronavirus zu leben, heißt es oft. Für Clubs ist das aber kaum umsetzbar, oder?
Wir werden erst dann wieder in der Lage sein, Clubs in gewohnter Weise bedenkenlos zu öffnen, wenn ein Impfstoff oder ein Medikament vorliegen. Bis dahin ist aufgrund der Art und Weise, wie sich der Virus überträgt, das Feiern in der Pandemie mit einem sicheren Club-Betrieb nicht vereinbar. Körperliche Nähe, enge, gefüllte und vor allem schlecht belüftbare Räume – das geht nicht zusammen. Das wissen auch die Betreiber der meisten Clubs. Ein Öffnen mit einem Bruchteil der Auslastung und sehr hohen infrastrukturellen Anforderungen an Sicherheits- und Hygienekonzepte lohnt sich für die meisten Clubs überhaupt nicht. Einige Clubs denken sich nun Alternativen aus. Wir unterstützen das auch, soweit wir das können, finanziell.

Aber im Ernst, wer will denn Biergarten statt Berghain?
Ich kann nachvollziehen, dass die Leute keine Geduld mehr haben und feiern wollen. Immerhin haben wir seit einigen Monaten ein sehr niedriges Ansteckungsgeschehen. Aber manchmal denke ich auch: Ihr versteht offenbar nicht, auf was für einer Insel der Freiheit wir hier trotz geschlossener Clubs leben. Im Vergleich zu anderen Ländern hatten wir keinen wirklich schweren Lockdown und auch keine schweren Ausbrüche mit sehr vielen Toten. Wenn wir das aufs Spiel setzen, weil wir eben mal wieder feiern wollen, werden wir das bitter bezahlen. Es liegt im Interesse aller, auch der Clubs und der Clubkultur, dass wir das Maß an Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen, das man angesichts dieser Pandemie an den Tag legen muss. Je mehr wir das tun, desto schneller werden wir wieder Clubkultur erleben.

Wie versuchen Sie, aktuell Lösungen zu entwickeln?
Wir stehen im Austausch mit Menschen, die sich mit solchen Dingen auskennen. Das geht von Epidemiologen, Virologen über Pneumologen bis hin zu Lüftungstechnikern. In diesem Netzwerk sprechen wir uns regelmäßig. Ich versuche mich auf dem Laufenden zu halten in Bezug auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zum Pandemieverlauf, zu Übertragungswegen und zu Optionen einer medizinischen Lösung. Der Rest ist Prinzip Hoffnung. Ich kann nicht anders, als mich Stück für Stück voranzutasten und bei neuen Erkenntnissen immer wieder zu schauen, was wir tun können.

Die Berliner CDU fordert, dass Vermieter freiwillig auf ihre Pacht verzichten, um den Clubs zu helfen. Eine gute Idee?
Ich habe keine Zeit für PR-Gags dieser Art. Die CDU hat mir bis heute keinen Vermieter präsentieren können, der das freiwillig macht. Schon vor der Pandemie haben wir über den Bundesrat eine Novelle zum Gewerbemietrecht von der Bundesregierung eingefordert, um auch Clubs und andere Gewerbe stärker vor Verdrängung und Gentrifizierung zu schützen. Das liegt bis heute irgendwo auf Eis. Keiner kümmert sich darum. Wenn die CDU das Gewerbe insgesamt und nicht nur die Kultur in diesen Zeiten stärker schützen und Vermieter an den Kosten der Pandemie beteiligen wollen würde, hätte die CDU jede Möglichkeit gehabt, auf Bundesebene eine entsprechende Gesetzesreform durchzuführen. Alle Forderungen liegen auf dem Tisch. Auch, dass Selbstständige bei den Bundeshilfen berücksichtigt werden, scheint die Regierung nicht machen zu wollen.

