Corona-Soforthilfen - Wie der Staat zu Missbrauch und Betrug einlädt

Schneller, größer, unbürokratischer: Im Wettstreit um die größte Gießkanne wurden in Windeseile Milliarden von Euros an Corona-Soforthilfen ausbezahlt. Betrüger haben leichtes Spiel. Der Ehrliche ist der Dumme. Auch in der EU. Die Lasten für uns alle werden immens sein.

Corona-Soforthilfen: Viel Betrug durch wenig Kontrolle / dpa
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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„Bald werden wir eine Debatte darüber haben, wie es sein kann, dass der Staat Millionen, wenn nicht gar Milliarden an Steuergeldern an betrügerische Empfänger ausbezahlt hat,“ mutmaßt Michael Watzke, der sich für den Deutschlandfunk in Bayern auf die Spuren der wundersamen Geldverteilung begeben hat.

Das Ergebnis empört ihn bis heute: Ausgerechnet der Freistaat, der so gerne andere zur finanziellen Solidität aufruft, habe besonders wenig geprüft. „Bis Anfang April musste bei Anträgen weder Pass- noch Steuernummer angegeben werden. Auch auf eine Begründung wurde weitgehend verzichtet. Selbst dubiose Internetkonten im Ausland wurden akzeptiert.“ Dem Dlf-Korrespondenten liegt eine Mail der Bezirksregierung von Oberbayern vor, in der skeptische Antragsprüfer aufgefordert wurden, „auch bei Zweifeln“ beide Augen zuzudrücken. Dies sei von der Söder-Regierung ausdrücklich so gewollt. Begründung von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler): „Wir hoffen, dass uns nur ein kleiner Prozentsatz hinters Licht führt und wollen deshalb fünfe gerade sein lassen.“

Laxer Umgang mit Steuergeldern

Ministerpräsident Söder (CSU), der im Wettstreit um die dicksten Spendierhosen den Bund und die anderen Länder vor sich hertreibt, erhob die Aussetzung solider Haushaltsführung sogar zur Staatsräson: Um schnell viel Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen, werde vorläufig auf Prüfungen der Bedürftigkeit bewusst verzichtet.

Dieser laxe Umgang mit Steuergeldern verfehlt seine Wirkung nicht: Allein in Bayern hat sich die Zahl der Anträge von Kleinunternehmern und Solo-Selbständigen in wenigen Tagen auf über 400.000 nahezu verdoppelt. Was sich auf eben mal rund vier Milliarden Euro summiert.

Unkontrollierte Großzügigkeit

Wie einfach es ist, das Füllhorn „Corona-Hilfe“ anzuzapfen, hat Der Spiegel für Berlin ermittelt:

Selbst Leute mit gutverdienendem Partner und sicherem Zweitjob hätten binnen weniger Tage zwischen 5.000 und 14.000 Euro überwiesen bekommen. Das Magazin zitiert einen Steuerberater: „Im Prinzip war der Antrag auf Soforthilfe so einfach wie der Gang zum Geldautomaten.“ Ein selbständiger Tanz- und Fitnesslehrer berichtet, dass er statt der beantragten 5.000 Euro sogar 8.000 Euro erhalten habe. So viel unkontrollierte Großzügigkeit verwundert selbst jene, die den Hilfsprogrammen eine existenzsichernde Funktion bescheinigen.

„Warum hat der Senat nicht ein paar Stunden darüber nachgedacht, wie er Mitnahmeeffekte begrenzen kann?“, fragt ein Berliner Manager in einer Beschwerde-Mail an den Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD). Anstatt wenigstens nach dem Gesamteinkommen des Haushalts zu fragen, habe die hoch verschuldete Hauptstadt binnen kurzer Frist „1,3 Milliarden Euro durch den Schornstein geblasen. Aber demnächst heißt es wieder, für die Sanierung der Schulen sei kein Geld da.“

Großangelegter Betrug von Cyber-Kriminellen

Ein nicht minder erschütterndes Bild von Leichtfertigkeit und Naivität zeichnet das Handelsblatt, das die Wirtschafts- und Finanzministerien der 16 Bundesländer befragt hat: „Die Wahrscheinlichkeit, dass unredliche Antragsteller auffliegen, ist extrem gering. Die Politik hat es unterlassen, Prüfmechanismen zu organisieren.“ Selbst der großangelegte Betrug von Cyber-Kriminellen, die mit Fake-Websites die Gelder von etwa 4000 Antragstellern ins Ausland umgeleitet haben, habe daran nur wenig geändert. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, notleidende Unternehmer mit bürokratischen Hürden in den Ruin zu treiben, würden Steuerdaten allenfalls in begründeten Einzelfällen geprüft. Je nach Bundesland mit unterschiedlicher Intensität.

