Corona-Testzentren - Die Angst, es schon wieder zu vermasseln

Um weiteres Staatsversagen in der Corona-Krise zu vermeiden, sollen die Praktiker aus der Privatwirtschaft ran. So entstehen quasi über Nacht überall Testzentren. Weniger Bürokratie ist da hilfreich, doch weniger Kontrolle lockt Betrüger an. Und schon wieder ist der Staat gefragt.

Bundesgesundheitsminister Spahn eröffnet das Schnelltest-Zentrum eines Drogeriemarktes Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa
Anzeige

Autoreninfo

So erreichen Sie Constantin Wißmann:

Anzeige

Wer im brandenburgischen Mahlow, direkt an der Grenze zu Berlin gelegen, größer einkaufen will, macht das wohl hier, am Stadtrand. Riesige Netto-, Rewe- und Lidl-Filialen stehen direkt nebeneinander. In der Ecke des Supermarkt-Parkplatzes könnte man den vielleicht zehn Quadratmeter großen Container glatt übersehen. „Covid-19 Testzentrum“ steht darauf in weißer Schrift auf roter Farbe, „Gratis Corona Test“.

Irgendwie hatte man sich die Dimensionen anders vorgestellt, als die Schwarz-Gruppe, die in Deutschland die Lidl- und Kaufland-Märkte betreibt, Ende März angekündigt hatte, ein „Corona-Schnelltest-Netzwerk“ aufzubauen. Aber es soll wohl vor allem schnell gehen. Ziel sei es, „mehrere Hundert Testzentren in Deutschland aufzubauen“ und so „ein flächendeckendes Angebot von kostenfreien Tests im Rahmen der Corona-Testverordnung des Bundesgesundheitsministeriums zu schaffen“.

„Testen, testen, testen“

Dafür hat sich Lidl mit Ecolog zusammengetan. Die Firma mit Sitz in Dubai hat sich eigentlich auf die zivile Versorgung von Armeen im Ausland spezialisiert, stellte zum Beispiel sicher, dass Bundeswehrsoldaten im Kosovo oder Afghanistan immer frische Wäsche hatten. Seit der Corona-Krise kamen Testzentren hinzu, zuerst an Flughäfen und jetzt also auf Lidl-Parkplätzen.

Testen, testen, testen“ – das hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als einen der wichtigsten Bausteine für einen Weg aus der Corona-Krise beschrieben. Tatsächlich ist daraus ein neuer Markt entstanden, der in seinen Grundmechanismen an die Anfänge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert erinnert. Ähnlich wie damals, als in Hinterhöfen Dampfmaschinen am Werk waren, entstehen überall quasi über Nacht Testzentren – in Galerien, in Kirchen, im Hinterraum von Kiosken oder mitten auf öffentlichen Plätzen. Im März hat der Bund diesen Markt noch einmal befeuert, indem er jedem Bürger Anspruch gewährte auf einen kostenlosen sogenannten Schnelltest pro Woche. Diese sollen zertifiziert sein, sodass man damit am selben Tag einkaufen gehen kann, in den Biergarten oder ins Museum, sofern es der jeweiligen Verordnung entspricht.

Krumme Geschäfte

Der Bund erstattet den Anbietern 18 Euro pro Test für das dazugehörige Kit und die Ausführung, den Betrieb zahlen sie aber selbst. Aber diese pauschale Erstattung hat offenbar auch einige Anbieter dazu verlockt, krumme Geschäfte mit den Schnelltests zu machen. Das legen Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung sowie der Welt nahe. Die Journalisten haben mehrere Testzentren besucht und per Hand gezählt, wie viele Personen sich haben testen lassen. Danach haben sie bei den Gesundheitsämtern nachgefragt, wie viele Tests gemeldet wurden. Die Diskrepanz erstaunt. Insbesondere bei einem der größten deutschen Teststellenbetreiber, MediCan aus Bochum. 54 Testzentren in 36 Städten werden von MediCan betrieben. An einem Standort in Münster wurden per Hand etwa 100 Personen gezählt, MediCan meldete aber 422. In einem Zentrum in Köln waren es 80 gezählte Personen und 80 gemeldete Tests.

