Digitalisierung - Ba-Ba-Ba-Ba-Bank überall

Kunden werden künftig nicht mehr nur auf Hausbanken angewiesen sein. Sie könnten ihre Finanzen bald über junge Start-ups regeln. Doch die Giganten Google und Amazon lauern schon. Der Kampf ums Banking der Zukunft beginnt

Erschienen in Ausgabe
Hat die klassische Bankfiliale bald ausgedient? / picture alliance
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Nils Wischmeyer ist freier Finanz- und Wirtschaftsjournalist beim Journalistenbüro dreimaldrei

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Die digitale Bank der Zukunft ist vergleichbar mit einer Kiste voller bunter Bauklötze, die sich beliebig zusammensetzen lassen. Rot auf grün, grün auf blau, blau auf gelb. Oder in der Bankenwelt: Konto mit Kredit, Konto ohne Kredit, Kredit mit Baufinanzierung. Der Kunde bastelt, die Bank liefert. Welche Bank diese Dienstleistungen künftig anbietet, wird zunehmend in den Hintergrund treten. Interessant wird vielmehr die digitale Plattform, die Kunden für ihr Geld nutzen. Ähnlich wie man sich zwischen Spielzeugsystemen wie Lego oder Playmobil entscheiden kann, wird man zwischen dem System Deutsche Bank oder Sparkasse wählen. Oder warum überhaupt eine Bank? Was, wenn neue individuelle Finanzsystem-Plattformen bei einem Finanz-Start-up oder einem Vergleichsportal entstehen? Für herkömmliche Banken eine Horrorvorstellung.

Tatsächlich ist der direkte Kundenkontakt das bislang gut gehütete Monopol der Bankenindustrie. Mit einer neuen EU-Regulierung, der Payment Service Directive (PSD2), ist dieses seit dem 13. Januar 2018 aufgebrochen – eine Direktive, die lange nur die Nerds der Bankenbranche elektrisierte. Jetzt spricht man dort hinter vorgehaltener Hand von einem Erdbeben. Dank der PSD2 dürfen Kunden ab sofort Drittanbietern wie etwa Fintechs, also jungen Start-ups aus dem Finanzsektor, aber auch Handelsplattformen wie Amazon oder Vergleichsportalen wie Check24 Zugang zum eigenen Konto gewähren. Sie können also künftig auch hierüber all ihre Kontostände abfragen oder Geld von A nach B überweisen. Multi-Banking lautet das Stichwort. Banken sind dazu gezwungen, den Drittanbietern diesen Zugriff auf die Daten zu gewähren. Immer vorausgesetzt, der Kunde erlaubt es.

Alles läuft über die App

Was herkömmliche Banken zittern lässt, darüber freut sich Maximilian Tayenthal diebisch. Der Ko-Gründer des Finanz-Start-ups N26 (früher: Number26) setzt alles auf diese Entwicklung. Tayenthal will mithilfe der neuen Richtlinie vor allem die jungen Kunden der Banken locken. Er empfängt im Berliner Hauptquartier von N26. Würde im Treppenhaus des Firmensitzes nicht „The Mobile Bank“ stehen, rein optisch könnte die Firma auch Pauschalreisen oder Sicherheitstechnik verkaufen: Großraumbüro, Post-it-Wände, gläserne Konferenzräume. Auf dem grauen Teppichboden läuft eine weiße Buchstabenreihe, der Code der N26-App. „Wir sind eine Tech-Company mit Banklizenz“, sagt Gründer Tayenthal.

N26 hat keine Filialen, keine Geldautomaten, alles läuft über die App auf dem Smartphone. 500 000 Kunden hat das Start-up seit seinem Launch 2015 gewonnen, 300 Mitarbeiter beschäftigt es. „Hier, die Dienstleistung ist nicht von uns, sondern von einem unserer Partner. Und hier, die auch nicht“, sagt Tayenthal beim Scrollen durch die App auf seinem Smartphone. Was ungewöhnlich klingt, ist sein Geschäftsmodell. „Viele Banken bieten von Investmentbanking über Asset Managment und Firmenkundengeschäft alles an und sind zum Teil unfokussiert“, sagt der gebürtige Wiener. Bei N26 ist kaum ein Produkt aus dem eigenen Haus. Sie sind nur der Plattform-Anbieter und verdienen eine Provision, wenn Kunden darüber etwa Angebote anderer Fintechs nutzen. Wie der Nutzer die Bausteine auf der Plattform zusammensetzt, kann er selbst entscheiden.

