Digitaler Euro - Neues Geld

Weltweit tüfteln Zentralbanken an elektronischen Währungen. Auch die EZB will den digitalen Euro. Kritiker warnen vor Überwachung und staatlicher Kontrolle. Wenn jeder Bürger ein Konto bei der Zentralbank bekommt, sichert sie sich so den direkten Einfluss auf das digitale Geld.

Utopie oder Dystopie? Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird die EZB den digitalen Euro starten / Adrián Astorgano
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Autoreninfo

Philipp Mattheis ist Herausgeber von BlingBling, einem wöchentlichen Newsletter über Bitcoin, Geld und Freiheit. Von November 2019 bis März 2021 war er Ostasien-Korrespondent von Stern und Capital in Shanghai.

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Ralf Wintergerst hat eine Vision. „Stellen Sie sich vor“, sagt der schlanke, sportliche Manager in seinem Büro im Münchner Osten, „Sie sind auf dem Weg zum Flughafen. Sie verlassen morgens Ihr Haus und bis Sie in einen Flieger steigen, läuft alles automatisch, ohne auch nur ein einziges Mal ein Dokument herzeigen zu müssen. Sie checken auf der Couch ein, steigen in die S-Bahn und passieren die Passkontrolle am Flughafen, ohne irgendwas berühren zu müssen.“ Biometrische Daten würden auf der Reise von Scannern automatisch ausgelesen. Und bezahlt wird all das kontaktlos mit digitalen Euros, die der Reisende in einer virtuellen Geldbörse hat. Banken wären in dieser Welt überflüssig, denn jeder hätte sein Konto direkt bei der Zentralbank. Genau daran arbeitet Wintergerst. 

Der 60-Jährige ist CEO von Giesecke + De­vrient. Das Münchner Unternehmen ist ein Hidden Champion: wenig bekannt, aber Weltmarktführer. Das Kerngeschäft der Münchner ist Geld. Jahrzehntelang druckte G + D nicht nur die Banknoten für Deutschland, sondern auch für zahlreiche andere Länder. Doch während Bargeld an Bedeutung verliert, hat sich das Unternehmen längst angepasst und ist heute führend bei so ziemlich allem, was digitale Identität, digitale Gesundheitsakten, digitales Geld und digitales Bezahlen betrifft. Und gerade da findet momentan eine lautlose Revolution statt. Sie nennt sich Central Bank Digital Currencies, kurz CBDCs. Die Münchner entwickeln gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank den „digitalen Euro“. Zudem hat das Unternehmen Pilotprojekte in mehreren Ländern wie zum Beispiel Ghana am Laufen. 

Eine kurze Geschichte des Geldes

Was Manager Wintergerst als Vision anpreist, ist für Kritiker der neuen Digitalwährungen hingegen eine Dystopie. Sie fürchten die totale Kontrolle aller Finanztransaktionen und eine manipulative Geldpolitik der Regierungen. Die Debatte wird hitzig geführt, allerdings kaum in der breiten Öffentlichkeit. Um sie zu verstehen, ist ein kurzer Ausflug in die Geldgeschichte notwendig.

Die Theorien über die Entstehung von Geld sind mannigfaltig. Einigen können sich die meisten Wissenschaftler allerdings darauf, dass es in den vergangenen zwei Jahrtausenden vor allem auf das Münzgeld ankam. Gold, und zu geringerem Maße auch Silber, hatte Wert – darauf konnten sich die meisten Menschen einigen. Einen König oder Staat, der den Wert der Münzen aus diesen Edelmetallen garantierte, brauchte es nicht. Im Hochmittelalter kam dann das sogenannte Buchgeld hinzu. Um den Fernhandel zu erleichtern, stellten sich Bankhäuser Wechsel aus, die dann oft nur in der Buchhaltung auftauchten.

Vom 18. Jahrhundert an begannen Zentralbanken damit, Papiergeld auszugeben, dessen Wert damals noch mit Tresorgold gedeckt war. Seit 1971 gibt es die Golddeckung nicht mehr. Geld entsteht seitdem vor allem durch Kredite der Banken. Wer sich bei der Bank Geld leiht, etwa um eine Immobilie zu kaufen, trägt zur Geldschöpfung bei. Die Bank nämlich drückt dann einen Knopf, und das Geld wird geschaffen. Aus dem Nichts. Deswegen spricht man auch von Fiatgeld, vom lateinischen Wort „fiat“: „es werde“. Genauso geschieht es bei wirtschaftlicher Aktivität. Jedes Unternehmen, das sich bei seiner Hausbank Geld leiht, trägt zur Ausweitung der Geldmenge bei. Diese Form macht derzeit rund 85 Prozent der gesamten Geldmenge aus. Die Zentralbank hat darauf nur indirekt Einfluss. Sie kann nur den Preis des Geldes über die Leitzinsen steuern. Aber auch das funktioniert immer schlechter.

