Dieselskandal - „Es trifft besonders Leute, die wenig verdienen“

Zuerst verkaufte VW manipulierte Autos an Millionen von Kunden. Jetzt erschwert ihnen auch noch der Staat das Klagen gegen den Autohersteller. Weil man Softwareupdates für Dieselfahrer erzwingt, werden wichtige Beweismittel vernichtet, berichtet ein Anwalt

Vielen Dieselfahrern droht die Stilllegung ihrer Autos / picture alliance
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Arnold Oppermann arbeitet als Rechtsanwalt mit den Tätigkeitsschwerpunkten Bank-und Kapitalmarktrecht, Verwaltungsrecht, Urheber-und Medienrecht in der Stuttgarter Kanzlei Dr. Kroll und Partner. Seit 2017 sitzt er außerdem für die CDU im Gemeinderat von Tübingen und im Ausschuss für Planung, Verkehr und Stadtentwicklung

Herr Oppermann, Sie kümmern sich als Anwalt um mehr als 250 sogenannte Dieselopfer in ganz Deutschland vor Gericht. Was machen Sie da genau?
Ich selbst vertrete 250 und meine Kanzlei insgesamt rund 800 Dieselfahrer, denen die Stilllegung ihrer Autos droht, weil sie sogenannte Stilllegungsverfügungen von den Verwaltungbehörden erhalten haben. Das heißt, sie dürfen ihre Autos schlicht nicht mehr fahren.

Warum sollen diese Autos stillgelegt werden?
Unsere Mandanten fahren Autos des Volkswagenkonzerns, die mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen sind und die deshalb vom Kraftfahrbundesamt zurückgerufen wurden, damit diese ein Softwareupdate erhalten. Weil sich unsere Mandanten aber weigern, die Softwareupdates aufspielen zu lassen, drohen viele Behörden mit der sofortigen Stilllegung.

Wollen ihre Mandanten etwa kein sauberes Auto?
Unsere Mandanten wehren sich nicht gegen die Softwareupdates, weil sie der Meinungs sind, ihre Autos sind sauber. Im Gegenteil. Sie sind überzeugt davon, dass ihnen manipulierte Autos verkauft wurden. Deshalb klagen sie über eine andere Kanzlei mit Zivilklagen gegen den VW-Konzern. Sie wollen ihren Kaufpreis zurück. Um diese Manipulation zu beweisen, brauchen sie aber als wichtigstes Beweismittel ihr manipuliertes Auto. Außerdem führen die Software-Updates möglicherweise zu Kraftstoffmehrverbauch, es können eventuell  mehr Rußpartikel ausgestoßen werden. Auch der Motor kann lauter werden.

Arnold Oppermann

Das heißt, die Verwaltungsbehörden versuchen, Dieselfahrer mit angedrohter Stilllegung zur Vernichtung von Beweismitteln zu zwingen?
Darauf läuft es hinaus, ja. Mit einem Software-Update sind die Manipulationen von VW nicht mehr nachvollziehbar. Das Absurde ist, dass die Verwaltungsbehörden einen Ermessensspielraum haben. Das heißt, sie müssen die Autos gar nicht sofort stilllegen. Die Zivilprozesse gegen VW dauern in der Regel etwa ein halbes Jahr. Und viele Behörden erkennen auch an, dass die Betroffenen bis zur Klärung ihres Falls mit ihrem Auto weiterfahren müssen. Warum also andere Behörden so scharf aufs Stilllegen sind, kann ich nicht nachvollziehen.

Welche Behörden machen besonders Probleme?
Besonders streng mit Stilllegungsverfügungen mit Anordnung der sofortigen Vollziehung sind zum Beispiel die Stadt Essen, der Landkreis Havelland, der Landkreis Mainz-Bingen und der Landkreis Ennepe-Ruhr.

Welche Konsequenzen hat dieses Vorgehen?
Unsere Mandanten sind alle beruflich auf ihr Auto angewiesen. Das sind Außendienstmitarbeiter. Das sind Familien, die ihr Auto brauchen, um ihre Kinder abzuholen oder um einzukaufen. Das sind Nachtschwestern, die zu ihrer Schicht ins Krankenhaus kommen müssen, weil um diese Uhrzeit kein Nahverkehr mehr fährt. Pendler vom Land, die keine Möglichkeit haben, zumindest bis zum Stadtrand und damit zum ÖPNV zu kommen. Hinzu kommen die Kosten und Gebühren für die Zivilklagen gegen VW und nun auch noch für die Verwaltungsklagen gegen die Behörden. Unsere Mandanten tragen das Prozessrisiko.

Kürzlich haben Sie in einem Fall in Mannheim verloren. Was ist da geschehen?
Ähnlich wie Verwaltungsbehörden, entscheiden auch Gerichte sehr unterschiedlich. Das Gericht in Mannheim hat das Interesse der Allgemeinheit an einer Stilllegung, beziehungsweise am Aufspielen des Softwareupdates höher gewichtet als das Interesse der Privatperson, die ihr Auto benötigt.

Ist es nicht absurd, dass hier jede Behörde und jedes Gericht anders entscheidet?
Das liegt eben am Ermessen. Letztendlich entscheiden da Menschen und wägen ab, welches Interesse sie als höher erachten. Das Absurde ist, dass es sich bei diesen Fahrzeugen trotz der Manipulationen gar nicht um die massiven Dreckschleudern mit Euro 3 oder Euro 4 handelt. Das sind Euro-5-Diesel, die damals als die saubersten verkauft wurden.

Was bleibt den Mandanten, wenn sie verloren haben? Vernichten sie dann lieber doch ihr Beweismittel und lassen das Softwareupdate aufspielen? Oder kaufen sie sich gleich ein neues Auto?
Manche können einen Zweitwagen nutzen oder sie leihen sich für einige Zeit ein anderes Auto. Aber das können sich die wenigsten leisten. Wie gesagt, der Schichtarbeiter und die Krankenschwester brauchen ihr Auto. Da fährt kein Bus und keine U-Bahn mehr. Das ist wirklich ein Einschnitt und trifft besonders Leute, die wenig verdienen.

Wie erleben Sie solche Menschen in Ihrer Kanzlei?
Die sind berechtigterweise wirklich sauer. Die kaufen ein Auto mit einer Euro-5-Abgasnorm, vor ein paar Jahren das Beste, was es gibt. Dann kommt raus, da ist eine Schummelsoftware drin. Dann müssen sie erstmal einen Autokonzern auf eigene Kosten und eigenes Risiko verklagen. Und gleichzeitig kommt dann noch der Staat mit der Keule Stilllegung und behindert damit die eigenen Bürger, sich gegen eine Abgasmanipulation zur Wehr zu setzen. Die Menschen fühlen sich wirklich wie im falschen Film.

 

„Wie es im wirklichen Leben aussieht, davon habt Ihr doch keine Ahnung“ – diesen Vorwurf hören Politiker immer wieder, aber auch Journalisten. Gerade wenn sie – wie wir in der Cicero-Redaktion – in der Hauptstadt Berlin leben und arbeiten, wirkt das auf viele offenbar so, als seien wir auf einem fernen Planeten unterwegs. Und sie kritisieren, dass wir zwar gern über Menschen sprechen und schreiben, aber kaum mit ihnen reden.

Wir nehmen diesen Vorwurf sehr ernst. Deswegen gibt es auf Cicero Online eine Serie, in der wir genau das tun: Mit Menschen sprechen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, aber mitten im Leben, und dort täglich mit den Folgen dessen zurechtkommen müssen, was in der fernen Politik entschieden wird.

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