Junge Jäger - Waidfrauheil

Lange Zeit hatte die Jagd das Image eines Brauchtums alter Männer mit eingestaubten Traditionen. Doch inzwischen entdecken immer mehr junge Menschen das naturnahe Hobby für sich – die Jagd-Szene wird urbaner, digitaler und weiblicher.

Mit Tattoos, Dreadlocks und Rauhaardackel: Jägerin Shanna Reis / Paula Markert und Bernd Hartung
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Autoreninfo

Jan Karon, 25, ist als Sohn polnischer Eltern in Südwestdeutschland aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaft in Heidelberg und Oregon (USA). Heute arbeitet als freier Journalist in Berlin und schreibt unter anderem für VICE.

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„Kornblumen, Klatschmohn, Phacelia“, zählt Shanna Reis auf, während sie entlang einer eigens angelegten Blumenwiese läuft, auf der sich gelbe, blaue, rote und grüne Farbtöne vermischen. Es zirpt und zwitschert, eine konstante Geräuschkulisse. Die Wiese sei „Naturschutzraum“ und „Ausgleichsfläche“, sagt Reis, Rauhaardackel Henriette an ihrer Seite, damit dort Insekten und Singvögel Schutz finden. Keine zwei Kilometer weiter südlich der Wiese, im rheinhessischen Aspisheim, befindet sich ihr Weingut, Reis & Luff – ein Familienbetrieb mit 20 Hektar, auf denen Riesling, Dornfelder und Müller-Thurgau wachsen. Und rund 800 Meter weiter nordwestlich der Blumenwiese steht ein Hochsitz, von dem aus die 29-Jährige in ihrer Freizeit auf Rehe und Wildschweine zielt.

Eigentlich ist dies eine Geschichte über die Jagd, eine jahrtausendalte Kulturtechnik, bei der Menschen Tiere erlegen, und die sich im 21. Jahrhundert rasant wandelt – doch wenn es nach Shanna Reis geht, sind die Blumenwiese, das Weingut und eben die Jagd Teil eines großen Ganzen.

Neue Jägergeneration

„Es liegt in unserer Pflicht, das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten“, sagt Reis, die blonden Dreadlocks zum Zopf hochgesteckt. Ihre Arme zieren florale Tattoos und die Aufschriften „Memento Mori“ und „Vanitas“. Dann zählt sie auf: „Wir bejagen den Fuchs und den Waschbären, damit der Fasan und der Hase hier leben können.“ – „Es braucht Wild­äcker, damit Rebhühner Brutplätze finden und Bienen erhalten bleiben.“ – „Wir schießen das Reh, weil wir einen möglichst kleinen Fußabdruck hinterlassen.“ Mit ihren Aktivitäten zwischen Weinreben und Wild verfolgt sie das, was sie einen „ganzheitlich nachhaltigen Lebensentwurf“ nennt.

Damit repräsentiert Shanna Reis nicht weniger als eine neue Generation von Jägern und Jägerinnen, die das Jagd-Klischee von alten Herren mit Gamshüten hinter sich lassen will. Reis’ Jäger-Generation ist weiblicher, digitaler, nachhaltiger und jünger. Im Waidwerk, um eine traditionelle Vokabel zu bemühen, sieht sie die bewusste Entscheidung für Artenschutz, Ökologie und CO2-armes Fleisch, das aus örtlichen Wäldern statt aus Agrarfabriken stammt.

Die Veränderungen der eigenen Klientel fallen mittlerweile auch dem Deutschen Jagdverband auf. Inzwischen sind diesem zufolge mehr als ein Fünftel der Jagdschul-Absolventen weiblich. 23 Prozent kommen aus Städten, 21 Prozent geben an, Quereinsteiger zu sein und nicht etwa aus Familientradition zur Jagd gefunden zu haben. „Natürlich sind das immer noch Minderheiten, aber die Tendenz geht ganz klar in die Richtung, dass sich das Jagen in den letzten Jahren massiv wandelt“, so Verbandssprecher Torsten Reinwald gegenüber Cicero. Die häufigsten Motive, weshalb sich junge Menschen inzwischen für die Jagd entscheiden, seien die Nähe zur Natur, angewandter Naturschutz und bewusster Fleischkonsum. „Für viele junge Menschen bedeutet Jagd heutzutage, Lebensräume mitzugestalten, Tierbestände im Sinne der Natur zu regulieren, Teiche anzulegen, kurz: ein Leben im Einklang mit der Umwelt zu führen.“

