Corona-Folgen für die Wirtschaft - Sollte die Mehrwertsteuersenkung verlängert werden?

Sparen bei jedem Einkauf – die Corona-Mehrwertsteuersenkung hat es möglich gemacht. Nun soll sie ab 1. Januar 2021 wieder zurück auf 19 Prozent ansteigen. Dabei ist die deutsche Wirtschaft weiterhin angeschlagen. Warum wir deshalb jetzt die Chance nutzen sollten für eine Steuerreform.

Jetzt noch einmal den Einkaufswagen vollpacken, bevor die Mehrwertsteuer wieder steigt / dpa
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Jakob Arnold hospitierte bei Cicero. Er ist freier Journalist und studiert an der Universität Erfurt Internationale Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften. 

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„Auf dieser Erde ist nichts dauerhaft – nur das Provisorium.“ Ein derzeitiges Provisorium der deutschen Politik ist die aktuelle Höhe der Mehrwertsteuer. Seit Juli gilt der verminderte Satz von 16 beziehungsweise 5 Prozent. Diese Maßnahme soll nach dem Willen der Regierung bis zum Dezemberende befristet sein. Ab 1. Januar 2021 soll der Mehrwertsteuersatz wieder auf das Vor-Corona-Level ansteigen.

Doch Corona ist längst nicht vorbei. Es ist sogar noch schlimmer geworden: Am 1. Juli lag die Zahl der Neuinfektionen bei unter 500 pro Tag, heute sind es mit circa 20.000 pro Tag um ein Vielfaches mehr. Die Bundesregierung begründete die Mehrwertsteuersenkung im Juli mit der Coronakrise. Ganz so als bestünde die deutsche Wirtschaft auch heute noch vorwiegend aus Webstühlen und Dampfmaschinen heißt es auf ihrer Website, dass die Steuersenkung den „Konsum wieder ankurbeln“ und „der Wirtschaft neuen Schub“ geben solle. Doch so richtig rund will die Wirtschaft immer noch nicht laufen. Müsste die gewährte Steuersenkung demzufolge nicht verlängert werden?

Was hat sie gebracht?

Zum einen hat die Steuersenkung Kosten für den Staat verursacht. Denn die Mehrwertsteuer ist eine wichtige Einnahmequelle für den Bundeshaushalt. Von den 800 Milliarden Euro, die der Bund 2019 an Steuern eingenommen hat, gingen allein 243 Milliarden Euro auf das Konto der Mehrwertsteuer; das ist jeder dritte Euro, den der Fiskus eingenommen hat.

Nach Berechnungen des Finanzministeriums dürfte sich das Minus durch die Senkung auf circa 20 Milliarden Euro belaufen. Keine kleine Summe. Zum Vergleich; das entspricht beinahe exakt den jährlichen Bundesausgaben für Bildung und Forschung.

Private Haushalte und Unternehmen

Doch in der sozialen Marktwirtschaft ist nicht nur der Staat wirtschaftlicher Akteur. Mit ihm stehen private Haushalte und Unternehmen in wechselseitiger Dreiecksbeziehung. Die Mehrwertsteuersenkung sollte auf Kosten des Staates den Konsum der Haushalte vorziehen und die Produktion der Unternehmen steigern. So sollten Unternehmen kurzfristig unterstützt werden, damit sie langfristig stabil Steuern zahlen können. Wurden diese Ziele erfüllt?

Fragt man die Leute auf der Straße, ob sie die Steuersenkung gespürt haben, wird das der Großteil verneinen. Niemand wird sagen, dass er gar nicht wisse, wohin mit all dem gesparten Geld. Doch seit Sigmund Freud wissen wir, dass das Unbewusste trotzdem Teil der Realität ist.

Steuerlast nicht gleich Steuerinzidenz

Deshalb kommt es vor allem darauf an, wie die Steuerersparnis zwischen Unternehmen und Haushalten aufgeteilt wurde. Formelle Steuerlast ist nicht gleich Steuerinzidenz. Der Supermarkt muss die komplette Mehrwertsteuer unserer Einkäufe ans Finanzamt abführen. De jure trägt er die Steuerlast.

Das heißt jedoch nicht, dass er die Steuern für uns übernimmt. Er versucht, so viel wie möglich an uns Käufer abzuwälzen. Über die Marktkräfte ergibt sich so die Steuerinzidenz; also wer die Steuer de facto tragen muss. In den VWL-Modellen mit perfektem Markt teilen sich Supermarkt und Kunde die Steuerinzidenz hälftig auf. Damit würden sich beide auch Steuersenkungen hälftig aufteilen.

Supermärkte haben Senkung weitergegeben, Dienstleister nicht

Mit den Supermärkten hat sich das Ifo-Wirtschaftsinstitut beschäftigt. In ihrer Studie kommen sie zu dem Schluss, dass die Preise hier im Durchschnitt um 2 Prozent gesunken sind. Das heißt, dass die Supermärkte die Steuersenkung sogar komplett weitergegeben haben. Über den Erfolg der Maßnahme lässt sich trotzdem streiten. Denn ob der Preisrückgang auch die Nachfrage bei den Verbrauchern erhöht hat, stehe derzeit noch nicht fest, sagt einer der Autoren der Studie – Daniel Stöhlker – zu Cicero.

Nach dem zuletzt veröffentlichten Bundesbank-Monatsbericht war im Dienstleistungssektor größtenteils das Gegenteil der Fall. „Viele Dienstleister [dürften] den größten Teil der Mehrwertsteuersenkung einbehalten haben“, da beispielsweise im Gastronomie- und Hotelgewerbe die Umsätze stark zurückgegangen sind und sie das Geld schlichtweg brauchen. 

