Dieselgipfel - Die deutsche Auto-Kratie

Heute wollen Bundes- und Landesminister mit Vertretern der Automobilbranche darüber beraten, wie die Abgasbelastungen in deutschen Städten verringert werden können. Dabei hat sich die Politik den Autobauern längst gefügig gemacht

Mauscheleien zwischen Politik und Autoindustrie sind in Deutschland an der Tagesordnung / picture alliance
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Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur des Online-Magazins „The Globalist“, zusätzlich schreibt er auf seiner deutschen Webseite. Er hat lange Jahre in Washington, D.C. verbracht und lebt und arbeitet seit 2016 in Berlin.

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Angesichts des immer weiter ausufernden Dieselskandals ist es höchste Zeit, in deutschen Landen endlich gründlich mit liebgewordenen Traditionen und Illusionen aufzuräumen. Ein Teil unseres Regierungssystems ist im doppelten Sinn zu einer Auto-Kratie degeneriert.

Erstens gilt dies etymologisch: Dem klassisch-griechischen Ursprung des Wortes folgend bedeutet dies Allein- oder Selbstherrschaft, bei der jemand „in einem bestimmten Gebiet die Herrschaftsgewalt aus eigener Machtvollkommenheit ausübt und in seiner Machtfülle durch nichts und niemanden eingeschränkt ist“. Zweitens gilt das wirtschaftspraktisch: Der autokratischen Logik folgend gilt der deutsche Rechtsstaat nur mit einer wesentlichen Einschränkung: Die Automobilindustrie steht – von der Politik sanktioniert – offenbar über dem Recht.

Merkel versteckt sich hinter unfähigen Ministern

Besonders bei Bundeskanzlerin Angela Merkel fällt auf, wie elegant sie sich bei der ganzen Thematik wegduckt. Sie ist ganz offensichtlich bestrebt, sich hinter der offensichtlichen Inkompetenz von Ministern zu verstecken. Ein geeigneter „fall guy“ ist Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der sich seit langem durch politische Untauglichkeit auszeichnet. Ähnliches gilt für Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Dessen oberstes Mandat scheint die Aufgabe zu sein, der Kanzlerin zu gefallen – und nicht die Gesundheit der Menschen in Deutschland.

Aber ministeriale Totalausfälle können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Angela Merkel qua Richtlinienkompetenz die politische Verantwortung für das Karzinom trägt, als dass sich die deutsche Automobilindustrie immer mehr entpuppt. Angesichts der metastasenhaften Nichtregulierung (oder Scheinregulierung) der Industrie kann man da kaum ein anderes Wort nutzen.

Hendricks auf verlorenem Posten

Zumal Angela Merkel die auf einsamem, aber mutigem Posten stehende Umweltministerin Barbara Hendricks, einem politischen Haudegen der alten, prinzipientreuen Art, auch jetzt im Regen stehen lässt. Gerade für die Bundeskanzlerin, die ja als Umweltministerin erstmals aus der Rolle des „Mädchens“ von Helmut Kohl herausgetreten war, schickt sich das eigentlich nicht. 

Doch sobald die Bundeskanzlerin in Diensten der deutschen Auto-Kratie steht, agiert sie – insbesondere auf der Brüsseler Bühne – wie eine Eiserne Lady. Sie mähte jeden Versuch der Europäischen Kommission nieder, die deutschen Luxuskarossenhersteller zu adäquaten Umweltstandards anzuhalten. Das erinnert an Margaret Thatcher, allerdings kann man der ehemaligen Premierministerin Großbritanniens zugute halten, dass ihr eiserner Wille wenigstens dem Nutzen ihres eigenen Volkes diente. Wenn sie mit ihrer Handtasche auf den EU-Konferenztisch haute und „ihr Geld zurückwollte“, hat sie damit zumindest nicht dafür gesorgt, dass Zuhause die Luft weiter verpestet wird. 