Ihre Kollegin, die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop fordert nun, Freiflächen für einen Open-Air-Club-Betrieb bereitzustellen. Wann ist damit zu rechnen?
Wir arbeiten seit dreieinhalb Jahren daran, Flächen in der Stadt zu identifizieren, die man als nicht-kommerzielle Felder nutzen kann. Das „Model Space Project“ ist so ein Beispiel, das wir als Kulturverwaltung mit unterstützen. Es ist in einem so dichten urbanen Raum allerdings nicht einfach, Flächen zu finden, wo Menschen in großer Zahl unproblematisch miteinander feiern können. Ein Konflikt ist beispielsweise der Lärmschutz. Die sehr hohen Hürden habe ich mir a) nicht ausgedacht und b) kann man sie nicht einfach wegschieben. Die Offenheit der Bezirke, solche Flächen zur Verfügung zu stellen, hielt sich also ohnehin in Grenzen. Mit der Pandemie ist das nicht leichter geworden. Ich versuche, was ich kann, um die Bezirke zur Bereitstellung von Flächen und zu einem unkomplizierten Ermöglichen von Kunst im öffentlichen Raum unter den Bedingungen der Pandemie, zu veranlassen. Das gilt nicht nur für Clubs, sondern für Kunst und Kultur jeder Art.

Solch aufwendige Open-Air-Events dürften den Clubs finanziell aber kaum helfen. Aber braucht es per se weiter staatliche Unterstützung? Clubkultur ist das genaue Gegenteil von Staatskultur. Die Betreiber sind stolz, selbst Kreatives und Freies zu schaffen. Wie passen Staatshilfen zum Selbstverständnis der Szene?
Dieser Stolz ist unbedingt berechtigt, insbesondere für die Anfangsjahre. Da ist es gelungen, in einer Stadt, in der viel ungenutzter Raum existierte, alternative Räume und auch alternative Logiken zu etablieren. Dass dies auch weiterhin möglich ist in einer sich immer weiter kommerzialisierenden Welt, ist mein Ziel. Ohne nicht-kommerzielle Kultur wäre Berlin nicht Berlin. Wenn nun eine Situation entsteht, in der wegen einer Pandemie im Kulturbereich von heute auf morgen de facto sämtliche Einnahmen wegbrechen, müssen wir helfen. Oder wir sagen: „Es ist uns egal. Das ist höhere Gewalt.“ Dazu bin ich nicht bereit, ich akzeptiere das nicht. Ich werde beim Wegsterben der Kulturlandschaft nicht tatenlos zusehen.

Aus Zerstörung entstand aber immer wieder Neues. Der in den Neunziger Jahren renommierte DJ Westbam etwa glaubt, diese Krise könnte entstandene Monopole bestimmter Clubs aufbrechen.
Ich glaube, wenn wir die Orte sterben lassen, würde sich da nicht plötzlich wieder etwas entwickeln. Erstens, weil die Freiräume von früher gar nicht mehr existieren. Zweitens, weil in jede Lücke, die gerissen wird, mit Macht das in Immobilien angelegte Kapital drängt. Berlin würde sich mit rasanter Geschwindigkeit dahin entwickeln, wo andere europäische Metropolen längst sind: ein Berlin mit Stahlbeton-Zentren, in denen sich außer Berufstätigen keiner mehr umtreibt.

Teilen Sie die Hoffnung, dass an einer bald verkehrsberuhigten Friedrichstraße wieder Clubs entstehen werden?
Ich glaube nicht, dass die Frage der Entstehung von Clubs mit Verkehrsberuhigung zu tun hat, sondern schlicht mit den Werten und Wunschvorstellungen von Preisen pro Quadratmeter Boden. Wenn sich an der Friedrichstraße ein Club entwickelt, dann mit Sicherheit einer, wo man über die Türschwelle kommt, indem man mit seinem guten Namen und mit erheblichen Beträgen bezahlen muss. Ob es das ist, was ich mir unter Clubkultur vorstelle? Darüber müssen wir nicht diskutieren.