Blaues Blut und eigene Sprache

Wer sich davon überzeugen will, wie das Klischee des Jägers aussieht, wird in Film und Fernsehen fündig. Der bayerische Spielfilm „Jennerwein“ von 2003 zeigt das Leben des gleichnamigen bayerischen Wilderers aus dem 19. Jahrhundert. Als Zuschauer taucht man schnell ein in eine Welt, in der Forstbeamten in klassischer Montur auf Gamsjagd gehen. Zugegeben, der Film orientiert sich am 19. Jahrhundert, aber er gilt noch heute in vielen Kreisen als Klassiker. In der 2018 veröffentlichten französisch-belgisch-deutschen Krimiserie „Die purpurnen Flüsse“ hingegen handelt die Doppelfolge „Die letzte Jagd“ von einem Mord am Spross des Adelsgeschlechts von Geyersberg, einer Jägerfamilie. Das Opfer wird mit drei Zweigen im Mund aufgefunden: eine Referenz auf den sogenannten „Letzten Bissen“, ein Bruchritual, mit dem Jäger erlegten Tieren die letzte Ehre erweisen. Die Repräsentation der Jäger in der Serie: als Noblesse mit dunkler Familiengeschichte, erbend, reich und auf Pferden reitend.

Shanna Reis hat kein blaues Blut, kennt aber die gängigen Darstellungen der Jagd. „Natürlich gibt es viele dieser tradierten Elemente und oft einen Bezug zum Adel“, sagt Reis. Die Jagd ist bei adeligen Familien beliebt, etwa Thurn und Taxis, die in Bayern und Baden-Württemberg einen 3000 Hektar großen fürstlichen Forst mitsamt Schloss pflegen, auf dem sie auch jagen gehen. 

Reis betont, dass es ihr nicht darum gehe, Traditionen über Bord zu werfen. In der Jagdschule würden Bruchrituale noch immer gelehrt, ebenso das traditionelle Jagdvokabular, das mitunter eine eigene Sprache konstituiert. Spricht man mit Jägerinnen wie ihr, erfährt man, dass die „Blutspur“ eine „Schweißfährte“ ist, der ausgeschiedene Kot als „Losung“ bezeichnet wird. Ein männliches Wildschwein im zweiten Lebensjahr nennt man umgangssprachlich „Hosenflicker“, ein männliches Reh „Jährling“. Insgesamt umfasst die Waidmannssprache etwa 13 000 Begriffe, von denen noch etwa die Hälfte in Gebrauch ist – viele davon sind über Generationen überliefert, und wenn Shanna Reis diese Begriffe verwendet, wenn sie von ihrem Hobby spricht, hat man das Gefühl, ein altes Brauchtum habe sich in eine Zeit verirrt, in der es nichts mehr zu suchen hat. Eigentlich.

Tradition in der digitalen Ära

Shanna Reis selbst kommt aus einer Jägerfamilie. In dem Haus der Familie in Aspisheim hängen Urkunden aus vier Generationen. Vor ihr jagten bereits der Urgroßvater, Großvater und Vater, sie ist die erste Frau in der Familie. Bevor sie Winzerin und Jägerin wurde, studierte sie Politikwissenschaft, wollte Journalistin werden und mit der Familientradition so wenig wie möglich zu tun haben. Mit Anfang 20 entschied sie sich dafür, einen Jagdschein zu machen, wechselte die Universität und studierte internationale Weinwirtschaft im Bachelor und Business Administration mit Schwerpunkt Wine, Sustainability and Sales im Master.
„Ich habe irgendwann gemerkt, dass das Leben als Winzerin und Jägerin, welches ich hier in Aspisheim habe, mir alles bietet, was ich will und was mir wichtig ist“, sagt sie lachend. In diesem Sinne ist die Jagd vielleicht auch ein Distinktionsmittel, was viele von Reis’ Altersgenossen nutzen, um das vorzuleben, was Menschen in Großstädten vermissen: das Leben mit der Natur vor der eigenen Haustür.

