Jörg Hahn - Nostalgie in Vinyl

In Mecklenburg hat Jörg Hahn das größte Schallplattenpresswerk Europas aufgebaut. Einst hat er die Schallplatte gerettet, jetzt profitiert er von deren weltweitem Boom

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Der aufregendste Moment ist für Jörg Hahn, wenn die Originalstudioaufnahmen eintreffen / Thomas Meyer/Ostkreuz
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Til Knipper leitet das Cicero-Ressort Kapital. Vorher arbeitete er als Finanzredakteur beim Handelsblatt.

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Es ist schwer zu sagen, wann Jörg Hahns Augen stärker leuchten: Wenn der Automatisierungstechniker schildert, wie er in Röbel an der Müritz Europas größtes Schallplattenpresswerk aufgebaut hat. Oder wenn er erzählt, wie es ihm zu DDR-Zeiten gelang, Pink Floyds Doppel-LP „The Wall“ zu ergattern. Wenn es allerdings darauf ankommt, siegt doch der Ingenieur in ihm über den Musikliebhaber. Und der 53-jährige Geschäftsführer von Optimal Media präsentiert stolz die 37 Schallplatten-Pressautomaten.
Der Lärm in der Werkshalle ist ohrenbetäubend, es riecht nach verbranntem Gummi. Die Pressen funktionieren wie Waffeleisen. Das Polyvinylchlorid wird auf 130 Grad Celsius erhitzt und durch eine Art Fleischwolf zu einem Vinylkuchen geformt. Der wird automatisch in die Mitte der Presse befördert. Dann schließt sich das Waffeleisen mit 150 Tonnen Druck, formt die Schallplatte und presst auf beiden Seiten die Tonspur in den Kunststoff. Die Schallplatte fällt zum Abkühlen auf eine Spindel. Nach 25 Sekunden ist sie fertig.

Bis zu 70 000 Platten kann das Unternehmen täglich pressen, im Jahr 24 Millionen. Die Maschinen laufen im Vierschichtbetrieb sieben Tage die Woche, nur Ostern und Weihnachten wird kurz pausiert. „Wir haben uns 1995 entschieden, in die Vinylproduktion einzusteigen, zu einem Zeitpunkt, als alle anderen rauswollten“, sagt Hahn. Dafür übernahmen sie von den großen Musiklabels wie Warner und Sony die alten Maschinen und die Aufträge gleich mit. Die hatten den Glauben an Vinyl verloren. Hahns antizyklische Investition hat sich gelohnt. Der Vinylabsatz hat sich allein in Deutschland seit 2006, als mit 300 000 verkauften LPs der Tiefpunkt erreicht war, auf 3,1 Millionen verkaufte Exemplare 2016 mehr als verzehnfacht. In anderen wichtigen Musikmärkten wie den USA und Großbritannien verläuft die Entwicklung ähnlich.

Das Rundumpaket 

Um die Kapazität zu erhöhen, hat Hahn Pressmaschinen, die seit Mitte der achtziger Jahre nicht mehr produziert werden, in ganz Europa aufgekauft. Er ist dafür bis nach Finnland und Russland gereist und hat sogar eine Maschine aus dem Berliner Technikmuseum reaktiviert. Seit kurzem läuft in Röbel auch eine neue Presse. „Es ist ein Pilotprojekt mit einem schwedischen Hersteller, der wieder Vinylpressen herstellt“, sagt Hahn. Wenn sich das Gerät bewährt, wird er weitere Maschinen ordern.
„Die Schallplattenproduktion macht bei uns inzwischen gut 30 Prozent des Umsatzes aus“, sagt Hahn. Mit seinen knapp 700 Mitarbeitern hat er im vergangenen Jahr 108 Millionen Euro erwirtschaftet. Die Umsatzrendite lag im knapp zweistelligen Bereich. Den Rest des Geldes bringen CDs und hochwertige Bücher, die in der eigenen Druckerei hergestellt werden.
In der Mischung sieht Hahn den großen Vorteil von Optimal gegenüber den Wettbewerbern: „Wir können hier alles aus einer Hand anbieten: CD, DVD, Blu-Rays, Vinyl sowie zugehörige Cover, Verpackungen, Sammelboxen und Bücher.“ So entstehen Sondereditionen mit dazugehörigem Buch wie die „Beatles in Mono“, alle Studio-LPs mit Cover, Book­let, neu abgemischt in den Abbey­-Road-Studios und gepresst an der Mecklenburgischen Seenplatte. Die Kundenliste ist lang: Die Ärzte, Tote Hosen, Deichkind, Beginner, Adele, Radiohead, Eric Clapton, Pink Floyd – Hahn könnte ewig mit seiner Aufzählung fortfahren.
Nostalgisch wird der ansonsten eher nüchterne Ingenieur, wenn es um Pink Floyd geht: „The Wall war meine erste LP, eine Lizenzpressung, die in der DDR gar nicht verkauft werden durfte.“ Um solche Raritäten zu bekommen, reiste Hahn in den achtziger Jahren nach Prag, Budapest oder Moskau, wo das Angebot größer war. Heute vergleicht er gerne, wenn er Zeit hat, die alten Scheiben aus seiner Sammlung mit den bei Optimal gepressten Neuauflagen.

Nische für das Geschäft mit Schallplatten

Der aufregendste Moment ist für Hahn, wenn die Originalstudioaufnahmen eintreffen – entweder digital über eine sichere Datenleitung oder als Tonband. Im hauseigenen Studio wird dann mit einem Diamantstichel die Tonspur in die kostbare Masterplatte geschnitten. Sie ist die Vorlage für die Pressmatrizen. Dass der Vinylboom nicht ewig andauert, ist Hahn klar. „Aber auch wenn der Hype nachlässt, wird eine Nische für das Geschäft mit Schallplatten übrig bleiben.“ Eine Nische, in der man sich in Röbel schon komfortabel eingerichtet hat.

 

Dieser Text stammt aus der Märzausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

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