Die Vorsitzende der Clubcommission, Pamela Schobeß, sagte in einem Interview: „Wenn wir ehrlich sind, sind wir eigentlich alle insolvent“. Wie schlimm steht es um die mehr als 140 Berliner Clubs?
Sie beschreibt die ökonomische Realität, die entsteht, wenn Fixkosten bleiben und Einnahmen von heute auf morgen ins Bodenlose fallen oder auf null zurückgehen. Es gab ein ganz großes Maß an Solidarität innerhalb der Clubszene, digitale DJ-Livestreams mit entsprechenden Spendenkampagnen oder den Versuch, sich durch Aufnahme von Krediten über die Zeit zu hangeln. So toll diese Solidarität, die ja auch Wertschätzung ist, ist, war mir von Beginn an klar, dass sich das nicht Monat um Monat so weiter durchführen lässt. Darum habe ich bereits ab März im Senat versucht, Druck zu machen, um ein Nothilfeprogramm auf die Beine zu stellen. Das hat dann viel länger gedauert, als ich mir das je hätte vorstellen können. Wenn es nach mir gegangen wäre, wären im April die ersten Hilfen geflossen.

Warum hat das nicht geklappt?
Weil wir in der Pandemie auch Neuland betreten und weil natürlich auch andere Ressorts mit ganz eigenen Vorstellungen kommen. Wir hatten in Berlin mit unserer Soforthilfe innerhalb von fünf Tagen ganz vielen Selbstständigen und Freiberuflern geholfen. Dafür mussten wir dann einen Shitstorm bis hin zu massiver Kritik der Bundesregierung ertragen, weil Geld angeblich ohne jede Kontrolle einfach an die Leute gegeben worden sei.

Können Sie diese Bedenken denn einfach so beiseite zu schieben?
Die meisten Kulturbetriebe sind keine normalen Wirtschaftsbetriebe. Schon vor der Pandemie wurden hier keine großen Gewinne gemacht. Das sind sehr häufig Liebhaber-Projekte, bei denen man über den Betrieb ungefähr das reinbekommt, was man an Ausgaben hat. Solchen Betrieben zu empfehlen, Kredite aufzunehmen, ist zynisch, zumal wir nicht wissen, wie lange die Pandemie noch dauert. Es ist nicht davon auszugehen, dass man nach dem Ende der Pandemie plötzlich doppelt so viele Veranstaltungen macht, doppelt so viele Karten verkauft oder doppelt so viele Einnahmen erzielt. Insofern sind Kredite für die meisten Kulturbetriebe keine Option.

Auf die Kritik haben Sie dennoch reagiert und sind bei den finanziellen für die Clubs vorsichtiger geworden?
Solche Kritik ist immer schnell erhoben. Darum haben wir mit dem Antragsverfahren zur Soforthilfe IV, der Hilfe für kleine und mittlere Kulturbetriebe, sichergestellt, dass das Geld nur jene bekommen, die es brauchen. Die erste Runde ist gelaufen, für die zweite Runde ab September haben wir die Zugangsbedingungen erleichtert. Bisher konnten sich nur Clubs ab zehn Mitarbeitern bewerben. Ab September wird es schon ab zweien möglich sein.

Wie lange soll das so weitergehen?
Die übernächste Förderrunde soll es für die Monate Dezember bis Februar geben. Dann sehen wir weiter und schauen, wie die Pandemie-Entwicklung verläuft. Ich habe von Anfang an gesagt: Ich werde um jeden Kulturbetrieb in dieser Stadt kämpfen. Ich kann aber nicht dafür garantieren, dass wir alle erhalten können. Aber ich tu alles, was ich tun kann.

Aber wollen Sie, wenn es keinen Impfstoff geben wird, noch in zehn Jahren die Clubs retten?
Berlin hat eine Kulturlandschaft, die ganz wesentlich das Gesicht dieser Stadt prägt, sie ist ein Berlin konstituierendes Stück Stadt. Ich fühle mich in der Pflicht, alles zu tun, um die Kunst und Kultur zu erhalten. Denn das ist das, was nach der Pandemie die verlässliche Basis für das ökonomische Überleben dieser Stadt sein wird. Wer in der Pandemie nicht hilft, hat danach nichts mehr.

Das Interview führte Bastian Brauns, Ressortleiter Wirtschaft bei Cicero.

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