Der Geschäftsführer von MediCan, Oguzhan Can, erklärte WDR, NDR und SZ dazu: „Die Testzahlen stimmen im Ganzen, aber nicht auf die einzelnen Standorte bezogen.“ Das liege daran, dass „die Testungen in einigen Städten mit mehreren Standorten auch zusammengefasst übermittelt werden“. Dies erfolge „in Absprache mit den Behörden“. Aber einer Überprüfung der Journalisten hielt auch diese Aussage nicht stand. Dass es mit dem Behörden abgesprochen sei, Zahlen aus einem Standort bei einem anderen draufzuschlagen, wies die Stadt Münster zurück. Köln verbietet sogar ausdrücklich eine Übertragung der Zahlen auf andere Standorte.

Desaster, Debakel, Skandal

Gegen MediCan ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Aber auch der Druck auf die Politik, insbesondere auf Gesundheitsminister Jens Spahn steigt wieder. Droht nun nach dem „Maskendesaster“ und dem „Impfdebakel“ der „Schnelltest-Skandal“?

Tatsächlich schienen die aus dem Boden gestampften Testzentren von Anfang an ähnlich unerfreulich zu funktionieren wie die Beschaffung von Masken und die Bereitstellung von Impfstoff. Zur Erinnerung: Die Organisation von Masken wurde vom Bund viel zu spät angegangen, als die meisten Menschen schon im Lockdown zu Hause saßen, war viel teurer als nötig mit einem Bonus für Apotheken – und eröffnete darüber hinaus für einige Parlamentarier und deren Spezis Raum für lukrative Geschäfte.

Streit zwischen Bund und Ländern

Vom Impfstoff wurde zu wenig bestellt, dann gab es immer wieder Probleme bei der Verteilung, und in den eigens errichteten Impfzentren herrschte große Leere – unter anderem deswegen, weil die Gesundheitsämter aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht wissen konnten, welche Bürger zur ersten Priorisierungsgruppe gehörten.

Und nun also die kostenlosen Schnelltests. Auch hier schien die Politik ein Versprechen gemacht zu haben, das sie nicht halten konnte. Zum Start waren einfach nicht genug Tests da. Wieder einmal gab es Streit zwischen Bund und Ländern über die Zuständigkeit und Unsicherheit bei den Anbietern, zu denen neben Testzentren auch Apotheken und Hausärzte zählen sollten. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, fasste es gegenüber der Bild am Sonntag so zusammen: „Wir wissen nicht einmal ansatzweise, wann diese Schnelltests in welchem Umfang von wem geordert und zu wem geliefert werden sollen.“ Und: „Was wir nicht anbieten können, ist ein Tag der offenen Tür für alle, die sich mal eben spontan testen lassen wollen.“

Jammern über Medienschelte

Vielleicht war es genau diese Angst, es schon wieder zu vermasseln, die den Staat dazu getrieben hat, diesmal die Praktiker aus der Privatwirtschaft ranzulassen. Und es dabei ganz bewusst drauf ankommen lässt, so wenig Bürokratie wie möglich dazwischenkommen zu lassen. Und dafür in Kauf nimmt, weniger Kontrolle zu haben und daher mehr Möglichkeiten zu schaffen für Betrug. Einen offen verkündeten Strategiewechsel gibt es nicht, auf Nachfrage äußert sich das Gesundheitsministerium dazu nicht. Es gibt auch viele Regierungsangehörige, die nach wie vor der Überzeugung sind, in der Pandemiebekämpfung im Grunde alles richtig gemacht zu haben. Erst kürzlich beschwerte sich ein Kabinettsmitglied am Rande einer Diskussion darüber, wie ungerecht die Kritik in den Medien sei. Dabei, sagte ein Insider, hätten mit Ausnahme der Bundeswehr staatliche Stellen in Sachen Logistik überhaupt keine Expertise. Und das habe sich eben im bisherigen Verlauf der Pandemie gezeigt.

