Schnelles Geld mit Domainhandel - Abwarten.de

Einst war der Handel mit Webseiten-Adressen ein Traum vom schnellen Geld im Internet. Manche wurden so zu Millionären. Doch die meisten der Domainhändler warten bislang umsonst auf das Geschäft ihres Lebens

Erschienen in Ausgabe
Als 1991 die erste Webseite an den Start ging, begann das Geschäft mit den Adressen noch mit großer Euphorie / Jan Robert Dünnweller
Anzeige

Autoreninfo

Timo Lehmann arbeitet als freier Reporter in Hamburg und Berlin

So erreichen Sie Timo Lehmann:

Anzeige

Wenn man im Domaingeschäft was reißen will, muss man ein bisschen in die Zukunft schauen“, sagt Jens Mechelke, 52 Jahre alt, Glatze, groß gewachsen und breitschultrig. Er sitzt an diesem lauen Sommerabend in einem schummerigen Restaurant in Hamburg-Eimsbüttel. 16 Jahre ist es her, da blickte Mechelke selbst in die Zukunft und kaufte sich für ein paar Euro die Domain bäckerei.de. Seitdem wartet er „auf die große Summe“, wie er sagt. Ein paar Hundert Euro erhofft er sich mindestens bei einem Verkauf. Irgendwann wird schon irgendeine Großbäckerei anbeißen, hofft er.

Geschichten wie diese haben viele in der Runde um Jens Mechelke zu erzählen. Es ist das „große Klassentreffen“, wie sie es nennen. Zweimal im Jahr treffen sich im Block House in Hamburg-Eimsbüttel die „Domainer“ zu ihrem Stammtisch. Menschen, die Webseitenadressen kaufen und verkaufen. Sie handeln mit den digitalen Grundstücken des Internets. Ganze Konzernimperien wie Google oder Facebook ließen sich auf ihnen errichten. Die URL-Pioniere von einst sind inzwischen die alten Herren des Internets. 15 Männer sind an diesem Abend zugegen, früher waren es mehr als hundert. Selbst aus Dubai und Australien kamen Domainer angereist, um sich in Deutschland auszutauschen.

Die große Anfangseuphorie

Die digitale Revolution hat schon viele ihrer nerdigen Kinder gefressen – Foren verschwanden, eigenständige Onlinehändler wichen den überlegenen Strukturen von Amazon, kleinere soziale Netzwerke wie StudiVZ leben nur noch in der Erinnerung weiter. Noch besteht die wohl letzte Pioniergruppe des Internets – rund 300, schätzen sie, sind es in Deutschland, die im großen Stil mit Webseitennamen handeln. New­comer gibt es kaum noch – man kennt sich. Frauen sichtete auch noch keiner von ihnen. Webseitendomänen, eine reine Männerdomäne.

Das Geschäft mit den Adressen begann einst mit großer Euphorie. 1991 ging die erste Webseite des World Wide Web an den Start. Das schweizerische Forschungszentrum Cern hatte das System der Hyperlinks entwickelt – anklickbare Verweise. Die Vernetzung der Welt per Telefonkabel begann. Von einem der ersten und erfolgreichsten Domainhändler erzählen sie sich immer wieder gerne: Rob Grant, der Vater des US-Popstars Lana Del Rey. Grant arbeitete Mitte der neunziger Jahre als Werber in Manhattan und zog nach einem Burn-out mit seiner Familie in die Berge Upstate New Yorks, in den Ort Adirondack. Günstig erwarb er mehrere Häuser in der Region. Als er sie wieder verkaufen wollte, legte er sich eine Internet­adresse zu: www.AdirondackRealEstate.com. Viele Menschen steuerten die Internetseite an. Grant spürte einen digitalen Wert, den es bis dahin noch nicht gab. Also investierte er – immer nach demselben Prinzip: der Name eines Bundesstaats oder einer Stadt, verbunden mit dem Zusatz: RealEstate.com. Und er claimte weitere Worte, begann, das Geschäft international zu betreiben. Ihm gehörten: CaribbeanResorts.com, LiteraryAgents.com, BookPublishers.com.