Inzwischen aber tritt sie nicht nur in die Fußstapfen ihrer Eltern und Großeltern, sondern überführt das Brauchtum in eine neue Ära. Reis ist nämlich das, was man eine Jagd-Influencerin nennen kann. Auf ihrem Online-Blog schreibt sie gegen Klischees an und berichtet von Jagderlebnissen. Auf dem Social-Media-Dienst Instagram folgen ihr mehr als 22 000 Personen. Dort präsentiert Reis erlegte Füchse, zeigt Selfies vom Hochsitz oder posiert vor blühenden Wildäckern. Geld verdient Reis damit nach eigener Aussage nicht, aber durch ihre Reichweite wird sie als Rednerin eingeladen und von Jagdzubehörfirmen wie Pfanner oder Sauhund kostenlos ausgestattet. Für die ist sie eine ideale Markenbotschafterin, die das Equipment der Zielgruppe auf digitalen Kanälen präsentiert.

Töten aus guten Gründen

„Das Feedback auf meine Aktivitäten ist überwiegend positiv“, sagt Reis. Sie berichtet, über soziale Medien Freundschaften in ganz Deutschland geknüpft zu haben. Die Kehrseite der Medaille: Wann immer sie erlegte Tiere zeigt, kann sie sich sicher sein, Hassnachrichten zu erhalten. Und sie ist kein Einzelfall: Vor drei Jahren sorgte der Fall einer anderen Influencerin, Waldfräulein, für Aufsehen: Auf Facebook prasselten mehr als 2000 Hasskommentare innerhalb von 48 Stunden auf die Frau ein, als sie das Bild eines toten Fuchses präsentierte. 

Auch Reis ist mit den Dynamiken von sozialen Medien vertraut. „Das emotionalisiert die Menschen extrem“, so die 29-Jährige, „aber in dem Sinne ist es vielleicht besonders wichtig weiterzumachen, weil dadurch Aufklärung geleistet und Verständnis geschaffen werden kann.“ Der Fuchs, den sie geschossen und auf Instagram hochgeladen hat, tötete zuvor fünf Hühner des Familienbetriebs. „Es gab für uns guten Grund, ihn zu erlegen.“

Mit ihren Online-Aktivitäten steht Shanna Reis für einen Trend. Denn die Jagd ist im World Wide Web angekommen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Im populären Podcast „Teppe und Schwenen op Jagd“ besprechen zwei Jäger aus Niedersachsen Themen wie Wildschäden, Jagdhundeprüfungen oder Locktaubenjagd. Auf Youtube finden sich professionell produzierte Videoreportagen, bei denen Jäger Schwarzwild schießen und dabei ihr Vorgehen auch für Laien verständlich erklären. Und auf Apps wie „Jagdwetter“ werden Windstärke, Sonnenaufgangszeiten und die saisonalen Jagdzeiten smartphonegerecht aufbereitet: ein altes Brauchtum, überführt in die digitale Sphäre.

Gibt es einen Generationenkonflikt?

400 Kilometer nördlich von Shanna Reis’ Weingut wohnt Gert von Harling. Harling, 1945 geboren und Autor von mehr als einem Dutzend Bücher über die Jagd, ist gewissermaßen der Gegenentwurf zur Generation Instagram, eine graue Eminenz oder ein Spiritus Rector könnte man sagen. In seinem Haus am Rande Lüneburgs reihen sich Geweihe von geschossenen Oryxantilopen aus Afrika und Hirschen aus Russland. Jagdreisen führten ihn nach Sibirien und in das damalige Jugoslawien, nach Tansania und Namibia, nach Venezuela und Neuseeland. Für die australische Regierung bejagte er zu groß gewordene Wildschweinbestände, für die Fachzeitschrift Wild und Hund schrieb er mehr als zehn Jahre lang Artikel. Von Harling schaut auf ein Leben zurück, das er der Jagd gewidmet hat.

