Karstadt-Kaufhof-Schließungen - „Es ist wirklich ein Erdbeben!“

Die Schließungen von 62 Karstadt-Kaufhof-Filialen treffen Mitarbeiter und Städte in ganz Deutschland. Im „Cicero“-Interview spricht der Berliner Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf über die fatalen Folgen für den Kiez und die Fußgängerzonen.

Eine von 62, die geschlossen werden: Karstadt-Filiale an der Wilmersdorfer Straße in Berlin / Marguier
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Karstadt-Kaufhof will 62 von insgesamt 172 Warenhaus-Filialen schließen, darunter auch eine große Filiale an der Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße in Berlin-Charlottenburg. Wie haben Sie als Bezirksbürgermeister davon erfahren?
Bereits seit Ostern bin ich zur Problematik einer drohenden Schließung in engem Kontakt mit der Geschäftsführung des Hauses gewesen, auch mit dem Betriebsrat und mit übergeordneten Stellen im Konzern. Ich habe deshalb auf sehr kurzem Draht gewissermaßen High-Noon-mäßig schon von der bevorstehenden Schließung erfahren, bevor die Öffentlichkeit informiert wurde. Es ist eine wahre Hiobsbotschaft!

Es bahnte sich also an, dass auch die Charlottenburger Filiale betroffen sein würde?
Ich wusste zumindest, dass der Standort in Gefahr ist, weil das Eigentum am Grundstück und an der Immobilie nicht im Portfolio des Karstadt-Konzerns liegt, sondern bei einer Vertretung der C&A-Eigentümerfamilie Brenninkmeyer in Düsseldorf. Der Standort hier an der Wilmersdorfer Straße hat ja sogar schwarze Zahlen geschrieben. Aber durch eine hohe Mietzinsbelastung war er gefährdet. Deswegen bestand die Notwendigkeit, dass die Eigentümer der Immobilie mit der Miete deutlich runtergehen und eine dauerhafte Existenz für das Haus ermöglichen. Das hat am Ende leider nicht stattgefunden, trotz persönlicher Intervention auch meinerseits in Düsseldorf.

Was bedeutet die Schließung eines solchen Hauses für einen Kiez? Das Karstadt-Warenhaus ist ja so etwas wie das Herz der Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße.
Absolut. Karstadt an der Wilmersdorfer Straße ist ein Traditionsstandort, der bis in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückgeht. Die Schließung ist für die Wilmersdorfer Straße verheerend – das gilt übrigens für alle innerstädtischen Standorte, die jetzt große Karstadt-Warenhäuser verlieren. Es ist dramatisch, weil Fußgängerzonen generell auf Flaggschiffe wie eben Karstadt- oder Kaufhof-Filialen angewiesen sind. Denn um solche Flaggschiffe herum gruppieren sich andere, kleinere Einzelhändler, die auf die Magnetwirkung eines großen Warenhauses angewiesen sind. An der Wilmersdorfer Straße gibt es zwar mit den Wilmersdorfer Arcaden noch eine Shoppingmall, aber ohne den Karstadt gerät das gesamte Einzelhandels-Gefüge in erhebliche Schieflage.

Reinhard Naumann, SPD

Was können Sie als Bezirksbürgermeister dagegen unternehmen?
Allein in Berlin sind ja von den Schließungen noch weitere sechs Bezirke betroffen, und überall ergeben sich daraus ganz ähnliche Probleme. Deswegen werden sich die Bürgermeisterkollegen und ich uns sehr schnell miteinander kurzschließen und sicherlich eine konzertierte Aktion gegenüber dem Senat unternehmen müssen. Es geht jetzt einfach darum, was Berlin tun kann, um wirtschaftspolitisch ein Ausbluten der Bezirke in Sachen Einzelhandel zu verhindern. Es wäre ein Fanal, wenn es durch die Schließungen der Karstadt-Kaufhof-Warenhäuser jetzt zu einem Rutschbahneffekt nach unten käme. Und diese Gefahr droht ganz objektiv.

Sehen Sie noch eine Restchance, dass der Standort Wilmersdorfer Straße doch erhalten bleibt?
Das wäre ein Blick in die Glaskugel. Ich weiß, dass in allen betroffenen Städten in ganz Deutschland derzeit die Alarmglocken schrillen, und dass sich überall Amtsträger wie ich bei den Verantwortlichen eingesetzt haben. Die Argumentation im Karstadt-Konzern lautet jetzt, die Schließung der 62 Filialen sei Voraussetzung dafür, dass die anderen Standorte dauerhaft überlebensfähig sind. Da werden natürlich die Interessen der einzelnen Häuser gegeneinander ausgespielt. Wir werden als Bezirksamt zusammen mit dem Senat jedenfalls alles dafür tun, um die Schließung zu verhindern.