Volle Kontrolle für die Zentralbank

Joseph Huber ist Geldtheoretiker und emeritierter Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Halle. Seiner Meinung nach dienen CBDCs vor allem dazu, den Zentralbanken wieder mehr Steuerungsmöglichkeiten an die Hand zu geben. „Zu 90 Prozent zahlen wir heute über Kontoguthaben, und das ist kein Zentralbankgeld mehr“, sagt er. „Wenn Bargeld verschwindet und dazu Kryptowährungen kommen, dann ist die Zentralbank als Währungshüterin quasi überflüssig geworden. Deswegen müssen diese nun nachziehen.“ 

Die Idee hinter den CBDCs ist: Jeder Bürger bekommt eine elektronische Geldbörse, die sogenannte Wallet, direkt bei der Zentralbank, die dadurch wieder vollen Einfluss auf die Geldschöpfung nehmen kann. Im Extremszenario wären Geschäftsbanken dann sogar überflüssig. Derzeit forschen alle nennenswerten Zentralbanken dieser Welt an CBDCs. Pilotprojekte laufen in China, Nigeria und auf den Bahamas. Am weitesten fortgeschritten ist das Projekt in China – rund sechs Millionen Menschen haben dort schon mit dem E-Yuan gezahlt. Die Europäische Zentralbank will den digitalen Euro 2026 einführen, zunächst als Ergänzung zu allen bereits bestehenden Geldformen.

 

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CBDCs sind programmierbares Geld. Sie ermöglichen eine Feinsteuerung wirtschaftlicher Prozesse. Als während der Covid-Pandemie und der Lockdowns viele Amerikaner in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, griff die US-Regierung 2020 zu einem plumpen Hilfsmittel: Helikoptergeld. Jeder Amerikaner bekam einen Scheck in Höhe von 1000 US-Dollar – egal, ob bedürftig oder nicht. Die, die es nicht so dringend brauchten, investierten das Geld sofort am Aktienmarkt und lösten einen gewaltigen Boom aus. Digitales Zentralbankgeld hingegen hätte man so programmieren können, dass die 1000 Dollar nur zum Kauf von Lebensmitteln hätten verwendet werden können.

Digitales Geld ermöglicht es auch, automatische Negativzinsen einzubauen; es wird dann quasi mit einem Verfallsdatum ausgestattet. Deflationäre Tendenzen, weil Menschen viel sparen in der Hoffnung, das Geld steige im Wert, gehörten dann der Vergangenheit an. Mit Verfallsdatum programmiertes Geld kann nicht gespart und muss ausgegeben werden – um die Wirtschaft zu stimulieren. 

Breite Skepsis am digitalen Geld

„Zentralbanken waren in den vergangenen 20 Jahren sehr besorgt darüber, dass sie am unteren Ende der Leitzinsen angekommen waren. Digitale Währungen erlauben die komplette Überwachung von Kriminellen und gleichzeitig die Einführung von Negativzinsen“, fasst Kristoffer Mousten Hansen das zusammen. Der Ökonom ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig und betrachtet auch die dystopische Seite von CBDCs. „Ich tue mich schwer, den Nutzen von CBDCs zu sehen, solange es noch Bargeld gibt“, sagt Hansen. Seiner Meinung nach ebnen die zentral gesteuerten Digitalwährungen den Weg in den Überwachungsstaat.

Einerseits nämlich wären dann alle Finanztransaktionen erstmals an einer Stelle gespeichert. Eine Regierung könnte, sofern sie Zugriff auf diese Daten bekommt, einem Kriminellen oder einem Dissidenten einfach die Wallet sperren und ihn so vom Zahlungsverkehr abschneiden. Auch Abstufungen sind denkbar: Wer seine Pflichtimpfung nicht abholt, dem wird der Kauf von Flugtickets verwehrt. Schließlich werden die Wallets auch mit einer digitalen Identität verknüpft – wenn die Fluchtwege via Bargeld und Bitcoin geschlossen werden.