Die herkömmlichen Geldhäuser zittern

„Ein ähnliches Prinzip wie etwa bei iTunes, allerdings bieten wir eine kuratierte Plattform. Wichtig ist uns nur, dass der Kunde über unsere App geht“, Tayenthal klingt selbstbewusst. Was zunächst nach überheblichem Tamtam der Start-up-Szene klingt, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Wer etwa mehrere Konten bei der Sparkasse, der Commerzbank und der Deutschen Bank hat, kann sie nun in einer App bündeln. Von dort kann man nahezu alles tun, was er sonst nur jeweils bei der Hausbank ging. Manche Banker und Gründer denken schon weiter, wollen den Baukasten erweitern: Warum nicht auch das Bonusmeilen-Konto, die Lebensversicherung und die Auto-Finanzierung hinterlegen? Alles an einem digitalen, individuellen Finanzplatz, das ist die Zukunft. Nur die besten Plattformen überleben. Was, wenn das keine Banken, sondern Fintechs sind?

„Künftig gibt es zwei Firmentypen: die einen bieten Produkte an, die anderen arbeiten als Plattformen“

Wie heikel dieses Szenario für die Geldhäuser ist, zeigt deren Geschäftsmodell. Anders als oft angenommen, verdienen sie kaum Geld mit den Kundenkonten. Die Erträge kommen aus dem Cross-Selling, also dem Querverkaufen. Brauchte der Kunde einen Bausparvertrag, ging er zu seiner Hausbank. Brauchte er einen Kredit, ging er zu seiner Hausbank. Und brauchte er einen Sparplan fürs Alter, ging er zu seiner Hausbank. Daran verdienten Banken jahrzehntelang. Aber die Beziehung zwischen Kunden und ihren Hausbanken bröckelt längst. Immer mehr suchen die Leute auch im Internet nach den besten Angeboten. Die EU-Richtlinie könnte dem aber den Gnadenstoß geben.

Überprüfen die Kunden ihre Konten nur bei N26, könnte ihnen egal sein, wer Dienstleistungen wie etwa eine Baufinanzierung über die App anbietet. Sie würden eventuell nicht mehr wahrnehmen, wer eigentlich ihre Hausbank ist. „Das Konto wird so etwas wie eine Mail­adresse: Jeder hat ein paar, aber am Ende ist es total egal, wo“, sagt Fintech- und Bankenexperte Tobias Baumgarten. Wer nicht als Plattform im Vordergrund steht, wird zum Infrastrukturanbieter degradiert. Wo kein Kundenkontakt, da auch kein Cross-Selling. Banken könnten bis zu 40 Prozent ihres Privatkundengeschäfts verlieren, wenn sie nicht bald reagieren, schätzt die Unternehmensberatung Roland Berger.

Plattformen statt Produkten anbieten

Während viele Fintechs auf Angriff schalten, bleibt die deutsche Bankenbranche behäbig, langsam, defensiv. In den Vorständen dominiert Abwehrhaltung. Verschlafen sie die wichtigste Entwicklung der vergangenen 15 Jahre? Als die Europäische Union die neue Richtlinie in Brüssel verhandelte, lobbyierten die Bankenverbände bis tief in die Nächte: Unsicher sei diese digitale Datenschnittstelle, gefährlich sogar. Die Datenübertragung sollte minimiert werden, die Zugriffe noch stärker reguliert. Am Ende errangen sie einige Detailänderungen. Auch Fintechs werden künftig von der Bundesfinanzaufsicht (Bafin) überwacht. Verabschiedet hat die Europäische Union die Richtlinie trotzdem.

Markus Pertlwieser muss den Kopf schütteln, wenn er davon hört. Der Digitalchef der Deutschen Bank sitzt vorgebeugt, während er erzählt, er redet schnell, verspricht sich nie. Er hat Deutschlands größtem Geldhaus eine Digitalfabrik aus dem Boden gestampft. Sogenannte Innovation-Labs gibt es seit neuestem unter anderem in New York oder Berlin. 750 Millionen Euro will die Deutsche Bank bis 2020 in die Digitalisierung ihres Geschäfts stecken. Angriff ist die beste Verteidigung. Wer Pertlwieser länger zuhört, muss ihn für den Gründer eines Fintechs halten: „Es wird künftig zwei Arten von Firmen geben: solche, die Produkte anbieten, und solche, die als Plattformen arbeiten.“ Dass die Deutsche Bank Letzteres werden soll, sagt er nicht. Es ist sowieso klar. Hier wird wegen der Kundenbindung die größere Wertschöpfung liegen.

Um sich einen Vorsprung vor anderen Geldhäusern zu verschaffen, hat die Deutsche Bank 2017 ihre Schnittstelle für Entwickler weiter geöffnet, als die neue Richtlinie es vorschreibt. Das Kalkül: Nicht alle Dienstleister werden an alle Banken oder Fintechs angeschlossen sein. Die besten Entwickler werden ihre Apps für die erfolgreichste Plattform programmieren. Die neuen Services ziehen neue Kunden an, was wiederum neue Entwickler anlockt. Ein Netzwerk-Effekt wie bei iOS oder Android setzt ein: Je mehr Mitglieder, desto wertvoller die Plattform. Je mehr Bausteine, desto mehr Spaß macht das Spielen.

