Corona-Hamsterkäufe - Es ist genug für alle da

Kaum steigen die Corona-Zahlen, leeren sich die Toilettenpapier-Regale. Erste Supermärkte denken wieder über Rationierungsmaßnahmen nach. Haben wir denn nichts gelernt? Ganz im Gegenteil: Es scheint, als würden Hamsterkäufer ihr eigenes Verhalten verstärken.

In Krisenzeiten heiß begehrt: Toilettenpapier / dpa
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Autoreninfo

Johanna Jürgens hospitiert bei Cicero. Sie studiert Publizistik und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsassistenz beim Inforadio des RBB.

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„Man weiß erst, was man hat, wenn man es verliert“, ist wohl eines der beliebtesten All-Rounder-Zitate für kitischige Wandtattoos und rührselige Instagram-Captions. Tauscht man „verliert“ durch „kurzzeitig nicht zur Verfügung hat“ aus, passt der Spruch aber auch ganz gut auf dieses Jahr, in dem wir wertzuschätzen lernten, was wir sonst für selbstverständlich hielten: Großveranstaltungen, Treffen mit Freunden und Familie, Umarmungen, Backhefe, Nudeln und Toilettenpapier. 

Grabbeltisch beim Zara-Sale oder Nudel-Regal im Supermarkt: Es ist noch gar nicht so lange her, da war beides nicht eindeutig zu unterscheiden. Couragierte Mitarbeiterinnen in Drogerien kontrollierten unter Einsatz ihrer körperlichen Unversehrtheit, dass keiner mehr als haushaltsübliche Mengen Klopapier einkaufte – was auch immer man darunter verstehen will – und wer die neu gewonnene Zeit nutzen wollte, um endlich mal wieder Pizza zu machen, musste für einen Würfel Hefe schonmal drei verschiedene Supermärkte ansteuern. Ganz zu schweigen von Desinfektionsmitteln, die zeitweise so heiß begehrt waren, dass geschäftstüchtige Ebay-Kleinanzeigen-Nutzer einzelne Fläschchen zu Wucherpreisen im Netz verscherbelten und wahrscheinlich sogar Abnehmer fanden. 

Es sind Erinnerungen an den Frühling dieses Jahres, die einen am gesunden Menschenverstand zweifeln lassen – und mitten in der zweiten Corona-Welle für Déjà-vus sorgen. 

Die Geister, die sie riefen

Die Infektionszahlen steigen, die Appelle der Bundesregierung werden ernster, im Berchtesgadener Land gilt vorerst ein regionaler Lockdown und erste Supermärkte denken wieder über Rationierungsmaßnahmen für Toilettenpapier nach – die Vorräte der unbelehrbaren Hamsterkäufer hielten also genau einen Sommer lang vor. 

Das Bedürfnis, in unsicheren Zeiten wenigstens die eigene Grundversorgung sicherstellen zu können, ist erstmal verständlich. Man könnte es sogar sympathisch finden, dass Menschen, die Engpässe fürchten, so bescheiden sind, dass sie zuallererst an Klopapier, Mehl und Nudeln denken – würden die von ihnen gefürchteten Szenarien tatsächlich eintreten, müssten sie schließlich genau damit auskommen. 

Das Hamsterparadox

So einfach ist es aber nicht. Denn der Drang zur Vorratshaltung einiger eigentlich vernunftbegabter Erwachsener resultiert in einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung: Wer aus Angst vor leeren Regalen dreimal so viel einkauft, wie er eigentlich braucht, sorgt erst für leere Regale – und lässt die Situation für uns alle gleich viel apokalyptischer wirken, als sie eigentlich ist. Nicht die besten Voraussetzungen, um möglichst unbeschwert in diese herausfordernden Monate zu starten. 

Wir machen das doch alle nicht zum ersten Mal, man sollte meinen, wir hätten etwas gelernt. Paradoxerweise werden vermutlich genau die Hamsterkäufer, die in der Frühsaison die Lieferketten auf die Probe gestellt haben, jetzt zu Wiederholungstätern – ungeachtet der Tatsache, dass die kurzzeitigen Engpässe für Hygieneartikel und italienische Hartweizenprodukte ihr eigenes Verschulden waren. 

Geübt in Ausnahmesituationen

Auch wenn einige Schwurbler mitunter einen anderen Eindruck zu vermitteln versuch(t)en: Weder die Ladenöffnung, noch die Produktion von Toilettenpapier oder die Möglichkeit, für Besorgungen das Haus zu verlassen, waren zu irgendeinem Zeitpunkt in diesem Jahr gefährdet. Auch wenn wir alle gerne auf eine zweite Corona-Welle verzichtet hätten, so birgt sie doch die Chance, mit dem Wissen aus dem Frühjahr besser mit diesen ungewöhnlichen Umständen umzugehen.

Das heißt für alle Prepper und die, die es werden wollen: Nehmt Rücksicht beim Einkaufen, dann ist genug für alle da – im Ernstfall rettet selbst ein Berg Toilettenpapier keine Leben. Und all diejenigen, die das Schauspiel amüsiert beobachten, wären gut beraten, keine Fotos von leeren Regalen zu posten: Dass sie sich davon nicht füllen, sondern sich eher Hamster-Nachahmer finden, auch das ist eine Lehre aus der ersten Welle. 

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