Laute KritiK an CBDCs kommt daher aus der Bitcoin-Szene. Die dezentrale Kryptowährung steht dem Gedanken von digitalem Zentralbankgeld diametral entgegen. Ironie der Geschichte: Erst die Entwicklung von Bitcoin hat die Zentralbanken der Welt wach gerüttelt und unter Zugzwang gesetzt. Bitcoin wurde von einem mysteriösen Programmierer namens Satoshi Nakamoto im Jahr 2009 geschaffen – als Antwort auf die große Finanzkrise. Freies, unzensierbares und in seiner absoluten Menge begrenztes Geld sollte einen Gegenpol zum Fiatgeld bilden, dessen Menge Zentralbanken in den vergangenen Jahren beständig ausgeweitet haben. Ein noch größerer Schock war der Versuch Mark Zuckerbergs, 2019 eine eigene Digitalwährung namens Libra zu etablieren. Die US-Aufsichtsbehörden erteilten dem Projekt eine Absage. Aber seitdem steht die Möglichkeit einer privaten digitalen Währung im Raum, die einer staatlichen Konkurrenz macht.

Bitcoin und Bargeld als Korrektiv

Bitcoin-Fans ist auch diese ein Gräuel. Da Geld, das von einer zentralen Stelle, sei es ein Staat oder ein Unternehmen, kontrolliert wird, immer auch anfällig für Manipulationen ist, bleibt ein dezentrales Netzwerk die einzige Alternative. Sie fordern wie zum Beispiel Analyst und Publizist Tuur Demeester in seinem 2019 erschienenen Report „The Bitcoin Reformation“ deswegen nicht weniger als die Trennung von Staat und Geld – in Anlehnung an die Umwälzungen im 16. Jahrhundert, die zur Trennung von Staat und Kirche führten. Eine digitale Zentralbankwährung wäre demnach ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung: mehr Staat, mehr Kontrolle, mehr Möglichkeiten zur Manipulation. 

„Ich glaube nicht, dass man die Entwicklung noch aufhalten kann“, sagt Ökonom Hansen. Als entscheidend sieht er allerdings nicht die Einführung des digitalen Euro, sondern ob dazu irgendwann ein Bitcoin- und Bargeldverbot kommt. Denn solange Alternativen zu den staatlichen Digitalwährungen existieren, könnten diese ihr Kontrollpotenzial auch nicht entfalten. Wer Bargeld besitzt, dem können Negativzinsen egal sein. „Zwar heißt es immer wieder, man wolle Bargeld nicht abschaffen. Aber man sollte diesen Fall durchdenken und sich das als Bürger vielleicht irgendwie garantieren lassen“, sagt der Leipziger Wissenschaftler. Denn erst ohne Bargeld und Bitcoin würden CBDCs zu einer digitalen Dystopie werden. 

Es lässt sich nicht aufhalten

Noch gruseliger wird es, wenn man digitales Geld und digitale Identität mit einem Sozialkreditsystem verknüpft. So geisterte jüngst ein Artikel durchs Netz, wonach die Städte Bologna und Wien mit Bonuspunkten für klimafreundliches Verhalten experimentieren. Oder sind all dies nur apokalyptische Visionen in einer an apokalyptischen Visionen nicht armen Zeit?
Tatsächlich rückt man derzeit selbst im kontrollwütigen Peking wieder vom Sozialkreditsystem ab – zu umständlich und schwer zu implementieren. Bei Giesecke + Devrient erteilt man solchen Ideen auch eine klare Absage: „Ich sehe solche Entwicklungen höchst kritisch und glaube nicht, dass es erstrebenswert ist, Verhalten digital zu bewerten. Unsere Firma arbeitet auch nicht an solchen Projekten“, sagt CEO Ralf Wintergerst. 

Ob sich das neue Geld etabliert, darüber würden die Bürger entscheiden. „Der digitale Euro muss sich beweisen, damit er seinen Nutzen demonstrieren kann und die Menschen ihn akzeptieren. Eine zentrale Aufoktroyierung wird es nicht geben“, verspricht Wintergerst. „Der digitale Euro wird komplementär sein, er wird weder Bargeld noch jetzige digitale Bezahlvorgänge ersetzen.“ Auch die Frage nach der finanziellen Privatsphäre halten Befürworter von CBDCs bei genauer Betrachtung für eine alte. „Alles, was bargeldlos läuft, lässt sich theoretisch auch heute schon überwachen. Und gleichzeitig kann kein System der Welt alles überwachen, was vor sich geht“, sagt Geldtheoretiker Joseph Huber. 

Ob CBDCs die digitale Überwachung durch die Hintertür anschieben oder ob daraus eher eine Totgeburt der Zentralbanken wird, weiß derzeit niemand. Tatsache ist nur, dass sie spätestens bis Ende des Jahrzehnts da sein werden. Aufhalten lassen sich Innovationen ohnehin meist nicht. Nötig aber wäre eine breitere gesellschaftliche Debatte darüber. Und vielleicht, wie Kristoffer Mousten Hansen es empfiehlt, eine Bargeldgarantie für den Bürger.

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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