Zustand von Deutschland - Ambitionslosigkeit als Leitkultur

Ob im Fußball oder beim Mobilfunknetz – Deutschland steckt fest im Mittelmaß. Da fühlt es sich offenbar ganz wohl. Doch ein Land, das sich mit seinen Niederlagen arrangiert, kann keine Impulse setzen. Deutschland hat die Lust auf Zukunft verloren. Das gute Gefühl zählt mehr als die gute Leistung

Es reicht einfach nicht, nicht mal bei Manuel Neuer / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Nun ist auch der deutsche Vereinsfußball da angekommen, wo sich die deutsche Fußballnationalmannschaft befindet: im Mittelmaß. Es reicht einfach nicht. Schalke 04 und der FC Bayern München waren leichte Beute ihrer englischen Gegner. Ein 0-7 gegen Manchester City und ein 1-3 gegen Liverpool zeigen deutlich, dass der deutsche Fußball auf denselben Berg der Enttäuschungen gehört, auf dem sich schon die Deutsche Bahn AG, die Deutsche Bank, BER und Bundeswehr befinden. Um nur einige zu nennen. Die Bundesrepublik erntet die Früchte ihrer eigenen Ambitionslosigkeit. Sie ist die wahre Leitkultur.

Das Land verfeuert seine Bestände

Mag man beim Profifußball noch mildernde Umstände anführen – die Clubs aus Spanien und England haben solventere Geldgeber und sind stärkere Marken auf den internationalen Märkten –, so wird es auf den anderen Feldern schwierig. Ist dieses Land nicht bereits zum Flickenteppich der Problemfelder geworden? Gewiss, man kann gut leben zwischen Kiel und Kochel, die Busse kommen, die Praxen sind besetzt, die Schulen gefüllt, die Nahrungsmittel billig, und jeden Morgen geht die Sonne auf. Doch täglich mehr verfeuert dieses Land seine Bestände, ohne sich neue zu erwerben. In der Politik herrschen viele kleine Dagobert Ducks, die ihren geerbten Geldspeicher nach Art von Verschwenderneffe Donald bewirtschaften. Bald wird der Speicher leer sein, und dann will es keiner gewesen sein.

All das ist bekannt. Jede und jeder weiß, dass in Deutschland europaweit fast die höchsten Steuern gezahlt und fast die fast niedrigsten Renten ausgeschüttet werden – ein toxischer Cocktail. Dass es fiskalische Pläne gibt, Normal- zu Spitzenverdienern zu erklären und so den Staat weiter zu mästen. Dass freies Unternehmertum geringgeschätzt, wenn nicht behindert wird, als wäre Freiheit ein Misstrauensvotum gegen den Staat. Dass Innovation als Gedankenverbrechen am Status quo gilt. Dass freie Forschung auf das Regiment der Bedenkenträger trifft und Kreativität auf die Corona der Vorurteile. Wie gesagt, all das ist bekannt. Weniger bekannt ist das Motivbündel dahinter, das eine einzige Überschrift trägt: Ambitionslosigkeit. Statt des Adlers sollte die gezuckte Achsel das Staatswappen schmücken.

Deutschland ist kein Vorbild mehr

Wer mit Gästen aus Südostasien spricht, der bekommt freundlich signalisiert: Deutschland ist kein Vorbild mehr. Es zählt zum alten Europa, dessen Impulse auf die Historie seines Denkens zurückgehen, nicht auf gegenwärtiges Handeln. Deutschland taugt zum Freilichtmuseum und als Ausbildungsstätte für Konzertpianistinnen. Deutschland hat die Lust auf Zukunft verloren und den Geschmack für die Welt eingebüßt. Es wurde unter dem Banner des Internationalismus‘ zur geistigen Provinz, im Namen der Vielfalt zum einfältigen Sonderfall. Denn wer keine Spannung, keine Irritation, kein Widerlager aushält, wird nie Impuls für andere sein. Im Gleichstrom der frommen Denkungsart sprühen keine Funken. Ist es da ein Wunder, dass selbst Moldawien und die Ukraine mit besseren Mobilfunknetzen aufwarten?

Ein Land, das sich mit seinen Niederlagen arrangiert, wird irgendwann ausrangiert. Die Verfemung von Leistung, Ehrgeiz, Eigentum führt zur totalen Subventionsgesellschaft der Anspruchslosen. Kämpfe werden gemieden, weil sie mit der Niederlage des Gegners enden könnten. Das Eigene wird versteckt, damit das Andere leuchten kann. Wer aus der Menge herausragt, wird zurückgeschoben, weil der Durchschnitt die Norm setzt. Das Risiko wird verstaatlicht und das Scheitern privatisiert. Freiheit muss begründet werden, nicht Freiheitsbegrenzung. So entwickelt sich eine Gesellschaft, die progressive Phrasen im Mund führt, stetig zurück. So ernten Berufsrevolutionäre jene Reaktion, die sie vorgeblich bekämpfen.

Der Feind im eigenen Bett ist die deutsche Ambitionslosigkeit. Wird sie nicht überwunden, wird der Triumph des guten Gefühls über die gute Leistung nicht revidiert auf allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen Feldern – dann bleibt der Bundesrepublik nur die Hoffnung, dass die künftigen Herren Gutes im Schilde führen.

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