Jojo-Effekt

In seinem Papier verweist Stöhlker auf eine Beobachtung einer englischen Studie. Sie beschäftigt sich mit einer Mehrwertsteuersenkung, die in Großbritannien nach der Finanzkrise 2008 für 13 Monate durchgesetzt wurde.

Die Forscher beobachten, dass die Preise noch während des gesenkten Steuersatzes, zum Ende der Maßnahme hin wieder anstiegen und der Effekt so verloren gegangen ist (In Deutschland trat das bisher nicht ein). Nach der Rückkehr zum regulären Mehrwertsteuersatz waren die Preise in England sogar noch höher, als sie es ohne vorherige Senkung gewesen wären. Die gesenkte Mehrwertsteuer könnte damit langfristig zu höheren Preisen geführt haben.

Stöhlker weist jedoch darauf hin, dass diese langfristigen Preiseffekte „statistisch nicht von Null verschieden [sind] und daher mit Vorsicht zu genießen. Das kann auch einfach mal ein Ausreißer in den Daten sein.“

Dienstleister trotzdem leer ausgegangen

Würde die Senkung zum Jahresende aufgehoben, hätte sie zum Schluss den Supermärkten genutzt, um ihre Kunden glücklich zu machen. Dabei waren diese gar nicht das Ziel der Maßnahme. Dank der Hamsterkäufer ist der Umsatz der Supermärkte sogar von alleine gestiegen. Dem Dienstleistungssektor hat die Maßnahme zuletzt jedoch gar nichts genutzt, da mit dem faktischen Berufsverbot seit November gar kein Geschäft mehr stattfindet. Wer keine Umsätze macht, spart auch keine Umsatzsteuer ein. 

Dabei sind es vor allem die Freizeitdienstleister, die leiden. Wenn sie irgendwann wieder Gäste haben, werden sie jeden Euro brauchen, um sich finanziell zu erholen. Die Mehrwertsteuer wird dann jedoch wieder auf dem regulären Satz liegen.

Bürokratischer Aufwand

Auf Anfrage des Cicero teilt der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) mit, dass bereits die Senkung im Juli „für viele Handwerksbetriebe erhebliche bürokratische Belastungen gebracht“ habe. Der ZDH spricht sich wegen der gesamtwirtschaftlichen Lage zwar gegen eine Verlängerung der Steuersenkung aus, stellt damit jedoch auch das Dilemma fest, das sich daraus ergibt: „Unabhängig davon, ob die erneute Umstellung nun zum Januar oder zum Halbjahr 2021 erfolgt, kommt auf die Betriebe Umstellungsaufwand zu.“

Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU im Bundestag widerspricht bei Cicero: „Durch die klare Befristung konnten alle Beteiligten von Anfang an vorausschauend planen.“ Pfeiffer geht von einem „reibungslosen Übergang“ aus.

Einigkeit zwischen ZDH und Pfeiffer gibt es bei der Feststellung, dass es in den betroffenen Branchen gezielterer Hilfen benötigt. Pfeiffer macht klar: „Die Mehrwertsteuersenkung ist kein Allheilmittel.“ Zur Bewältigung der Coronakrise eignet sich eine verlängerte Mehrwertsteuersenkung demnach nicht. Aus dieser Perspektive sollte sie wie geplant im Dezember enden. 

Eine gute Gelegenheit für Reformen

Vielleicht wäre die Mehrwertsteuer jedoch generell eine erste Gelegenheit, das deutsche Steuersystem zu reformieren. Der Wirtschaftsexperte Gabriel Felbermayr sprach im heute journal davon, dass sich die Deutschen eine Steuersenkung „verdient hätten“. Tatsächlich langt der Staat in Deutschland kräftig zu. Bezogen auf die Abgabenlast auf Einkommen bleibt nur in Belgien noch weniger Netto vom Brutto als hierzulande.

Andererseits könnte man argumentieren, dass sich Deutschland gerade keine Steuersenkungen leisten kann. Der Staat hat sich wegen Corona fast 400 Milliarden Euro an den Finanzmärkten geliehen. Dieses Geld wird über die nächsten Jahrzehnte zurückzuzahlen sein, weshalb auch der Fiskus dringend Geld braucht.

„Faire“ Lastenverteilung

In der Frage, wie die Corona-Lasten getragen werden sollen, wird jedoch immer wieder betont, dass es „fair“ sein muss. Eine Mehrwertsteuersenkung eignet sich dafür als Instrument, da davon vor allem die Geringverdiener profitieren. Wer – vielleicht auch wegen Corona – so wenig verdient, dass er sein komplettes Gehalt verkonsumiert, wird von der Mehrwertsteuer härter getroffen als Gutverdiener, die nur einen geringen Teil ihres Einkommens direkt ausgeben.

Allerdings wird der alltägliche Bedarf ohnehin mit geringerer Mehrwertsteuer belastet. Auch der reguläre Satz von 19 Prozent ist im europäischen Vergleich niedrig. Unter 20 Prozent kommt fast kein Verbraucher in Europa davon. Dafür zahlt z.B. der Brite gar keine Steuern auf das Essenzielle. Es wäre grundsätzlich eine Überlegung wert, ob dieses Modell sich auch für uns eignen würde. Steuern für die neuen Schulden lassen sich schließlich auch an anderer Stelle erheben.

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