Wenn man von Harling fragt, wie er zur Jagd gekommen sei, erzählt er von den Jahren nach dem Krieg, dem Aufwachsen auf einem Forstgut nahe Celle, wo er schon als Kind mit einer Schrotflinte schießen durfte und zwischen Hunden und Pferden groß wurde. „Das Jagen ist nichts, was ich mir bewusst ausgesucht habe oder für das ich mich irgendwann entschied; es war schlichtweg immer Teil meines Lebens.“ 

An der jungen Jägergeneration äußert er Zweifel. „Junge Menschen aus unserer urbanen Gesellschaft haben sich heute aus der Natur entkoppelt“, sagt der 78-Jährige etwa. Die Jagd sei für ihn immer eine Tätigkeit gewesen, bei der der Mensch durch List die Natur überwinden und dabei auf Signale aus der Natur, also Geräusche oder Spuren, hören müsse. „Heute ist das nicht mehr der Fall. Heute setzen sich junge Menschen auf den Hochsitz, schreiben sich Nachrichten auf Whatsapp und warten ein paar Stunden und schießen dann Wild, das ihnen vor die Flinte läuft.“

Jagen ist nicht einfach ein Hobby

Besonders der Einsatz technischer Hilfsmittel befremdet von Harling. Dass es inzwischen geruchsneutralisierende Schutzkleidung gebe, die Jägern beispielsweise erlaubt, die Windrichtung zu ignorieren, oder Infrarot- und Wärmebildkameras, die scheues Wild im Dickicht identifizieren, ist für ihn schwer zu verstehen. „Damit verschafft sich der Mensch einen Vorteil, der eigentlich nichts mehr mit dem zu tun hat, wie Jagd funktioniert.“ 

Von Harling, der von sich in der dritten Person spricht, so gut wie jede Vogelart am Gesang erkennen kann und in Sommernächten immer noch im Wald vor seiner Haustür übernachtet, beobachtet mit Sorge, dass für viele junge Menschen die Jagd nur noch ein weiteres naturnahes Hobby geworden sei, „wie Angeln oder Segeln oder Klettern“. 

Keine Sorge um Nachwuchs

Gibt es einen Generationenkonflikt zwischen alten und jungen Jägern? „Natürlich gibt es Unterschiede“, sagt Shanna Reis. Sie kennt die Verwunderung, wenn sie beim Bier nach der Jagd als einzige Frau dabei sei. Oder auch markige Sprüche älterer Männer, die sie auf ihre Dreadlocks ansprechen. „Davon habe ich mich aber nie abschrecken lassen.“ Die Jagd ist seit jeher eine Männerdomäne. Doch auch dies verändert sich sukzessive: Vor 25 Jahren war nur 1 Prozent der Jagdscheininhaber Frauen, heute sind es 7 Prozent, und in Jägerkursen liegt der Anteil bereits bei rund einem Viertel.

Auch Gert von Harling sieht – trotz seiner Kritik – positive Entwicklungen. Vor 20, 30 Jahren habe er sich noch Sorgen gemacht, dass nicht genügend Jäger in den Folgegenerationen nachkommen würden. Heute haben rund 400 000 Menschen in Deutschland einen Jagdschein, die Zahl wird immer größer. Und: Die Jagd findet mehr Zustimmung. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2020 ist mehr als die Hälfte der Befragten positiv zur Jagd eingestellt, ein Fünftel mehr als noch im Jahr 2003. Auf die Frage, ob das nicht eigentlich eine Entwicklung in seinem Sinne sei, antwortet von Harling: „Das kann ich nicht verneinen.“ 

Die Frage nach mehr Akzeptanz

Die Veränderung hin zum Digitalen, Jüngeren, Weiblicheren beobachtet auch Reis und sagt, dass das etwas sei, was sich nicht aufhalten lasse; eine Transformation, die sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche zieht. „Warum sollte das für die Jagd nicht gelten?“ Und dass gewisse Dinge sich veränderten, sei im Zweifelsfall etwas Gutes, weil gerade eine zeitgenössischere Interpretation mit Digitalformaten, Apps und technischen Hilfsmitteln dafür sorge, dass man gesellschaftlich immer mehr Akzeptanz erfährt.

In Teilen der Gesellschaft, vor allem innerhalb von Städten und radikalen Tierschutzbewegungen, sei die Jagd schließlich noch immer geächtet, sagt Reis. Jäger müssen sich dann anhören, dass sie eigentlich nur Beute machen wollten, kaltblütige Tiertöter seien, Tierquälerei hinnähmen und auf Kosten der Natur und ihres Gleichgewichts einem Hobby nachgehen. Der Naturschutzbund Nabu fordert etwa kürzere saisonale Jagdzeiten, das Knüpfen der Jagd an eine sinnvolle Weiterverwendung des getöteten Tieres (auch bei Füchsen), eine Veränderung der Jagdmethoden bis hin zum Einsatz bleifreier Munition. „Eine solche Erneuerung des Bundesjagdgesetzes würde massive Einschnitte bedeuten“, warnt Gert von Harling.

