Rücktritt von Bundesbankpräsident Weidmann - Der Lotse geht von Bord

Nach über zehn Jahren im Amt tritt Bundesbankpräsident Jens Weidmann zurück. Er selbst sagt, dass persönliche Gründe hinter der Entscheidung stünden. Doch es kann auch ein persönlicher Grund sein, wenn man als Mahner nicht ausreichend Gehör findet.

Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank während der wöchentlichen Kabinettssitzung im Kanzleramt / dpa
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Bernd Lucke war Mitbegründer und Vorsitzender der AfD, deren marktwirtschaftlichen und liberalen Flügel er bis zu seiner Abwahl im Juli 2015 vertrat. Nach seinem Austritt aus der AfD gründete der 58 Jahre alte Wirtschaftsprofessor die Partei Alfa heute Liberal-Konservative Reformer , für die er bis 2019 im EU-Parlament saß. Lucke lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg.

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Jens Weidmann verlässt die Deutsche Bundesbank. Er legt sein Amt vorzeitig nieder, wissend, dass sein Vorgänger Axel Weber ein Gleiches getan hat. Und wissend, dass jeder weiß, warum Weber nicht länger Bundesbankpräsident sein wollte: Weil die EZB Dinge macht, die er nicht für richtig hält. Die massiven Ankäufe von Staatsanleihen zum Beispiel. So sagte Weber es in aller Deutlichkeit in einem Interview mit der Wochenzeitschrift Die Zeit. Allerdings erst zwei Jahre nach seinem Rücktritt.

Weidmann sagt, sein Rücktritt habe persönliche Gründe. Mehr sagt er nicht. Er weiß, dass er nicht mehr sagen muss. Je schmallippiger er das Amt verlässt, desto mehr wird darüber spekuliert, dass er ähnliche Gründe hat wie sein Vorgänger. Er tut nichts, um diesen Eindruck zu zerstreuen.

Persönliche Gründe? Mag sein. Die Enttäuschung darüber, mit den eigenen geldpolitischen Ansichten nicht ausreichend Gehör zu finden, kann freilich auch ein persönlicher Grund sein. Mehrfach war Weidmann sogar in öffentlichen Stellungnahmen auf Distanz zu den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank gegangen. Distanz zu einer beispiellosen Ausdehnung der Geldmenge, zu Null- und Negativzinsen, zum immer weiter ausufernden Aufkauf von Staatsschulden. Distanz – aber nie offene Ablehnung.

Vertrauen als wichtigste Aufgabe

Distanz: Mehr konnte er nicht tun. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. „Geld ist geronnenes Vertrauen“, sagte Weidmann einmal völlig zu Recht. Dieses Vertrauen – und nur dieses Vertrauen – sichert den Wert unserer Währung. Deshalb darf ein Bundesbankpräsident die EZB-Politik nicht öffentlich kritisieren, auch wenn er sie für falsch hält. Es ist seine ureigene und wichtigste Aufgabe, das Vertrauen in die Währung zu erhalten. 

Meinungsverschiedenheiten unter Zentralbankern gehören hinter verschlossene Türen. Nach außen muss Geschlossenheit demonstriert werden, sonst läuft man Gefahr, das Vertrauen in die Währung zu untergraben. Weidmann weiß das und alle Mitglieder des EZB-Rates wissen das auch. Aber was soll man machen, wenn Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, öffentlich neue Aufgaben für die EZB beschreibt, die einem gestandenen Ordnungsökonomen und Marktwirtschaftler die Haare zu Berge stehen lassen?

Der größte Gläubiger

Vertraglich ist die EZB zur Wahrung der Preisstabilität verpflichtet. Preisstabilität hieß stets: Eine Inflationsrate unter 2 Prozent. Frau Lagarde aber setzte durch, dass die EZB jetzt auch eine Inflationsrate von über 2 Prozent für Preisstabilität halten darf. Wieviel über 2 Prozent und wie lange über 2 Prozent – das lässt Frau Lagarde offen.

Vertraglich ist es der EZB verboten, den Regierungen der Eurozone Kredite einzuräumen. Denn das führt zu unsoliden Staatshaushalten und zu Inflation. Aber längst ist die EZB der mit Abstand größte Gläubiger aller Mitgliedsstaaten der Eurozone. Und das, was angeblich eine temporäre Maßnahme vor dem Hintergrund drohender Deflation war, wird von Frau Lagarde gerade zielstrebig zu einem permanenten Instrument umgebaut, das auch in Zeiten steigenden Inflationsdrucks eingesetzt werden soll. Wie ein Mahlstrom saugt die EZB ständig mehr Staatsanleihen auf und speit am anderen Ende frisch geschöpftes Geld in das Bankensystem.

Vertraglich darf die EZB keine Wirtschaftspolitik betreiben, denn sie unterliegt keiner demokratischen Kontrolle. Gerade Jens Weidmann hat immer darauf Wert gelegt, dass die EZB wirtschaftspolitisch neutral bleiben muss.

Aber Frau Lagarde sieht das anders. Die EZB soll grüne Investitionen finanzieren, auch soziale Investitionen und Investitionen in gute Regierungsführung. Doch der guten Zwecke gibt es viele, und nicht immer ist viel auch gut. Wer den einen Zweck bevorzugt, benachteiligt den anderen. Wieviel Demokratie, wieviel Marktwirtschaft bleibt uns, wenn die Institution, die das Geld druckt, so auf den Märkten eingreift, wie sie es für richtig hält?

Der Verlust des Kapitäns

Die EZB wurde einst nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank modelliert, weil die Bundesbank für Solidität, Preisstabilität und wirtschaftlichen Erfolg stand. Niemand kann bestreiten, dass die heutige EZB eine Zentralbank ganz anderen Typs geworden ist: aktionistisch, interventionistisch, politisch. Und die Reise ist noch lange nicht zu Ende. Schon gar nicht, wenn Menschen, die noch einen guten ökonomischen Kompass haben, das Schiff verlassen.

Mit Weidmann verliert die Bundesbank nicht nur ihren Kapitän, sondern die EZB auch ihren ordnungspolitischen Lotsen. Sein Rücktritt erinnert ein wenig an den Abgang Bismarcks, den Kaiser Wilhelm II mit den Worten kommentierte: „Der Kurs bleibt der alte und nun Volldampf voraus!“ EZB-Präsidentin Christine Lagarde würde es wohl genauso formulieren. Weidmann störte. Nicht, weil er sich grundsätzlich gegen den Kurs der EZB gestemmt hätte, sondern weil er stets mit guten ökonomischen Argumenten auf die Klippen im Fahrwasser der EZB hingewiesen hat.

Sein Nachfolger wird stromlinienförmiger sein – dafür sorgt Olaf Scholz. Und Christine Lagarde kann dann trotz steigender Inflation mit Volldampf voraus fahren. Hoffentlich endet es nicht wie bei Wilhelm II mit einem Schiffbruch.

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