Amazon und Google würden dominieren

Ein Effekt, der auch Schattenseiten hat. Die Plattform-Ökonomie funktioniert seit jeher nach dem Prinzip: „The Winner takes it all“, der Gewinner kriegt alles. „Das gilt für die Bankenbranche nicht hundertprozentig, dazu ist sie zu zersplittert und reguliert. Aber eine Konsolidierung ist unausweichlich“, sagt Pertlwieser. Was er meint: Banken werden sterben. Nur wenige Bankplattformen werden als Sieger hervorgehen. Von Fintechs spricht er nicht. Zu klein, zu irrelevant seien sie, und keine Konkurrenz. Auch fehlt ihnen der Vertrauensvorschuss, den Banken genießen.

Das sieht wiederum bei Vergleichs­portalen ganz anders aus. Sowohl Veri­vox als auch Check24 genießen das Vertrauen der Kunden und bekunden inoffiziell, in den Markt einsteigen zu wollen. Pertlwieser beunruhigt auch das nicht. Seine Sorge ist größer: ein Einstieg von Amazon oder Google. Sie würden dank ihrer riesigen Kundenbasis schnell alles dominieren und Kunden abgreifen. „Das könnte ein harter Verdrängungswettbewerb werden“, sagt Pertlwieser. Was die Deutsche Bank dann ausrichten kann? „Wir bereiten uns intensiv darauf vor und entwickeln unser Geschäftsmodell entsprechend weiter.“ 2014 hat Pertlwieser damit begonnen.

Alles an einem digitalen, individuellen Finanzplatz, das ist
die Zukunft

In der Branche gilt er als Vordenker. Selbst Fintech-Gründer ziehen den Hut vor seiner offensiven Strategie. Immerhin etwas, womit die krisengeschüttelte Bank glänzen kann. Die Strategie Pertlwiesers besteht aus drei Schichten, ähnlich dem Aufbau einer Zwiebel. In der Mitte liegt der Kern, das Konto. „Das ist da, aber austauschbar." Wenn alle auf alle Konten zugreifen können, werde die anbietende Bank zweitrangig. Wichtiger ist zweite Schicht, die auch N26 will: eine Plattform, ein Marktplatz, der die Konten anderer Banken aggregiert. Der Kunde soll kommen und für immer bleiben.

Das Banking der Zukunft

Die Zukunftsweisende Schicht sei aber die dritte. „Beyond Banking“, sagt Pertlwieser, wenn er davon spricht, zu Deutsch: über das Banking hinaus. „Wer die Kunden behalten will, muss idealerweise täglich für sie relevant sein und zum nicht nur finanzieller Lebensbegleiter sein“, sagt er. Ist die Stromrechnung höher als üblich, schlägt ein Algorithmus Alarm und empfiehlt einen Wechsel. Buchen Kunden einen Auslandsflug, bietet nicht die Airline, sondern die Deutsche Bank eine günstige Reiseversicherung an. Erkennt die App, dass jemand viel reist und im Schnitt zu viel für sein Zugticket zahlt, empfiehlt sie eine Bahncard. „Und zwar nicht irgendeine, sondern genau die passende“, sagt Pertlwieser, und es blitzt Begeisterung in seinen Augen auf

Das bedeutet aber auch, dass die meisten Prozesse künftig digital ablaufen werden. Filialen werden unbedeutender. Erst im vergangenen Jahr hat die Deutsche Bank fast 190 Anlaufstellen geschlossen. Andere Geldhäuser vollziehen eine ähnliche Strategie. Die wirklich wichtigen Beratungen werden Kunden vermutlich auch in zehn Jahren noch persönlich führen wollen. Dafür reicht es allerdings, einen kleinen Teil an Beratungsstellen zu unterhalten. Von einem Schrumpfkurs will öffentlich kaum einer reden. Zu heikel ist das Thema politisch und auch gesellschaftlich.

Insgeheim aber ist die Richtung klar. Die Zukunft der Bankenbranche wird sich nicht an den Zinsen entscheiden, nicht an den Filialen, nicht an der Marke, sondern im direkten Duell Baukasten gegen Baukasten, Plattform gegen Plattform. Wenige werden mit ihren Bausteinen ein ganzes Ökosystem errichten können, das Kunden und Entwickler zugleich anzieht. Viele andere Konstruktionen werden nach und nach ineinander zusammenfallen. Das Bauen am Banking der Zukunft hat begonnen.

Illustrationen: Kati Szilagyi

Dies ist ein Text aus der Februarausgabe des Cicero. Erhältlich am Kiosk und in unserem Onlineshop.









 

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