Domains werden heute überall geadelt

Bevor sich Suchmaschinen verbreiteten, zunächst hießen sie Lycos oder Yahoo, später Google oder Bing, gaben Internetnutzer Begriffe auf gut Glück in die Adress­zeilen ein und schauten so nach, ob es eine Webseite überhaupt gab. Innerhalb weniger Jahre vertausendfachte sich so der Wert von Internetadressen. Ein amerikanischer Traum ging in Erfüllung. Grant wurde einer der ersten Selfmademillionäre, die das Internet hervorgebracht hatte. Doch mitten im großen Aufstieg des Domainhandels platzte im März 2000 die Dotcom-Blase. Danach wagte kaum noch einer, in großem Stil in Domains zu investieren. Wer sich doch traute, konnte aber tatsächlich noch viel Geld verdienen. Denn nicht wenige Konzerne erkannten zu spät, wie wichtig die Domains für sie sind und mussten sie nachträglich teuer von den Domainhändlern erkaufen.

Gedealt werden Domains bis heute überall. Besonders große Summen fließen meist über den direkten Kontakt zwischen Inhabern und Interessenten. Auch auf der Internetbörse Sedo wird gehandelt, und mancher Glücksritter versucht, Domains wie kompaktversicherung.de oder sunshinebungalows.estate über Ebay zu versteigern. Unter den öffentlich bekannten Beispielen ist kredit.de die bislang teuerste Domain im deutschsprachigen Raum: 900 000 Euro hat der Leipziger Webportalbetreiber Unister 2008 gezahlt. Das inzwischen insolvente Unternehmen hatte sich auch die Rechte an Domains wie fluege.de, auto.de, geld.de oder preisvergleich.de gesichert. Der weltweit größte Deal war 2010 abgeschlossen worden. Für 36 Millionen US-Dollar kaufte die US-Marketingfirma Quinstreet Insurance.com, einschließlich der dazugehörigen Webseite. Apple soll für iCloud.com 2011 sechs Millionen Dollar bezahlt haben und Facebook knapp neun Millionen für fb.com. Aber nicht nur mit Spekulation ließ sich Geld verdienen. Mancher Domainhändler wurde plötzlich analoger Warenhändler. Wer etwa Domains wie betten.de oder stoffe.de besaß, konnte auf die Idee kommen, selbst Betten oder Stoffe zu verkaufen, obwohl eigentlich nur der Webseitenname zum Weiterverkauf gedacht war.

Die Euphorie verflog

Rob Grant ist heute wie seine Tochter ein Popstar – zumindest in der Szene der Domainhändler. Im Hamburger Block House ist viel von Legenden die Rede, auch von ihrem deutschen Helden Thomas Engelhardt, den sie „Engel“ nennen. Er war so etwas wie ihr Urdomainer, eine Szenegröße und schwerer Alkoholiker. Er starb vergangenes Jahr im Alter von 47 Jahren. „Engel war ein Verrückter, aber er fehlt schon hier“, sagt Gökhan Salus kauend in die Runde. Vor dem Domainer steht ein Teller mit einem saftigen, blutigen Stück Fleisch. Die anderen Männer nicken, schauen geradeaus ins Leere, als gingen ihnen Bilder von ihrem verstorbenen Freund durch den Kopf. Salus ist 38 Jahre alt, trägt ein dunkelblaues T-Shirt, er ist ziemlich korpulent, hat einen blonden Haarkranz, volle Lippen. Er sagt, Engel sei ein wirklich kreativer Mensch gewesen – nur Glück mit dem Domainhandel, den er so leidenschaftlich betrieb, hatte er wohl nie. Er habe auf die falschen Webseitennamen gesetzt, habe eher gehortet als klug ausgewählt.

Das Geschäft mit den Domains ging zurück, die Euphorie verflog / Jan Robert Dünnweller

Aber Engel brachte die Community einst zusammen. 2001 hatte er ihr erstes Treffen in einem Braunschweiger Motel organisiert. Da waren sie jung und in Goldgräberstimmung – hatten den Weg von Rob Grant vor Augen. Vom Postboten bis zum Chirurgen gaben manche ihre Berufe auf. Einige wurden tatsächlich zu Millionären. Heute sind hier 15 gealterte, eher unscheinbare Nerds versammelt, wie sie das Internet vor 20 Jahren anzog. Das Geschäft mit den Domains ging zurück, die Euphorie verflog, so erklären sie sich das sinkende Interesse am Stammtisch. Dabei gibt es heute 13,3 Millionen sogenannte .de-Top-Level-Domains, 1999 waren es gerade mal eine Million. Zwar kamen über die Jahre immer mehr Webseitennamen hinzu, aber die Zuwächse gehen zurück. 2017 entstanden nur noch 60 000 neue .de-Adressen, im Jahr 2006 waren es noch eine Million. Die Revolution, sagen sie hier, zeige erstmals Konsolidierungsphasen auf. Gegen 21 Uhr heben die Männer die Gläser, gefüllt mit Jägermeister – „Auf alte Zeiten“, hallt es durch das schummrige Restaurant, darauf, dass sie sich heute mal wiedersehen, darauf, dass es sie noch gibt. Gläser klirren, im Hintergrund säuselt Nullerjahre-Pop.