Der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, formuliert, was viele Prüfer umtreibt: „Wie sollen Behörden herausfinden, ob und wie sehr zum Beispiel Künstler, Fitnesstrainer oder Webdesigner von der Krise betroffen sind? Mit den Finanzämtern werden ja derzeit nicht einmal die Steuernummern abgeglichen.“

Wetteifern darum, Gutes zu tun

Mangelnde Kontrolle, kaum Datenabgleich und ein föderales Wirrwarr an Fördermöglichkeiten: Das ist der ideale Nährboten für Betrüger und lädt selbst redliche Bürger ein, den Geldtransfer zum Staat zur Abwechslung mal umzudrehen. Dabei sind die „unbürokratischen Soforthilfen“ nicht auf Kleinunternehmer und Solo-Selbständige beschränkt. Auch die einzelnen Ministerien wetteifern darum, ihrer Klientel Gutes zu tun: Das reicht von der erleichterten Bafög-Gewährung für Studenten über Hartz-IV-Leistungen ohne Vermögensprüfung bis hin zum „Wohngeld-Express“.

Im Bund wetteifern Wirtschaftsminister Altmaier (CDU), Finanzminister Scholz (SPD) und Sozialminister Heil (SPD) um die Trophäe des großzügigsten Job-Retters. Schon bei ersten Umsatzeinbrüchen kann Kurzarbeitergeld beantragt werden. Diese Gelegenheit haben allein im März 470.000 Unternehmen mit Millionen Begünstigten genutzt. Geht die Entwicklung so rasant weiter, dürften die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit von 26 Milliarden Euro bald aufgebraucht sein.

Was dem Kleinunternehmer recht ist, soll dem Mittelständler nur recht sein. Sie erhalten bis zu 800.000 Euro an Schnellkrediten – und zwar ohne „tiefergehende Prüfung“.

Geöffnete Geldschleusen von EU und EZB

Nicht einmal ein Restrisiko von zehn Prozent müssen die Banken tragen, der Staat übernimmt über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) das vollständige Risiko. Selbst Wirtschaftsverbände, die sonst gerne vor einer Vollkaskomentalität warnen, sind voll des Lobes. Denn der Finanzminister, der in der Vor-Corona-Zeit noch Bäckereien mit einer Bonpflicht überzogen hat, damit dem Staat nur ja kein Cent entgeht, verzichtet nun selbst auf eine „positive Fortführungsprognose“. Mit anderen Worten: Wenn das Unternehmen trotz Staatshilfe pleite geht, ist das viele Geld eben weg.

Doch das alles sind Peanuts im Vergleich zu den Geldschleusen, die nun EU und EZB öffnen. Zu den Aber-Milliarden an diversen Fonds kommen nun noch einmal 500 Milliarden Euro, die vornehmlich in Länder wie Italien, Spanien oder Frankreich fließen sollen, die es mit der Haushaltsdisziplin bislang nicht so genau genommen haben. Mit mindestens jeweils 27 Prozent ist Deutschland jeweils in der Haftung. Den Grünen ist selbst das zu wenig. Sie stehen an der Seite derer, die über Corona-Bonds auch noch eine Vergemeinschaftung der Schulden fordern. Unterstützt von weiten Teilen der deutschen Medien. Wohlwissend, dass die deutschen Steuerzahler schon heute mit Abgaben über Gebühr belastet und die angeblich „armen Südländer“ persönlich über mehr Immobilienvermögen verfügen.

Und auch diese Grunderkenntnis der Finanzpolitik wird hartnäckig ignoriert: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Bei einer Vermögenssteuer, mit der SPD, Grüne und Linkspartei bereits liebäugeln, wird es nicht bleiben. Denn nur Masse füllt die Kasse. An den Folgen werden auch viele schwer zu tragen haben, die jetzt dem großzügig helfenden Staat applaudieren.

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