CO2-Emissionen - Wir rechnen falsch

Nach einer Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung sind Pauschalaussagen wie „Bahnfahren ist umweltfreundlich, Autofahren ist umweltschädlich, Fliegen geht gar nicht“ haltlos. Statt etwa Elektro-Autos mit Milliarden Steuergeldern zu subventionieren, plädieren die Autoren für mehr Ideologiefreiheit in der Verkehrs- und Klimadebatte.

Autos stauen sichauf der Berliner Stadtautobahn A100 Foto: Robert Schlesinger/dpa
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Klaus Radermacher ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der KRBE GmbH in Bad Honnef. Das Unternehmen wurde u.a. von der Friedrich-Naumann-Stiftung beauftragt, die Studie "Ganzheitliche ökologische Bilanzierung von Verkehrssystemen" durchzuführen.

So erreichen Sie Klaus Radermacher:

Anzeige

Dass die Forderung nach starker Reduzierung beziehungsweise gar Abschaffung aller Inlandsflüge zur Reduzierung der CO2-Emissionen des Verkehrssektors und zum Schutz des Weltklimas etwas voreilig sein könnte, ist gerade in den vergangenen Wochen diskutiert worden. Eine Anfrage der Partei Die Linke beim Verkehrsministerium hatte ergeben, dass die dabei eingesparten CO2-Mengen im Verhältnis zu den deutschen Gesamtemissionen nur im Promillebereich liegt. Aber auch im Kontext dieser Anfrage wurde ignoriert, dass die klimarelevanten Auswirkungen verschiedener Verkehrsmittel in der öffentlichen und politischen Debatte immer nur im Zusammenhang mit den aus der Antriebsenergie entstehenden CO2-Belastungen diskutiert werden. Die Tatsache, dass zur Erbringung einer Verkehrsleistung jedweder Art immer auch Infrastruktur notwendig ist, wird meist ignoriert.

In einer von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit beauftragten Studie wurde jetzt erstmals ein ganzheitlicher Ansatz zur Ermittlung der CO2-Emissionen bezogen auf die jeweils erbrachte Verkehrsleistung vorgestellt. Die Studie beschreibt eine Methodik, in der für jedes Verkehrssystem einerseits die Knotenpunkt-Infrastruktur (Bahnhöfe, Flughäfen, Parkraum), die Wege-Infrastruktur (Straßen, Bahntrassen mitsamt Elektrifizierung), die Steuerungs-Infrastruktur (Verkehrszeichen und Ampeln, Stellwerke, Signalanlagen und Weichen, Flugsicherungssysteme) berücksichtigt werden, andererseits aber auch die Produktion der einzelnen Verkehrsmittel (Pkw, Zug, Flugzeug) und deren Energieverbrauch bei der Fortbewegung systematisch ermittelt und auf die jeweils erbrachte Verkehrsleistung umgelegt werden.

Enorme „versteckte Belastungen“

Daraus lässt sich ein konkreter CO2-Wert für jeden geleisteten Personenkilometer (PKM) ermitteln. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen deutlich, dass die häufig bemühten, vereinfachenden Sichtweisen, wie „Bahnfahren ist umweltfreundlich, Autofahren ist umweltschädlich, Fliegen geht gar nicht“ bei ganzheitlicher Betrachtung in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus im Luftzug.

Wo in der Diskussion ist jemals darauf hingewiesen worden, dass allein die CO2-Belastungen aus der Produktion eines durchschnittlichen Pkw mit 33 Gramm CO2 für jeden PKM zu Buche schlagen, die auf die 85 Gramm CO2 aus dem Auspuff hinzuaddiert werden müssen? Bei Elektrofahrzeugen ist die produktionsbedingte CO2-Belastung derzeit sogar noch höher, da die Batteriefertigung nach wie vor sehr CO2-intensiv ist. Hintergrund dieser enormen „versteckten Belastungen“ ist vor allem die unglaubliche Ineffizienz des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Bei durchschnittlich nur einer Stunde Fahrzeit pro Tag (23 Stunden steht das Auto und benötigt Parkraum) und einer durchschnittlichen Auslastung von lediglich 1,5 der fünf verfügbaren Plätze ergibt sich eine rechnerische Nutzungseffizienz von 1,25 Prozent.

Der „Spinat-Irrtum“

Noch drastischer werden die Verzerrungen in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich, wenn der Bau der Wege-Infrastruktur mitberücksichtigt wird. Gerade die Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn, die vor allem aus Beton, Stahl und Kupfer bestehen und oft durch kilometerlange Tunnel und über hohe Talbrücken führen, verursachen beim Bau Millionen Tonnen CO2.