Was, wenn es nicht gelingt?
Dann gilt es zunächst einmal, sich um die etwa 200 Filialmitarbeiter zu kümmern, die ja einen Altersdurchschnitt von Mitte 50 haben und von denen die meisten Frauen sind. Es geht hier also auch um die berühmten Verkäuferinnen und Kassiererinnen, die ja für ihren Einsatz während der Corona-Krise eben noch mit Lob überschüttet wurden. Für diese Beschäftigten muss man im Wege einer Auffanggesellschaft eine solidarische Perspektive bieten. Ich finde, es kann nicht sein, dass am Ende die staatlichen Rettungsmilliarden nur bei TUI und Lufthansa landen.

Wie würde es ohne den Karstadt mit dem Handelsstandort Wilmersdorfer Straße weitergehen? Die Probleme sind ja, wie gesagt, vergleichbar mit denen anderer Städte.
Ja, wir stehen alle vor den gleichen Problemen – ob hier in Charlottenburg oder sonst wo zwischen Lübeck und München. Wir alle wissen, dass sich das Kaufverhalten dramatisch verändert hat. Ich bin in den letzten Jahren wie ein Wanderprediger unterwegs gewesen nach dem Motto: „Hey Leute, achtet bei eurem Einkauf darauf, dass ihr euch nicht im Kaufhaus beraten lasst – und dann für fünf Euro weniger zuhause im Internet bestellt!“ Das führt nämlich am Ende zu verödeten, ausgebluteten Innenstädten. Und für dieses Verhalten ist uns jetzt als Gesellschaft leider auch die Quittung präsentiert worden.

Aber da können Sie als Kommunalpolitiker ja nicht viel dran ändern.
Am Kaufverhalten der Menschen nicht – von Mahnungen einmal abgesehen. Aber es gibt natürlich durchaus Instrumente wie das Regionalmanagement, um Handelsstandorte wieder attraktiver zu machen. Ich erinnere nur daran, dass vor zehn Jahren der Ku-Damm einen Durchhänger hatte. Und da haben wir als Kommunalpolitik mit vielen städtebaulichen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen verhindern können, dass der Kurfürstendamm auf Dauer einen Niedergang erleidet. Es muss auch darum gehen, die verbliebenen Einzelhändler besser miteinander zu vernetzen. Da wird viel Phantasie und Arbeit nötig sein – und zwar in den einzelnen Bezirken, aber auch von Seiten des Senats.

So eine Kaufhaus-Immobilie ist ja von erheblicher Größe. Wie kann denn ein derartiges Gebäude genutzt werden, um einen Leerstand zu verhindern?
Natürlich ist das nicht einfach. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da jetzt schnell ein anderes Kaufhaus einzieht – denn wo sollte das herkommen? Das Gebäude ist jedenfalls als Handelsstandort definiert. Und weil sich gegenüber bereits eine Shoppingmall befindet, wird an Stelle von Karstadt wohl auch keine weitere Mall entstehen. Das Risiko eines längeren Leerstands ist also leider nicht von der Hand zu weisen. Und wir werden uns alle sehr kreativ Gedanken darüber machen müssen, mit welchen Strategien eine Verödung der Innenstädte verhindert werden kann. Es ist wirklich ein Erdbeben, das wir gerade erleben.

So ein Kaufhaus hat natürlich auch eine soziale Funktion. Im Karstadt konnte man ja von der Bratwurst bis zum Stopfgarn alles unter einem Dach kaufen. Gerade für ältere Menschen, die nicht so viel im Internet bestellen oder von einem Laden zum nächsten laufen können, ist die Schließung doch besonders bitter.
Das ist so. Karstadt an der Wilmersdorfer Straße war wirklich das Warenhaus für die Leute, die im Kiez leben – und keine Touristenattraktion wie etwa das KaDeWe. Daraus ist übrigens aktives soziales Engagement der Belegschaft in die Nachbarschaft hinein erwachsen. Kunden und Mitarbeiter kannten einander zum Teil seit vielen Jahren; die Karstadt-Filialleitung hat auch lokale Projekte gefördert wie etwa Mädchen und Frauen auf dem zweiten Bildungsweg zu unterstützen. Deswegen schmerzt mich die beschlossene Standortschließung besonders schlimm. Dieses Karstadt war einfach Teil eines lebenden Organismus hier in der City West. Das sollte auch in Zukunft so bleiben.

Die Fragen stellte Alexander Marguier.

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