Baukindergeld - „Das ist gewissermaßen Etikettenschwindel“

Einzig auf das Baukindergeld konnten sich SPD, CDU und CSU im Koalitionsausschuss einigen. Die Maßnahme soll Wohnungsbau und Familien mit zu wenig Eigenkapital fördern. So aber steigen die Preise weiter, sagt DIW-Experte Claus Michelsen. Das Geld kommt bei den Falschen an

Schwere Zeiten für Häuslebauer: SPD und CSU wollen das Baukindergeld an Flächengrenzen koppeln /picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Herr Michelsen, der neueste Zankapfel der Großen Koalition war das Baukindergeld. Jetzt hat man sich doch geeinigt. Können Sie kurz erklären, worum es dabei geht? 
Das Baukindergeld ist eine Förderung, die Familien zugute kommen soll. Jeder Familie, die sich zum ersten Mal ein Haus oder eine Wohnung kauft, wird ein Zuschuss gewährt. Dieser Zuschuss beträgt 1.200 Euro pro Kind, er soll für zehn Jahre gewährt werden. Das Ganze ist an Einkommensgrenzen gekoppelt. Der Haushalt darf nicht mehr als 75.000 Euro brutto verdienen plus 15.000 Euro für jedes Kind. Für eine Familie mit zwei Kindern heißt das, dass sie nicht mehr als 105.000 Euro verdienen darf.

Vor dem Hintergrund rasant steigender Mieten und Baupreise klingt das nach einer guten Sache. Sie aber sagen, es ist der falsche Weg zum Eigenheim. Warum? 
Das Baukindergeld setzt aus meiner Sicht an verschiedenen Punkten falsch an. Es treibt die Preise weiter nach oben und verteilt Geld an Haushalte, die ohnehin gekauft hätten. Der wichtigste Aspekt ist aber: Viele Haushalte haben gar nicht das Problem, dass sie sich die Kreditraten nicht leisten könnten. Dank der niedrigen Zinsen sind die Finanzierungskosten trotz der stark gestiegen Preise für Bauland und Wohnungen erschwinglich. Das Problem ist, dass vielen Leuten die Kaufnebenkosten davongelaufen sind und damit das, was man an Eigenkapital anfangs mitbringen muss. Eine solide Finanzierung erfordert mindestens 20 Prozent Eigenmittel. Dort setzt das Baukindergeld aber nicht an. Es leistet über zehn Jahre einen Beitrag, der in die Kreditrate gesteckt werden kann, aber nur sehr indirekt zu Anfang der Investition hilft, wenn das nötige Kleingeld fehlt.

Dann ist das Baukindergeld ein Steuergeschenk an Familien, die ohnehin privilegiert sind, weil sie schon das nötige Eigenkapital für den Hausbau oder Wohnungskauf haben? 
Genau. Wer am Wohnungsmarkt aktiv wird, hat tendenziell ein höheres Einkommen. Diese Haushalte haben aber vor allem selber schon genug gespart oder sind in den Genuss von Schenkungen oder Erbschaften gekommen. In vielen Regionen kommen nur die oberen 40 Prozent der Einkommen kommen als Käufer in Frage.

DIW-Experte Claus Michelsen

Die Baulandpreise sind seit 2010 um 60 Prozent gestiegen, in Großststädten sogar um 90 Prozent. Hat das Baukindergeld darauf Auswirkungen?
Tatsächlich ist es eine nicht ganz unberechtigte Befürchtung, dass das Baukindergeld die Preise weiter steigen lässt. In Märkten, die umkämpft werden, wird es wahrscheinlich in höheren Baulandpreisen kapitalisiert werden. Im Augenblick ist es so, dass viele an die Grenze dessen heranfinanzieren, was irgendwie machbar ist. Dieses Baukindergeld verschiebt diese Grenze im Grunde genommen nur noch weiter nach oben. In diesem Überbietungswettbewerb wird Raum geschaffen für höhere Preise, die letztlich an den Immobilienverkäufer gezahlt werden und gar nicht den Haushalten direkt zugute kommen.

Das Baukindergeld hat die Eigenheimzulage abgelöst, die als größte steuerliche Subvention der Nachkriegsgeschichte galt. Warum wurde die 2005 eigentlich abgelöst? 
Bei der Eigenheimzulage war man sich einig, dass sie eine Subvention mit hohen Mitnahmeeffekten war. Das heißt, viele Haushalte, die so oder so ein Haus gekauft oder gebaut hätten, haben sich diese Förderung als Geschenk in die Tasche gesteckt. Die Eigenheimzulage wurde auch mit der Begründung abgeschafft, dass sie zu höheren Bau- und Grundstückspreisen geführt habe. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt hatte sich Mitte der 2000er Jahre zudem entspannt. Man brauchte diese Förderung nach Einschätzung der Politik nicht mehr. 

Dann ist das Baukindergeld eine Art „Eigenheimzulage light“?
Ja, die Eigenheimzulage war zwar anders konstruiert, das Förderprinzip aber dasselbe. Das Volumen war allerdings wesentlich höher. In Spitzenzeiten betrug die Förderung rund elf Milliarden Euro jährlich.