Tatsächlich sind die Testzentren im Alltag im Vergleich etwa zu dem Prozedere um die Impftermine herrlich unbürokratisch, wie in Berlin-Mahlow zu erleben ist. Am Morgen stehen nur vereinzelt ein paar Menschen vor dem Lidl-Testzentrum herum. Ein Mann nähert sich, auf seiner schwarzen Jacke prangt das Ecolog-Logo. Mit leicht osteuropäischem Akzent erklärt er beflissen, wie das mit dem Testen funktioniert. Es müsse nur die App heruntergeladen und der nächste freie Termin gebucht werden. Das Herunterladen geht schnell, wenn man einigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen zustimmt. Name, Adresse und E-Mail sind einzugeben. Der nächste freie Termin in Mahlow ist aber erst in sechs Stunden verfügbar. „Das ist ganz egal“, sagt der Mitarbeiter, „stellen Sie sich einfach in die Schlange, dann kommen Sie dran.“

Testzentren bei Lidl und dm

Tatsächlich ist nur eine Frau zuvor an der Reihe. Während sie im Container von einem kräftigen Mann im Ganzkörperschutzanzug ein Stäbchen in die Nase gedrückt bekommt, muss der Mann in der schwarzen Jacke einer weiteren Mitarbeiterin an einem Tresen erläutern, was sie wo eintragen soll. Offenbar macht sie den Job noch nicht lange. Dann geht es schon los. Auf einen Stuhl setzen, auf dem Tisch daneben sind zahlreiche Testkassetten aneinandergereiht, daneben digitale Stoppuhren. Da steckt der Mann im Schutzanzug auch schon das Stäbchen in die Nase und legt das Testplättchen hinzu. Das war’s. Das Ergebnis kommt per E-Mail 15 Minuten später.

Neben Lidl stellt auch die Drogeriemarktkette dm Testzentren auf. Bis zu 1.000 sollen es werden, sagt Christian Harms, als Geschäftsführer für das Ressort Mitarbeiter sowie für das Testzentrum-Projekt verantwortlich. Das 100. eröffnete er Mitte April in einem Berliner Einkaufszentrum – zusammen mit Gesundheitsminister Jens Spahn.

Außer den 18 Euro pro Test ist es den Anbietern überlassen, wie sie den Betrieb der Testzentren regeln. Lidl hat den an die Logistikfirma Ecolog ausgelagert und stellt nur den Platz zur Verfügung. Bei dm will man es mit Bordmitteln schaffen. Dafür, sagt Christian Harms, wurde die Stundenzahl vorhandener Mitarbeiter hochgestuft und neue Mitarbeiter befristet eingestellt. Die Tests dürfen sie nur ausführen, wenn sie geschult worden sind, die Vermittlung und die Kosten dafür übernimmt auch der Drogeriekonzern. „Das große Geld werden wir damit nicht machen“, versichert der Geschäftsführer. Ziel sei es, kostendeckend zu arbeiten.

Ärzte und Apotheken wären überfordert

Immerhin kann sein Chef Christoph Werner, Vorsitzender der dm-Geschäftsführung, werbewirksam erklären: „Wir möchten die Bundes- und Landesregierungen bei der Bewältigung der Pandemie unterstützen und unseren Teil dazu beitragen, damit die Menschen in ihrem Alltag wieder ein Stück Normalität erleben.“ Und wenn die Menschen wegen eines Tests zu dm kommen und dann die Idee haben, dort auch einzukaufen, „werden wir sie auch nicht wieder wegschicken“, ergänzt Harms.

Der große Vorteil, den Lidl und dm bei den Tests bieten können, ist die Infrastruktur. Wer sonst kann schon in kürzester Zeit mehrere Hundert Container oder Zelte aufstellen? Auch wären etwa Ärzte und Apotheker heillos überfordert, das nötige Personal aufzutreiben, und müssten andere wichtige Aufgaben in der Pandemie vernachlässigen. Es gibt Gegenden in Deutschland, wo 20.000 Einwohner dann auf eine Apotheke angewiesen wären, die um 16 Uhr schließt. Die Idee zu den Testzentren vor den Märkten sei denn auch gemeinsam mit einigen Gesundheitsämtern entstanden, sagt Christian Harms. So etwas wie eine gemeinsame Strategie gebe es aber nicht. Dem stehe die föderale Struktur des Gesundheitswesens entgegen.

