Diskussion um Impfstoff-Zwangslizenzen - Angriff auf das Patentsystem

Die Impfstoff-Produktion bleibt hinter den geschürten Erwartungen zurück. Immer wieder wird deshalb eine Diskussion um Zwangslizenzen geführt. Das zeugt nicht nur von wenig Fachkenntnis, sondern führt zu neuen Enttäuschungen.

Geht das auch schneller? Gesundheitsminister Jens Spahn 2020 beim Impfstoffhersteller IDT Biologika in Dessau-Roßlau / dpa
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Nora Keßler ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz und Partnerin der Sozietät Klinkert Rechtsanwälte, Frankfurt am Main.

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Christoph Palzer ist Rechtsanwalt und spezialisiert auf Kartellrecht, das Recht des geistigen Eigentums und das Lauterkeitsrecht. Er ist Associate bei der Sozietät Klinkert Rechtsanwälte.

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Die Begeisterung, mit der bis vor kurzem die Entwicklung und Zulassung nicht nur eines, sondern gleich mehrerer Impfstoffe gegen das Covid-19-Virus in Rekordgeschwindigkeit – völlig zu Recht – noch als eine phänomenale Erfolgsgeschichte gefeiert wurde, ist inzwischen weithin Ernüchterung gewichen. Zu wenig, zu langsam, vollendetes Impfchaos – so lauten die Stichworte der öffentlichen Kritik, deren Begleitmusik ein einigermaßen skurriles vertragliches Gezänk zwischen der EU-Kommission und dem Pharmakonzern AstraZeneca bildet.

Seitdem ist immer wieder die Rede davon, gegen die Impfstoffknappheit sollten sogenannte Zwangslizenzen helfen. Doch so einfach und sinnvoll es auf den ersten Blick scheinen mag, ist es nicht. Die Sache hat gleich mehrere Haken.

Patentschutz und öffentliches Interesse

In der Coronapandemie müsse öffentliches Interesse über Profitinteressen stehen, meinte etwa der gesundheitspolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Achim Kessler, um seiner Forderung, Impfhersteller zu zwingen, Lizenzen an andere Hersteller zu erteilen, Nachdruck zu verleihen. Mit dieser Forderung steht er nicht alleine da. An sich ist die Aussage, lässt man einmal die Polemik beiseite, dann auch nicht falsch-

Denn in der Tat sieht der Paragraf 24 im Patentgesetz (PatG) mit der „Zwangslizenz“ ein Instrument vor, mit dem Dritten gegen den Willen des Patentinhabers – gegen angemessene Vergütung – ein Nutzungsrecht an der Erfindung eingeräumt werden kann, wenn das öffentliche Interesse eine solche Lizenz gebietet. Ein völkerrechtliches Pendant dazu findet sich übrigens im Artikel 31 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS).

Sinn und Zweck dieser Zwangslizenzbestimmungen, die bislang eher psychologische denn praktische Bedeutung hatten, ist es, dafür zu sorgen, dass lizenzwillige Unternehmen eine patentierte Erfindung nutzen können, wenn Belange der Allgemeinheit die Ausübung des Patents durch das lizenzwillige Unternehmen erfordern.

Kurzum: Geschützte Erfindungen, denen eine wesentliche Bedeutung für die Allgemeinheit zukommt, sollen nicht „brachliegen”, weil der Patentinhaber nicht willens oder in der Lage ist, die Erfindung überhaupt oder so auszuüben, dass dem öffentlichen Interesse Genüge getan wird. Das öffentliche Interesse kann also durchaus – nicht nur in Pandemiezeiten – das Individualinteresse des Patentinhabers überlagern. Das entspricht der Sozialbindung von Eigentum. Weil gerade die medizinische Versorgung der Bevölkerung ein öffentliches Interesse darstellt, das eine Zwangslizenz rechtfertigen kann, handelt es sich bei dieser in der aktuellen Covid-19-Pandemie um ein prinzipiell denkbares Instrument, wenn hierdurch die medizinische Versorgung der Bevölkerung verbessert werden kann.

Bremse der Impfstoffversorgung?