Die Bundesregierung hat für das Baukindergeld bis 2021 zwei Milliarden Euro bereitgestellt. Haben Sie mal ausgerechnet, für wie viele Antragsteller das reichen würde?
Es würde wahrscheinlich nur für die Hälfte der Antragsteller reichen. Das Geld wird durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ausgezahlt, und wenn das Geld alle ist, ist es alle. Einige gucken dann möglicherweise in die Röhre. 

Deswegen gibt es jetzt Überlegungen, die Auszahlung auf anderem Wege zu begrenzen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bauminister Horst Seehofer (CSU) hatten sich auf eine Obergrenze verständigt. Baukindergeld sollten Familien nur noch für Häuser bekommen, die nicht mehr als 120 Quadratmeter Wohnfläche haben. Wieviel Antragsteller würden danach leer ausgehen?  
Wir haben in unserem sozioökonomischen Panel nachgerechnet, wieviele Haushalte davon betroffen wären. Ergebnis: Etwas mehr als die Hälfte der Haushalte bauen größer als die vorgeschriebenen 120 Quadratmeter. Die würden nicht in den Genuss dieser Förderung kommen.

Dann dürfte der Etat von zwei Milliarden Euro nach Ihrer Rechnung doch wieder genau ausreichen.
Ja, eben dieser Effekt ist beabsichtigt.

Wäre es nicht ehrlicher, die Einkommensgrenzen stattdessen herunterzusetzen?
Das würde zumindest die Mitnahme-Effekte reduzieren. Es würde auch den bürokratischen Aufwand für die Gewährung der Förderung verringern und die Transparenz des Instruments insgesamt erhöhen.

Familien erst ein Baukindergeld zu versprechen und dann den Kreis der Empfänger nachträglich wieder einzugrenzen, klingt nach Wahlkampf-Trickserei.
Ja, es ist in gewisser Weise ungerecht. Vor allem aber auch deshalb, weil das Baukindergeld große Teile der Bevölkerung nicht erreicht, die selber Probleme haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Gleichzeitig finanzieren sie eine Förderung für Haushalte mit, die diese als Geschenk mitnehmen. Es geht doch darum, gezielt diejenigen zu unterstützen, die aufgrund der stark gestiegenen Preise nicht mehr bauen können und nicht alle, die ein Haus erwerben.

Gibt es keine effektiveren Instrumente, um den Hausbau oder den Wohnungskauf zu fördern?
Aus meiner Sicht könnte sich die Regierung mit „Nachrangdarlehen“ behelfen. Das sind staatlich bereitgestellte Gelder, die sich Hausbauer leihen können. Aber der Staat stellt sich hinten in der Gläubigerschlange an. Banken werten das als Eigenkapital.

Wie sieht es aus mit Bürgschaften?
Dies hätten einen ähnlichen Effekt. Für Banken würden Ausfallrisiken reduziert. Beides hätte den Vorteil, dass man tatsächlich nur die Haushalte fördert, die nicht genug Eigenkapital haben, aber über ausreichende Einkünfte verfügen, um die laufenden Lasten der Finanzierung  zu schultern. Es würde den Steuerzahler auch deutlich weniger kosten und nicht die Preise auf dem Wohnungsmarkt in die Höhe treiben.

Aber wenn dieser Effekt schon der Grund dafür war, die Eigenheimzulage abzuschaffen, warum macht die Regierung mit dem Baukindergeld denselben Fehler?
Ich spreche darüber intensiv mit Abgeordneten aller Fraktionen. Die Erkenntnis, dass man mit dem Baukindergeld sehr großzügig ist, ist überall vorhanden. Nur werden daraus verschiedene Rückschlüsse gezogen. 

SPD und CSU wollten die Eingrenzung. Warum wollte die CDU aber Geld für alle?
In meinen Augen geht es darum, ein Zeichen zu setzen. Man will den eigenen Wählern signalisieren, dass man sich um sie kümmert. Und da erscheint es auf den ersten Blick deutlich attraktiver, eine große pauschale Förderung für alle bereitzustellen, als quasi mit dem Skalpell an die Geschichte heranzugehen und nur diejenigen zu unterstützen, die tatsächlich erst durch die Förderung in die Lage versetzt werden, eine Immobilie zu kaufen.

Ist das Baukindergeld letztlich also nur eine Scheinförderung?
In gewisser Weise ist es ein Etikettenschwindel, weil nur bestimmte Menschen erreicht werden und ganz große Teile der Bevölkerung keine Unterstützung erfahren. Deren Probleme, gerade auf dem Mietwohnungsmarkt, sind weiter ungelöst. Und die Förderung verursacht ja auch Kosten, die nicht zu vernachlässigen sind. Für den sozialen Wohnungsbau hat die Regierung 1,5 Milliarden Euro vorgesehen. Für das Baukindergeld wäre es ohne die jüngsten Einschränkungen bei der Wohnfläche auf mehr als das Doppelte hinauslaufen, ohne größere Effekte zu entfalten. Das steht in einem gewissen Widerspruch.

Claus Michelsen ist promovierter Volkswirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Abteilungen Konjunkturpolitik und Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

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