Ämter nehmen Kontrollen nicht so genau

So läuft die Zusammenarbeit auch unterschiedlich gut. „Einige Ämter kommen direkt auf uns zu und bemühen sich, dass alles möglichst reibungslos funktioniert“, erzählt Harms. Aber es gebe auch die, die bei der Beauftragung „immer noch ihr eigenes Schleifchen dranbinden“ möchten. Die würden dann aus Prinzip auf zusätzliche Verordnungen pochen oder die Organisation an die Kommunen weitergeben, was alles noch kleinteiliger macht.

Insgesamt aber wirkt es so, als versuchten die Ämter bisher bei den Testzentren eine überbordende Bürokratie zu vermeiden oder sie zumindest nicht aufkommen zu lassen. So werden Testzentren rechtlich wie beispielsweise Tageskliniken als ambulante medizinische Einrichtungen behandelt, die dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Das heißt, sie sind von der Gewerbeordnung ausgeschlossen. Nicht einmal eine Anzeige- oder Meldepflicht gibt es. Und auch mit der Kontrolle schienen es die Ämter nicht so genau zu nehmen. „Ob die Hygienevorschriften tatsächlich eingehalten werden, kontrolliert niemand“, sagt ein Insider.

Der Minister wiegelt ab

Und auch, wie viele Tests ein Einzelner absolviert, wird wohl nicht geprüft. „Theoretisch könnte man sich nicht nur einmal in der Woche, sondern jeden Tag kostenlos testen lassen“, erzählt der Insider. Letzteres schien durchaus gewollt. Offenbar wollte der Bund die Bürger dazu ermutigen, sich häufig testen zu lassen, auch um über die Tests das Infektionsgeschehen besser nachverfolgen zu können. So wiegelte Gesundheitsminister Spahn zunächst noch ab angesichts der offenbar mangelnden Aufsicht über die Testanbieter. Bei „Anne Will“ erinnerte Spahn am vergangenen Sonntag an die Lage im Januar und Februar, als tatsächlich niemand vor dem Geschäftssinn mancher Unternehmer gewarnt hatte. Als Minister müsse er eben abwägen zwischen schnellem Handeln und der Kontrolle staatlicher Verordnungen.

Doch offensichtlich wurde der öffentliche Druck zu groß. Schon einen Tag später verkündete das Gesundheitsministerium Maßnahmen, um den Möglichkeiten des Betrugs entgegenzuwirken. Die Kontrollen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen ausgeweitet, außerdem die Finanzämter einbezogen werden. Auch sollen Testzentren nicht mehr so einfach zugelassen werden. Und: Die Testzentren sollen pro Test weniger Geld bekommen.

500 Millionen Euro pro Monat

Denn obwohl die Tests schnell sind, sind sie alles andere als billig, wie der Bund der Steuerzahler ausgerechnet hat. Das Gesundheitsministerium schätzt aufgrund von Erfahrungen aus Dänemark und Österreich, dass sich zwischen zwei bis 2,5 Prozent der Bevölkerung an einem Tag testen lassen könnten. Bei einer Bevölkerung von 85 Millionen ergeben sich daraus etwa eine Million Tests am Tag und 30 Millionen im Monat. Berechnet man nur die 18 Euro, die der Bund pro Test erstattet, ergibt sich schon die stolze Summe von 540 Millionen Euro im Monat. Deutlich teurer wird es, wenn sich die Menschen nicht mehr auf einen Test pro Woche beschränken. Und Betrugsfälle sind da noch gar nicht eingerechnet.

Noch sind die Testzentren vor Lidl und dm nicht alle aufgebaut, aber allein die Kosten verdeutlichen, dass sie nicht lange stehen bleiben können. „Im Spätsommer wollen wir unsere Zelte wieder abbauen“, sagt Christian Harms von dm. Vielleicht ist es dann ja so, dass seine Mitarbeiter, anstatt fremden Menschen ein Stäbchen in die Nase zu halten, wieder Aftershave und Make-up verkaufen können. Und der Rest von uns wieder Anlässe hat, sie zu benutzen. Die Schnelltests hätten ihren Teil dazu beigetragen. Die Frage ist, zu welchen Kosten.

Anzeige