Die in der Studie gerechneten Beispiele zeigen drastisch auf, dass die pauschale Aussage „Bahnfahren ist umwelt- und insbesondere klimafreundlich“ als „Spinat-Irrtum“ des 21. Jahrhunderts abgetan werden muss, denn eine falsche Aussage wird auch durch ständige Wiederholung nicht richtig. Werden die CO2-Emissionen der notwendigen Infrastruktur korrekt auf die geleisteten Personenkilometer umgelegt, so sind auch viel befahrene und gut ausgelastete Strecken der Bahn zuweilen deutlich CO2-intensiver, als wenn die Reise mit einem Pkw oder gar Flugzeug erfolgt.

Luftraum muss weder gebaut noch gewartet werden

Für das Verkehrssystem Luftfahrt wird deutlich, dass keinerlei Wege-Infrastruktur benötigt wird, ein systemimmanenter Vorteil, der in den Diskussionen schlicht ignoriert wird. Die Luft, in der die Flugzeuge zwischen zwei Flughäfen unterwegs sind, ist einfach da, sie muss weder gebaut noch gewartet werden. Mobilität ist angewandte Physik. Interessante Erkenntnisse liefern auch die Berechnungen zur physikalischen Bewegungseffizienz der untersuchten Verkehrssysteme. Da Züge sehr schwer sind, liegt die zu transportierende Gesamtmasse pro Person durchschnittlich bei 1,8 Tonnen, im Flugzeug, trotz des mitzuführenden Kerosins, nur bei weniger als 0,5 Tonnen.

Systembedingt halten Züge unterwegs häufig an, die schnellste ICE-Verbindung der Beispielstrecke HamburgMünchen hat acht Zwischenhalte; auch für den Fahrgast, der von Hamburg nach München durchfahren möchte, sind deshalb mindestens neun sehr energieintensive Beschleunigungsvorgänge von null auf bis zu 290 Stundenkilometer notwendig. Aus physikalischer Sicht ist der Transportvorgang im Flugzeug, bei dem nur einmal beim Start beschleunigt wird und bei dem für jeden zu beförderndem Passagier eine sehr viel geringere Masse zu bewegen ist, sehr viel effizienter, als dies mit den deutlich höheren Massen und der größeren Anzahl an Beschleunigungsvorgängen in der Bahn und auf der Straße der Fall ist.

Monokausales Denken ist keine Lösung

Mobilität ist komplex. Monokausales Denken liefert keine Lösungen. Neben der detaillierten Analyse macht die Studie auch konkrete Vorschläge, wie im Verkehrssektor Jahr für Jahr allein in Deutschland zig Millionen Tonnen CO2 eingespart werden können, ohne dass es zu einer Einschränkung der Mobilität kommen muss. Vorausgesetzt, dass wir als Gesellschaft bereit sind, Mobilität anders zu denken. „Mobility as a Service“-Konzepte und Innovationen wie „Autonomes Fahren“ oder „Digitale Mobilitäts-Plattformen“ müssen zukünftig eine entscheidende Rolle spielen.

Teure und CO2-intensive Infrastrukturen würden weniger gebraucht und die vorhandene Infrastruktur müsste weniger gewartet und seltener ersetzt werden. Hier liegt der entscheidende Hebel für effizientere Mobilität. CO2-Emissionen, die durch Bau und Wartung der Verkehrsinfrastruktur entstehen, in der Rechnung zu ignorieren, hilft hingegen niemandem, dem Klima schon gar nicht. Sachlich ist es weder gerechtfertigt noch hilfreich, bestimmte Verkehrsmittel grundsätzlich zu verteufeln und andere als die Lösung für alle zukünftigen Probleme zu bejubeln.

Wettbewerb ist zu begrüßen

Zukünftige Verkehrssysteme müssen sich sinnvoll ergänzen; Wettbewerb ist dabei grundsätzlich zu begrüßen und kann durch sinnvolle Regulierung erreicht und gelenkt werden. Ganzheitlich über die gesamte Prozesskette hinweg zu denken, sämtliche notwendigen Infrastruktur-Komponenten im Blick zu behalten und komplexe Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ohne ideologische Scheuklappen zu berücksichtigen, ist dringend geboten. Statt beispielsweise den Absatz von Elektro-Pkw mit Milliarden Steuergeldern zu subventionieren, sollte eher über Anreize nachgedacht werden, wie die Nutzungseffizienz im motorisierten Individualverkehr (MIV) verbessert werden kann. Eine ideologiefreie Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Erkenntnissen, Verfahren, Methoden und Technologien ist zwingend notwendig, um nicht in Zukunft immer nur auf „ausgetretenen Pfaden“ unterwegs zu sein.

Die gesellschaftliche Diskussion zur Mobilität der Zukunft muss über alle Parteigrenzen hinweg konsequent versachlicht werden und sich an naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und technisch Machbarem orientieren. Emotionen und Ideologien und das kategorische Festhalten an dem, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, in der Zukunft aber eher hinderlich ist, bringen uns in dieser wichtigen Debatte nicht weiter.

Anzeige