„Fridays for Future“ gegen Siemens - Luisa Neubauers Kunst des Krieges

Die taktischen Spielchen von Luisa Neubauer und Siemens-Chef Joe Kaeser lesen sich, als hätten beide den Klassiker „Die Kunst des Krieges“ des chinesischen Generals Sun Tsu intensiv studiert. Momentan liegt die Klimaaktivistin vorn, doch wird es so bleiben?

„Fridays for future“-Aktivistin Luisa Neubauer / dpa
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Autoreninfo

Tom Buschardt hat jahrelang als Journalist für private und öffentlich-rechtliche TV-Sender gearbeitet. Als Medientrainer coacht er seit 20 Jahren Politiker und Vorstandsmitglieder für öffentliche Auftritte. Er ist spezialisiert auf Krisenkommunikation.

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Können zwei Menschen gegenteiliger Auffassung sein – und dennoch Recht haben? Ja, das können sie. Umweltaktivistin Luisa Neubauer und Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser sind ein solches Pärchen. Beide machen in ihrer Beziehung zueinander vieles richtig – und dennoch falsch. 

Zu den Klassikern der beliebten Manager-Literatur gehört neben dem üblichen Machiavelli definitiv die „Kunst des Krieges“, des chinesischen Generals Sun Tsu, Jahrgang 544 vor Christus. Joe Kaeser, Jahrgang 1957 nach Christus, dürfte noch zu der Generation von Führungskräften gehören, die dieses Büchlein auf dem Nachttisch liegen haben und nicht zum Einschlafen, sondern direkt nach dem Aufwachen einen Blick dort hineinwerfen, bevor sie an ihr Tagwerk gehen.

Gegner dicht ranholen - eine gute Idee

Sein Angebot an die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer, auf einem Stuhl in einem Aufsichtsgremium des Siemens-Konzerns Platz zu nehmen, wirkt wie von Sun Tsu inspiriert. „Greife an, wenn der Gegner unvorbereitet ist, mache einen Schachzug, wenn er es am wenigsten erwartet.“ Zunächst einmal ist es grundsätzlich eine gute Idee, seine Gegner dicht ranzuholen und in die Prozesse einzubinden. Das geschieht bei „Stuttgart 21“ und den Freunden des Juchtenkäfers ebenso wie beim Runden Tisch mit der Bürgerinitiative im Umfeld einer neuen Müllverbrennungsanlage.

Zunächst einmal ist lobend zu erwähnen, dass Kaeser nicht ganz auf den Greta-Zug aufspringt, in dem die Sitzplätze ja offenbar ohnehin schon knapp werden. Luisa Neubauer, das Gesicht der deutschen Klimaschutzbewegung ist (leider!) für viele Medien nur die „deutsche Greta“. Das ist eine Abwertung und spricht ihr eigene Substanz ab. Übrigens auch eine Formulierung, die Kaeser verwendete: „dieses deutsche Greta-Gesicht.“ Vorsicht, Herr Vorsitzender. Sprache ist auch Selbstoffenbarung. So wird Neubauer zu einem Abklatsch degradiert. Spricht so jemand, der ernste Absichten hat?

Neubauer braucht ein scharfes Profil

Neubauer braucht in der Eigen-PR unbedingt ein scharfes Profil. Auf der anderen Seite sitzt bereits jemand mit scharfen Konturen der Großindustrie: Joe Kaeser – da kann man gut eine Story über David(a) und Goliath zimmern. Zorniger weißer Mann der Großindustrie und Hoffnungsträgerin der Enkel-Generation – das funktioniert für die Medien über mehrere Staffeln.

Zunächst haben wir das Prequel, das kaum jemanden interessiert: Siemens soll eine Signalanlage für einen Zug liefern, der in einer australischen Kohlemine eingesetzt wird. Das wäre so, als wenn sie in Washington an der Kreuzung Pennsylvania Avenue/17th Street North-West eine Ampel installieren und man Ihnen deshalb vorwirft, für Donald Trump zu arbeiten, weil er dort mit seiner Wagenkolonne aus dem Weißen Haus zu seinen Amtsgeschäften aufbricht.

Schlau gedacht

Die Taktik der Umweltaktivisten ist schlau: „Wenn Du Dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten.“ Lange bevor Luisa Neubauer das Licht der Welt erblickte, kamen in Deutschland die damals noch mächtigen Gewerkschaften auf die Idee, anstelle der Automobilwerke die Zulieferer zu bestreiken. Das war billiger für die Gewerkschaften und doppelt so effektiv: Ohne Reifenventile verlässt nirgendwo ein Auto die Fabrik. Ohne Signalanlage fährt kein Zug, ohne Zug kein Abtransport der Kohle, ohne Abtransport der Kohle keine Kohleförderung, denn was soll man schon mit dem Zeug machen, wenn es nach der Förderung einfach nur rumliegt? Schlau gedacht.

Ebenso könnte man die Firmen anprangern, die Schutzhelme oder Arbeitskleidung für die Arbeiter herstellen. Die Logik-Kette wäre dieselbe: Ohne Schutzhelm keine Kohleförderung. Ein Großkonzern wie Siemens reagiert in der Kommunikation aber auch mit den typischen Reflexen eines Großkonzerns. Das macht ihn berechenbar für die Gegenseite. Dazu ist ein Anlagenbauer wie Siemens ein wenig schwerer als ein Tanker auf hoher See, der einige Seemeilen Bremsweg benötigt, bevor er umkehren kann. Umweltaktivisten sind dagegen mit flinken Jetskis (pardon: mit ihren Katamaranen natürlich!) organisiert.