Das ändert allerdings nichts daran, dass in der Forderung nach Zwangslizenzen mit den Impfstoffpatenten Pappkameraden aufgebaut werden, um diese mit der tendenziösen Gegenüberstellung von „Leben versus Profit“ niederzumachen. Der Ansatz, über Zwang schnell(er) zum erwünschten Impfstoff zu kommen, operiert nämlich unausgesprochen mit der Prämisse, dass gerade der Patentschutz einer ausreichenden Versorgung mit Impfstoff im Wege stehe.

Zwang ist aber naturgemäß nur dort erforderlich, wo der Adressat zu etwas bewegt werden soll, zu dem er aus freien Stücken nicht bereit ist. Diese Prämisse ist jedoch reichlich wackelig: Es ist nämlich kein Fall bekannt, in dem sich ein Unternehmen um eine Lizenz bemüht hätte, um einen Impfstoff herstellen zu können, und mit diesen Bemühungen bei den Patentinhabern gescheitert wäre.

Im Gegenteil haben die Impfstoffproduzenten längst umfangreiche Kooperationen mit anderen Unternehmen etabliert und erweitern diese stetig, um ihre Produktionskapazitäten auszubauen. So gibt es inzwischen etwa eine Kooperation zwischen der Firma Curevac und dem Großkonzern Bayer. Und just das hierzulande viel gescholtene Pharmaunternehmen AstraZeneca hat mit dem Serum Institute of India eine Lizenz für die Lieferung einer zusätzlichen Milliarde Impfstoffdosen vor allem für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen vereinbart.

Grenzen der Zwangslizenz

Dieser kooperative Weg ist, bei allem Verständnis für Ungeduld, auch aus einem anderen Grund der überlegene: Die Herstellung der ersehnten Vakzine setzt, gerade bei den neuartigen Impfstoffen auf mRNA-Basis, erhebliches Knowhow voraus. Mit einer einfachen Benutzungserlaubnis am Patent ist da nicht viel gewonnen. Für den Zugriff auf ergänzendes Knowhow bietet die Zwangslizenz jedoch keine Grundlage. Man wird zwar, schon wegen der drohenden Reputationsschäden, davon ausgehen können, dass die Impfstoffhersteller geeigneten Kandidaten ihre Technologie umfassend für den Zeitraum der Pandemie zur Verfügung stellen würden; nur müssten sie dies aus rechtlichen Gründen nicht.

Ein vergleichbares Problem stellt sich im Zusammenhang mit der Arzneimittelzulassung eines Zwangs-lizenzierten Präparats: Die Zwangslizenz gibt dem Lizenznehmer nicht das Recht, bei seinem Zulassungsantrag geschützte Unterlagen, beispielsweise klinische Studien, des Originalherstellers zu verwerten. Auch hier wäre der Lizenznehmer also auf den Goodwill des Originalherstellers angewiesen.

Man mag sich auch insoweit darauf verlassen, dass hier ausreichende intrinsische Motivation besteht, einen Zulassungsantrag während der Pandemie nicht mittels des Unterlagenschutzes zu torpedieren. Es ist jedoch unredlich, diese Einschränkungen des Instruments der Zwangslizenz einfach zu verschweigen, und so zu tun, als sei der Impfstoffknappheit im Handumdrehen beizukommen, wenn man nur die „bösen“ Pharmakonzerne zwinge, Lizenzen zu erteilen – vielmehr ist dies der Stoff, aus dem enttäuschte Erwartungen gemacht sind.

Nicht viel mehr als heiße Luft

Von dem Ruf nach Zwangslizenzen bleibt daher nicht viel mehr als heiße Luft und Polemik. Ungeachtet der gegenwärtigen Ausnahmesituation muss freilich bedenklich stimmen, dass es sich hierbei nicht um ein (altbekanntes) sozialistisches Fanal zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse bei Medizinpatenten handelt, sondern von einer breiteren Anhängerschaft getragen wird.

Das tradierte Verständnis, dass ein wirksamer Schutz von Erfindungen der beste Innovationstreiber ist, sollte auch aus Anlass der gegenwärtigen Pandemie nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Nicht nur wäre ein solcher Angriff auf das Patentsystem mit vielfältigen Kollateralschäden für den gesundheitlichen Innovationsstandort verbunden. Rasch mehr Impfstoff verspricht er auch nicht.

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