Diese Forderungen werden auch politisch formuliert, und zwar von den Grünen. In einem Positionspapier ihrer Bundesarbeitsgemeinschaft Tierschutzpolitik aus dem Jahr 2013 finden sich zahlreiche Nabu-Punkte, darunter Verbote von Fallen-, Bau- und Beizjagden, keine Ausbildung von Jagdhunden an lebendigen Tieren oder ein Stopp der Jagd in biologischen Schutzgebieten und Naturreservaten. 

Grüne kann sie nicht wählen

„Die Grünen sind für mich leider nicht wählbar“, sagt etwa Shanna Reis. Ausgerechnet diejenige, die sich einem ganzheitlich ökologischen Lebensentwurf verschreibt, erteilt der Ökopartei eine Absage, weil diese, so Reis, sich klar gegen Jagd ausspreche und strenger reglementieren will. Man könnte es auch anders sagen: Ausgerechnet diejenige, die keine Nutztiere isst – Reis konsumiert kein Fleisch bis auf Wild –, hat es satt, sich für das Jagen zu rechtfertigen. 

Apropos Konsum: Fast 34 000 Tonnen Wildbret haben die Deutschen vergangenes Jahr verspeist, ein Rekordwert. Das Wildfleisch ist vitamin- und nährstoffreich, cholesterin- und fett­arm. Durch den hohen Anteil an essenziellen Omega-3-Fettsäuren ist es eine Alternative zu herkömmlichen Fleischprodukten. Zwar stoßen auch Rehe, Hirsche oder Wildschweine das klimaschädliche Methangas aus, für sie braucht es jedoch keine Massentierhaltung, keine zusätzlichen Futtermittel oder Weideflächen.

Inzwischen wird heimisches Wild in Sterne-­Restaurants wie dem Kin Dee in Berlin verkauft, wo die Gastronomin Dalad Kambhu thailändische Küche mit deutschem Wildschwein serviert. Es gibt exklusive Essmeilen wie die Markthalle Neun in Kreuzberg, wo die Metzger von Kumpel & Keule Rehfleisch von einem Brandenburger Wildhof beziehen. Wild ist längst auch bei vielen Supermarktketten und Metzgern erhältlich.

Schwer zu verkaufen

„Für viele Deutsche ist Wild ja noch immer dieses Festmahlgericht, das es ein oder zwei Mal jährlich gibt“, sagt Reis, „aber eigentlich könnte es Einzug in unseren Alltag halten, ob bei Grillpartys oder in der Kantine.“ Akzeptanz fürs Jagen, davon ist Reis überzeugt, werde sich dann durchsetzen, wenn sich Konsumenten bewusst für die Fleischprodukte entscheiden. Aktuell aber sind die Vertriebswege kompliziert: Nicht in allen Teilen Deutschlands ist Wild einfach erhältlich, in vielen Revieren können nur Tiere am Stück erworben werden, und durch die einzelnen Distributionsschritte ist es immer noch ein vergleichsweise kostspieliges Vergnügen. 

Dazu kommen etliche – zudem teure – Regulierungen, die es Jägern schwermachen, das eigens geschossene Fleisch in Wildkammern zu Verkaufsprodukten umzuwandeln. Besonders absurd, so Reis, empfinde sie Wildfleischangebote, bei denen Tiere von Wildfarmen aus Australien oder Neuseeland nach Deutschland verschifft und für niedrige Preise verkauft werden. „Dabei haben wir diese Tiere doch eigentlich vor unserer Haustür.“ 

Gert von Harling ist da weiter: Das Wild, das er etwa als Ragout verkocht, stammt aus Norddeutschland. Die Wildkräuter, die er dazu als Salat isst, pflückte er selbst im Wald. Inzwischen hat er eher das Problem, dass er und seine Frau, beide Rentner, nicht mehr so viel essen können. Damit er das geschossene Wild servieren kann, lädt er an Wochenenden Sohn und Tochter ein. 
„Die gehen selbst ebenfalls jagen und haben inzwischen eigene Kinder, die ich schon im frühen Kindesalter auf den Hochsitz mitnehme“, so der 78-Jährige. „Irgendwo müssen die Enkel es ja lernen.“

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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