Weltwirtschaft - Setzt jetzt die Inflation ein?

Nach vier Jahrzehnten sinkender Inflationsraten und Zinsen bringen die 2020er Jahre die Wende: Durch die explodierenden Staatsausgaben im Zuge der Coronakrise fließt endlich mehr Geld in die Realwirtschaft und dürfte so die Inflation anheizen. Was Investoren jetzt wissen sollten.

Bekommt fiskalpolitische Unterstützung für ihre Inflationsziele: EZB / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „Beyond the Obvious“. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group (BCG). Zuletzt erschien sein Buch „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.

So erreichen Sie Daniel Stelter:

Anzeige

Seit der Finanzkrise versuchen die Notenbanken dieser Welt mit aller Macht, die jeweilige Inflationsrate nach oben zu bringen. 2 Prozent jährliche Preissteigerung ist etwa das offiziell als „Preisstabilität“ postulierte Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese Inflation erscheint nötig, damit die Wirtschaft sich insgesamt gut entwickelt, und vor allem soll es so genug Sicherheitsmarge geben, um fallende Preise, also eine Deflation zu verhindern. Letztere ist gemeinhin das Schreckgespenst der Notenbanker, fürchten sie doch eine sich selbst verstärkende Abwärtsentwicklung aus fallenden Preisen einerseits und schrumpfender Wirtschaft andererseits.

In Wahrheit steht natürlich noch etwas anderes dahinter: Für Schuldner – und gemeint sind hier vor allem die Staaten – ist Inflation gut und Deflation schlecht. Je tiefer die Inflationsraten, desto schwieriger der Schuldendienst. Je höher, desto einfacher lassen sich die Schulden zurückzahlen. Angesichts der Rekordverschuldung in der westlichen Welt sind die tiefen Inflationsraten der vergangenen Jahre also ein erhebliches Problem.

Es ist ein Problem, an dessen Lösung die Notenbanken bereits seit zehn Jahren scheitern. Trotz Negativzins und Wertpapierkäufen in Billionenhöhe ist es der Europäischen Zentralbank nicht gelungen, die Inflation weiter nach oben zu bringen. Im Gegenteil weisen Studien ziemlich überzeugend nach, dass das billige Geld dazu beiträgt, schlechte Schuldner am Leben zu erhalten, statt sie insolvent gehen zu lassen. Diese auch als „Zombifizierung“ beschriebene Entwicklung hat Überkapazitäten und Preisdruck zur Folge, führt also zu tieferen, nicht wie gewünscht höheren Inflationsraten.

Der überwiegende Teil des von den Notenbanken in die Märkte gepumpten Geldes hat die Realwirtschaft also nicht erreicht. Es blieb im angeschlagenen Bankensystem stecken oder floss an die Vermögensmärkte – ein Blick auf die Preisentwicklung von Immobilien genügt hierzu.

Endlich fließt Geld in die Realwirtschaft

Doch inzwischen bahnt sich genau hier eine echte Wende an: Im Zuge der Corona-Krise explodieren Staatsausgaben mit einem Mal weltweit. Allein die Industrienationen werden nach Schätzungen der OECD ihre Schulden im Jahr 2020 um mehr als 18 Billionen Dollar erhöhen. Ein guter Teil dieser Schulden wird von den Notenbanken finanziert, meist noch mit einem Umweg über das Bankensystem und zunehmend auch direkt. Damit fließt das Geld im Unterschied zu den vergangenen Jahren tatsächlich in die Realwirtschaft und wird auf diese Weise nachfragewirksam. 

Zunächst sind Wachstumsraten der Geldmengen von mehr als 30 Prozent pro Jahr angesichts des erheblichen Konjunktureinbruchs kein Problem. Sie tragen dazu bei, den Absturz abzumindern und die Erholung zu beschleunigen. Es ist jedoch gut möglich, dass es dabei nicht bleibt. Denn die Angebotsseite der Wirtschaft ist ebenfalls getroffen: Wertschöpfungsketten werden neu geordnet, die Globalisierung in Teilen zurückgedreht. Hinzu kommt der einsetzende Rückgang der Erwerbsbevölkerung aufgrund der voranschreitenden Alterung. Höhere Inflation wird damit zu mehr als einer nur theoretischen Möglichkeit.

Eine gefährliche Zeit für Investoren

Die Notenbanken werden dem wenig entgegenzusetzen haben. Zu groß ist der Bedarf der Schuldner, gerade auch bei höherer Inflation die Zinsen tief zu halten. Zu groß sind die Möglichkeiten der Staaten, über Anlagevorschriften Großinvestoren wie Versicherungen weiterhin in die Anleihen zu treiben. Es ist gut möglich, dass die Inflation sich dann auf deutlich höhere Werte beschleunigt.

Nach vier Jahrzehnten sinkender Inflationsraten und Zinsen bringen die 2020er Jahre also die Wende. Aus Sicht von Investoren eine besonders gefährliche Zeit. Altbekannte Regeln gelten nicht mehr. Neben soliden Aktien – geringe Verschuldung und hohe Preissetzungsmacht der Unternehmen – dürfte vor allem Gold einen gewissen Schutz bieten. Kein Wunder, dass unsere Regierung hierfür bereits über eine Besteuerung der Gewinne nachdenkt.
 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

 

 

Anzeige