Coronavirus-Krise - Die unsolidarische Forderung nach Schadensersatz

Die liberale Gesellschaft muss sich in der Corona-Krise bewähren. Wer jetzt die Ellenbogen ausfährt und Ansprüche anmeldet, verhält sich unsolidarisch. Alle müssen verzichten und Opfer bringen. Der Staat ist keine Vollkasko-Versicherung, die nun alle Ausfälle absichern kann.

Erkrankte Wirtschaft: Menschenleere Straßen und geschlossene Geschäfte / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

So erreichen Sie Wolfgang Bok:

Anzeige

Habe ich Anspruch auf Homeoffice? Bekomme ich meine ausgefallene Reise gutgeschrieben? Wer zahlt für die Ersatz-Kinderbetreuung? Und wer haftet, wenn ich meine Dauerkarte im Stadion nicht mehr nutzen kann, weil alle Spiele abgesagt sind? Derlei Fragen sind berechtigt - und doch ist dies nicht die Zeit, sie zu stellen. Deutschland, Europa und die Welt sind im Krisenmodus.

Es ist, als wäre dem Motor des Wirtschaftens plötzlich der Sprit ausgegangen. Ganze Länder stehen unter Quarantäne, Stillstand allenthalben. Wer jetzt klagt und Rechte einfordert, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Diese Krise kennt viele Verlierer – und nur wenige Gewinner. Es ist eine Naturkatastrophe, für die man – außer vielleicht die chinesische Führung – niemanden haftbar machen kann.

Eigeninteressen und Gemeinwohl brauchen Gleichgewicht

Weder Reisebüro noch Fluggesellschaft, weder Arbeitgeber noch Schulleitung, weder Konzert- noch Sportveranstalter: Kein Unternehmen und auch keine einzelne Personen sollte in dieser Situation den Schaden anderer ersetzen müssen. Auch wenn so manche „Verbraucherschützer“ bereits die Messer wetzen und sich Anwaltskanzleien insgeheim die hohen Honorare bei Sammelklagen kalkulieren: Gerichten sollte ermöglicht werden, derlei Anspruchsgebaren erst gar nicht zu behandeln.

Notfalls muss der Gesetzgeber die entsprechenden Voraussetzungen schaffen, um das Haftungsrecht auf ein verantwortliches Minimum einzugrenzen. Jetzt gilt es, Eigeninteressen und Gemeinwohl in eine Balance zu bringen. Konkret: Ein nicht genutztes Bahnticket ist keine unbillige Härte. Das muss jeder Bürger verkraften können. Deshalb sollte die Deutsche Bahn, die schon mit Zugausfällen genug gestraft ist, nicht auch noch Millionen an Retouren bewältigen müssen.

Das Geld ist weg

Dass sie es trotzdem tut, ist ein Akt der Großzügigkeit. Einklagen sollte man diese Kulanz jedoch nicht. Und wer sich schöne Tage in Marokko, Ägypten oder der Karibik leisten kann, darf getrost an den Flugkosten für die Luftbrücken beteiligt werden, die nun Außenminister Maas anschiebt. Dafür müssen die Daheimgebliebenen nicht auch noch aufkommen.

Jetzt muss die wohlstandsverwöhnte Gesellschaft lernen, was es bedeutet, wenn sich der Wunsch der Wachstumskritiker erfüllt und die Wirtschaft steil ins Minus dreht: Kein Umsatz bedeutet kein Lohn, keine Folgeaufträge, keine Steuern. Der Spruch, das Geld sei nicht weg, sondern nur in anderen Taschen, stimmt nicht mehr: Es ist weg.

Vorteile für Beamte

Billionen an (Buchwert-)Vermögen haben sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Das trifft auch Reiche und Börsenspekulanten, sofern sie nicht auf einen Aktiensturz gewettet haben. Im Vorteil ist, wer auf der sicheren Gehaltsliste steht, also beim Staat. Das Personal öffentlicher Einrichtungen hat – bei all zu ertragender Unbill – immerhin keine finanziellen Nachteile. Wenn Schulen, Kitas, Bibliotheken oder Museen geschlossen werden, fließt das Gehalt trotzdem.

Also sollten sie für die Zeit der eingeschränkten Präsenzpflicht wenigstens einen Teil ihres Urlaubs opfern oder den Ausfall später ausgleichen. Kann Unterricht nicht in den großen Sommer- und Semesterferien nachgeholt werden? Soviel Flexibilität kann man jedenfalls von denen erwarten, die weder um Job noch Einkommen fürchten müssen.