Lobbyismus gibt es nicht nur in den USA

Aktuell nehmen wir Deutschen begeistert an dem Spektakel teil, das uns von Donald Trump als tägliche Seifenoper aus Washington dargeboten wird. Insbesondere über Trumps schmutzige Spiele mit Moskau sind wir zurecht ordentlich erzürnt. Wenn wir uns aber so eifrig an der schamlosen Kollusion abarbeiten, die Trump mit Moskau und Putin betreibt, übersehen wir vollkommen, dass in Deutschland diese Art der systematischen Verschleierung in einer viel offensichtlicheren – und vor allem bereits vollkommen aktenkundigen – Form existiert. Denn als nichts Anderes kann man die Art und Weise bezeichnen, in der sich die deutschen Politiker der Großen Koalition den Autobauern gefügig gemacht haben. 

Bei all dem deutschen Gerede, dass in den USA die übelsten Formen des Lobbyismus grassierten, müssen wir uns schon fragen, wie es kommt, das ein so hochgradig ausgestalteter und hochbezahlter Verwaltungsstaat wie der deutsche bei einer derart wichtigen Regulierungsfrage offenbar vollkommen versagt hat. Das angesehene Kraftfahrtbundesamt hat sich so zu einer reinen Durchwinkstelle entwickelt.

Dass die systematische Mauschelei zwischen deutscher Politik und Autoindustrie (und deren Zulieferern) ausgerechnet von US-Behörden aufgedeckt worden ist, sollte uns abgrundtief beschämen. Denn der in Deutschland vorherrschenden Denkschule zufolge sind es doch immer die Amerikaner, die sich zu reinen Erfüllungsgehilfen der Industrie machen, während wir Deutsche der Lobbykrake im Vergleich angeblich erfolgreich widerstünden.

Aufdeckung war absehbar

Dies gilt umso mehr, als die gesamte Kollusionspraxis ja aus rein firmeninterner Betrachtung einen enormen betriebswirtschaftlichen Schaden anzurichten droht. Es scheint fast so, als hätten Automobilkonzerne keine Rechtsabteilungen oder anwaltlichen Berater, die auf die enormen Risiken hingewiesen hätten, die sich im amerikanischen Markt ergeben mussten.

Angesichts des zahnlosen deutschen und europäischen Schadensersatzrechts wäre es für deutsche Hersteller durchaus rational gewesen, nur in Europa zu verkaufen, aber nicht in den USA. Da ein US-Engagement aber allen Herstellern unverzichtbar erschien, hätten sie die gesamte Schummelei niemals und nirgendwo zulassen dürfen.

Die Verhältnismäßigkeit fehlt

Es ist aber nicht nur die amerikanische Wirtschaftsdemokratie, die uns Deutsche mit ihren investigativ orientierten Behörden auf der Weltbühne aktuell beschämt. Nun steht in Deutschland nicht zuletzt angesichts der – zum Beispiel im Vergleich zu den USA – üppigen Besoldung deutscher Regierungspolitiker nicht zu vermuten, dass sie sich als persönlich bestechlich erwiesen haben. Aus volkswirtschaftlicher Sicht aber kommt es auf das Gleiche heraus, wenn Bundesminister und Kanzlerin sich liebedienerisch zu Schoßhunden einer Industrie machen.

Es ist höchste Zeit, mit den perfiden Doppelstandards der deutschen Verwaltungspraxis aufzuräumen. Wenn man sich vor Augen führt, wie detailversessen etwa die deutschen Zollbehörden versuchen, jeder per Internet vorgenommenen Bestellung aus dem Ausland nachzugeifern, um zumeist lapidare Summen an Mehrwertsteuer und Zoll einzustreichen, während gegenüber der Automobilindustrie das Dreiaffen-Prinzip gilt (man sieht nichts, hört nichts und sagt nichts), muss man sich schon fragen, warum so doppelbödig operiert wird.

Die scheinbare Verwaltungsregel – je lapidarer der Verwaltungsgegenstand, desto härter das Durchgreifen (und umgekehrt) – widerspricht ja nicht nur dem gesunden Menschenverstand. Wer bei gemeinwohlschädigendem Verhalten die Augen so verschließt, wie dies gegenüber den Automobilkonzernen der Fall gewesen ist, der huldigt der Auto-Kratie – und vergeht sich somit an der Demokratie und dem für den Rechtsstaat so zentralen Gedanken der Verhältnismäßigkeit, wenn nicht der Rechtsstaatlichkeit an sich. 

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