Schlagzeile schlug ein wie eine Bombe

Dabei ist der Grundgedanke von Kaeser durchaus sehr schlau, Neubauer mit an Bord nehmen zu wollen. Sun Tsu: „Zeigst du dich demütig, wird der Feind überheblich.“ Die Schlagzeile der Medien schlug ein wie eine Bombe: „Siemens bietet Neubauer einen Aufsichtsratsposten an“. Das sei so nicht richtig, ließ Siemens nach einiger Zeit verkünden: Man habe Neubauer lediglich einen Sitz in einem Aufsichtsgremium angeboten. Kaeser gibt sich einsichtig: „Wir vermuten, dass die Konfusion daher kommt, dass ich auf die Nachfrage eines Journalisten, ob Kontrollgremium oder Aufsichtsratsmandat gesagt habe, das könne sie sich aussuchen.“

So etwas passiert, wenn man die Unterlagen mit den Kernbotschaften aus der PR-Abteilung nur mal eben morgens am Frühstückstisch überfliegt. „Vermuten“ ist ein wenig euphemistisch formuliert. Gut im Stoff steht Kaeser jedoch bei der Aussage: „Ich möchte, dass die Jugend sich aktiv beteiligen kann. Der Konflikt zwischen Jung und Alt muss gelöst werden.“ Die Jugend beteiligt sich übrigens gerade ausgesprochen aktiv. 
Zumindest freitags.

Neubauer hätte mitgestalten können

Dass eine 24jährige Klimaaktivistin, die soeben einen Shitstorm über die Eintrittspreise zum Klima-Event im Olympia-Stadion über sich ergehen lassen musste, beim leicht vergifteten Siemens-Angebot gesunden Brechreiz verspürt, ist nur folgerichtig. Neubauers Vorteil: Offenbar gibt es Sun Tsu inzwischen auch als App für ihr Smartphone: „Wer Dir geschickt ins Gesicht schmeichelt, er ist genauso geschickt, darin, dich hinter deinem Rücken schlecht zu machen.“

Dabei hätte Neubauer durchaus mitgestalten können – so, wie es auch ein Betriebsrat kann, der im Vorstand eines Automobilkonzerns sitzt. Vorausgesetzt, er unterliegt nicht den Verlockungen der Macht und des Geldes. Kaufmännisch betrachtet, hätte Siemens leicht auf die Signalanlage verzichten können: Ein paar Millionen Euro Auftragsvolumen machen sich bei einer Konzernbilanz von fast 87 Milliarden Euro nicht wirklich bemerkbar. Peanuts in der Knabberschale des Aufsichtsratsvorsitzenden.

Für Siemens geht es um viel

Aber wenn Siemens auf Grund etwas politischen Gegenwindes in Deutschland nun Verträge in Übersee platzen lässt, erlebt das Geschäft von Siemens seinen finalen Domino-Day: Denn wer sich als Konzern von tagesaktuellen Stimmungen abhängig macht, der ist auch an anderer Stelle kein verlässlicher Geschäftspartner. Für Siemens geht es also um mehr, als ein paar Snacks.

Das Modell der Klimaschützer bleibt der öffentliche Pranger. Verständlich, dass Kaeser mit der Strategie der liebevollen Umarmung auch das effektive Erdrücken der Proteste versucht. Dabei hat er eine Zeile von Sun Tsu wohl überlesen: „Wenn Du einen Feind eingekreist hast, lass ihm einen Fluchtweg.“ Denn mit dem Versuch: „Sähe Zwietracht zwischen deinen Feinden“ ist er bei den Klimaaktivisten gescheitert. Hätte Neubauer das Angebot angenommen, hätten Krisenberater auf Neubauers Seite reichlich Stunden abrechnen können. Wogegen bei Kaeser die Korken knallen: "Begegne der Unordnung mir Ordnung und dem Ungestüm mit Ruhe." Die Truppen von Siemens sind eine reguläre Armee, die gegen eine flinke Stadt-Guerilla-Truppe antreten muss. Da ergeht es einem Konzern wie einst den Russen in Afghanistan.

Neubauer gerät langfristig unter Druck

Für einen kurzen Augenblick ist es Kaeser gelungen, Neubauers Motivation kritisch zu hinterfragen: Wer protestiert, muss auch gestalten wollen. Neubauer gerät hier langfristig unter Druck, denn über kurz oder lang muss sie sich mit ihren Mitstreitern konstruktiv-kritisch einbringen. Sie wird Kompromisse machen müssen, um erste Teilerfolge zu erreichen. Vielleicht hilft ihr ein Geschichtsbuch über die Anfänge der Grünen und ihren Weg vom Ostermarsch in die parlamentarischen Institutionen.

Aus Geschichte kann man durchaus auch heute noch lernen. Früher galt die Parole „lebenslanges Lernen“, heute gilt die Parole "tagesaktualisierte Meinungsbildung". Ein paar Fakten als Grundlage wären da nicht schlecht.

Ein letztes Mal zu Sun Tsu: 
Version Neubauer: „Siegen wird der, dessen Armee in allen Rängen vom gleichen Geist beseelt ist.“
Version Kaeser: „Man kann wissen, wie man siegt, ohne fähig sein, es zu tun.“
 

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