„Unbürokratisch“ und unkontrolliert?

Wohlfeil ist die Forderung, dass „der Staat sofort unbürokratisch“ zu helfen habe. Auch muss nicht von heute auf morgen „geklotzt“ werden, wie Finanzminister Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) nun zur Beruhigung ankündigen. Zunächst einmal sollte jedes Unternehmen in der (finanziellen) Lage sein, ein paar Wochen Leerlauf aus eigener Kraft zu überbrücken. Das gilt für Konzerne wie Kleingewerbetreibende. Dass nun selbst die FDP für Solo-Selbstständige Barauszahlungen der Finanzämter fordert und damit die Position des SPD-nahen DIW übernimmt, zeigt, wie leicht liberale Grundsätze ins Rutschen geraten.

Auch von Künstlern und sonstigen Alleinunternehmern kann man erwarten, dass sie erst einmal eigene Reserven aufbrauchen, bevor der Staat zur Hilfe eilt. Denn dieser Staat, nach dem nun allenthalben gerufen wird, sind wir Bürger -– und mit unserem Geld muss auch in Krisenzeiten sorgsam umgegangen werden. „Unbürokratisch“ kann nicht heißen, dass es keine Kontrollen und Sicherheiten gibt.

Kapitalistischer Darwinismus

Steuern können gestundet werden, aber Kredite müssen auch zurückgezahlt werden können. Das ist, wenn man so will, kapitalistischer Darwinismus: Auch Unternehmen brauchen eine Resilienz, also die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Sonst sind sie auf Dauer ohnehin nicht überlebensfähig. Das gilt allerdings genauso für Vermieter und Rechte-Vermarkter wie die Uefa: Auch ihnen sollte das Gebot der Solidarität nicht fremd sein, auch ihnen kann abverlangt werden, (Miet-)Forderungen zu stunden oder ganz darauf zu verzichten.

Wer auf die Eigenverantwortung der Kleinen zeigt, darf die Großen und Wohlhabenden erst recht nicht aus dem Blick verlieren. Konjunkturprogramme, nach denen nun gerufen wird, bringen wenig, wenn die Nachfrage oder Beschäftige fehlen, weil Menschen der soziale Kontakt untersagt ist. Oder wenn der Nachschub etwa an Baumaterial nicht sicher ist.

Die Abkühlung zur Normalität

Zudem: Wenn nicht einmal drastische Leitzinssenkungen die Stimmung drehen können oder wie in den USA oder Großbritannien die Panik eher verstärken, verpuffen auch in Deutschland und Europa eilig aufgelegte Milliarden-Programme. So gesehen ist es sogar von Vorteil, dass die EZB ihr Pulver bereits in guten Zeiten verschossen hat und nun mit leeren Händen dasteht.

Hatten wir nicht bis vor wenigen Tagen über Überhitzungen, Blasenbildungen an den Börsen und bei Immobilien sowie über Fachkräftemangel geklagt? Jetzt kommt mit der Vollbremsung die Abkühlung zur Normalität. Auch das gehört zum ökonomischen Kreislauf. In der Automobilbranche war sie von Teilen der Gesellschaft sogar gewollt, indem der Verbrennungsmobilität verteufelt wird und ihr mit rigorosen Umweltauflagen der Garaus gemacht werden soll.

Jedem Tief folgt ein Hoch

Müssten Grüne, Deutsche Umwelthilfe und Fridays for Future jetzt nicht jubeln? Die Erfahrung lehrt: Jedem Tief folgt ein Hoch. Das ist die Kraft von Marktwirtschaft und Kapitalismus: Wo Gewinn lockt, wächst Kreativität. Not macht erfinderisch, weiß der Volksmund, der schon Kriege und wirklich schlimme Seuchen gesehen hat. Gemessen daran sind ein paar Wochen oder Monate des Innehaltens verkraftbar.

Da sich Deutschland ohnehin als Weltmacht der Humanität versteht und die höhere Moral für sich gepachtet hat, dürfte auch allen Bürgern einleuchten, dass nun das Eigeninteresse hinter dem Gemeinwohl zurückzutreten hat. Das heißt auch, dass nicht jeder Gewinneinbruch der Corona-Epidemie angelastet werden darf, um sich am Steuer- und Beitragszahler schadlos zu halten. Denen wird noch genug abverlangt werden.

Anzeige