Google macht einen Strich durch die Rechnung

Die deutschen Domainer sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Man hat schon viel zusammen erlebt – in Krisennächten wurde durchgechattet und -geskypt. Unvergessen der Tag im Jahr 2008, als zweibuchstabige .de-Domains möglich wurden. Ursprünglich brauchte es für eine Internetadresse mindestens drei Buchstaben, etwa BMW.de, erzählen die Domainer. Die .de-Adressen werden von der Genossenschaft Denic verwaltet, die vertreibt sie auch an die ersten Besitzer, die Registratoren. Volkswagen klagte gegen Denic, sah sich im Wettbewerb benachteiligt, weil sie VW.de nicht registrieren konnte. Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt gab dem Konzern recht. Denic verkaufte daraufhin zweibuchstabige Domains und löste einen Run bei den Domainhändlern aus, der die Stammtischler bis heute beschäftigt. Noch immer gilt fürs Geschäft meist eine goldene Regel, sagen sie: je kürzer, desto wertvoller.

Aber auch Google machte ihnen immer wieder einen Strich durch ihre Rechnungen. Dessen Suchalgorithmus besteht aus verschiedensten Merkmalen und entscheidet, wie weit oben eine Webseite bei einer Suchanfrage rangiert. Früher war das Wort in der Internetadresse ein sicherer Faktor, um besonders weit oben in den Ergebnissen aufzutauchen – und damit mehr Nutzer auf die Webseite zu ziehen. „Suchmaschinenoptimierung“ (SEO), der sperrige Begriff spielt bis heute eine große Rolle im Internetgeschäft. Weil Google aber schon mehrfach seinen Algorithmus updatete und das Wort in der Adresse eine immer geringere Rolle spielt, verloren viele Webseiten, die Suchbegriffe in ihrer Adresse beinhalten, immer mehr an Wert. Das letzte Update von Google kostete einige Händler vierfache Summen. Viel Aufregung gab es in der Szene zuletzt vor drei Jahren, als die Chinesen auf die Idee kamen, ihre Milliarden-Staatsüberschüsse in Domains auf der ganzen Welt zu investieren, und die Preise plötzlich wieder in die Höhe stiegen.

Nur noch kurzweilige Trends

Als Gökhan Salus seinen dritten Jägermeister getrunken und ein Knoblauchbrot verputzt hat, tupft er mit einer Serviette seine Lippen ab und setzt an zu einem mündlichen Pamphlet: „Im Internet gilt: The winner takes it all“, bei Google sei das so, Facebook, Amazon – heute alles im Grunde Monopole. Die großen Dinger seien abgegrast. Heute gehe es im Internetgeschäft lediglich um kurzweilige Trends, um nichts Profundes mehr. Deshalb kämen jetzt die jungen Schönen, die das Internet nur noch schmücken und „vollmüllen“, die Selbstbezogenheit der Influencer und Start-upler, die gierigen Bitcoin-Zocker, alles unerträglich, findet Salus. „Heute gibt es im Internet wenigstens Frauen“, erwidert einer, als Salus seine Stammtischparole beendet. Ein paar nicken zustimmend.

„Unsere Hoffnung liegt in der Zukunft“, sagt ein anderer. Irgendwann wird man ihre Tausenden Domains schon noch brauchen. Ihre Wetten laufen noch – auf brennstoffzellenautos.de, fleisch-automat.de oder augenkrebs-impfung.de, und natürlich auf bäckerei.de. Um 0 Uhr heben die Domainer ihre letzten Jägermeister für heute. „Auf Engel“, ruft einer – „auf Engel!“

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten










 

Anzeige