Brückeneinsturz in Genua - Warum der Transport auf der Straße teurer werden muss

Der Brückeneinsturz von Genua ist auch die Folge einer immer größeren Belastung der Straßen. Noch nie waren so viele Lkw unterwegs wie heute, eine Folge der Globalisierung. Das einzige wirksame Gegenmittel wäre eine Erhöhung der Kosten

Eingestürzte Morandi-Brücke in Genua: Die Grenzen der Mobilität sind erreicht / picture alliance
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Eine plötzlich zusammenkrachende Brücke wie in Genua ist der Albtraum eines jeden Autofahrers, also quasi jedes erwachsenen Europäers. Doch mag auch die Autobahn in Norditalien jetzt ins Nirgendwo führen, die Katastrophe kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist die Folge einer seit Jahrzehnten fehlgeleiteten Verkehrspolitik. Die Morandi-Brücke wurde in einer Zeit gebaut, als für die Mobilität auf Rädern alle Wege geebnet wurden, denn sie versprach grenzenloses Wachstum. Man muss nicht nach Genua schauen, es reicht eine Fahrt auf einer beliebigen deutschen Autobahn, um zu erkennen, dass die Grenzen erreicht sind. Zum Beispiel auf der Strecke von Berlin nach Hamburg, wo sich momentan, mitten in der Hauptreisezeit, eine Baustelle an die nächste reiht. 

Lkws belasten Straßen 100.000 Mal mehr als Pkw

Wer nach dem Grund sucht, muss nur an einem Rasthof anhalten, wo nahezu jeder Parkplatz mit Lkws besetzt ist. Dass die Straßen das nicht aushalten, ist kein Wunder. Ein gewöhnlicher Pkw mit einer Tonne Gewicht drückt mit 500 Kilo pro Achse auf den Asphalt, sagen Verkehrsforscher. Bei einem vierachsigen 30-Tonner lasten pro Achse 7,5 Tonnen auf der Straße, das ist das 15-Fache. Nun kommt das Vierte-Potenz-Gesetz ins Spiel, nach dem die Forscher die Belastung für die Straßen ausrechnen. Der Verschleiß der Straße durch ein Fahrzeug steige mit der vierten Potenz seines Gewichts. Die Belastung und der damit angerichtete Schaden ist pro Achse also nicht 15-mal so groß wie beim Pkw, sondern der Faktor beträgt 15x15x15x15, das ist 50.625. Da ein Lkw außerdem doppelt so viele Achsen hat wie ein Pkw, schädigen sie die Straße sogar mehr als 100.000-mal so stark.

Und von ihnen fahren so viele auf Deutschlands und Europas Straßen wie noch nie. Laut der Shell-Nutzfahrzeug-Studie fahren in Deutschland derzeit knapp 3 Millionen Nutzfahrzeuge, doppelt so viele wie 1990. Ein Ende ist nicht abzusehen. In 20 Jahren werden es noch einmal 20 Prozent mehr sein. Deswegen müssen viele Straßen repariert werden, was einen Teufelskreis in Gang setzt. Um zum Beispiel gesperrte Brücken zu umfahren, müssen Lkw auf andere Straßen ausweichen, die dann wiederum zehn Jahre später marode sind aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens.

Folgen der Globalisierung

Doch nicht nur die Straßen werden dadurch belastet. Der Lkw-Verkehr verursacht Stress, macht krank, schadet der Umwelt und kostet viel Geld. Nach Schätzungen des Verkehrsinformationsanbieters „Inrix“ werden die Staus auf deutschen Straßen im Jahr 2030 einen volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe von 33 Milliarden Euro anrichten.

Die Gründe dafür reichen über Deutschland hinaus: Sie liegen in der Just-in-time-Produktion, bei der immer logistisch genau nach Bedarf geliefert wird, in der Verlagerung der Herstellung nach China, im Internet-Handel; in der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa und in der Erweiterung der Europäischen Union. 

Diese Entwicklungen der Globalisierung sind kaum einzudämmen. An einer Schraube aber könnte man drehen, und das ist die der Transportkosten. Trotz der europaweiten Lkw-Maut sind die offenbar zu niedrig. Sonst würde es nicht passieren, dass Kartoffeln zum Waschen von Mittel- nach Südeuropa und wieder zurückgefahren werden, oder dass Krabben aus Skandinavien in Kühllastern nach Marokko zum Pulen geschickt und danach wieder auf der Straße nach Skandinavien gebracht werden. Es würde sich nicht lohnen. Weil es aber so billig ist, etwas von A nach B zu bringen, hat die Industrie ihre Lagerhaltung mehr oder weniger abgeschafft. Natürlich verstärken auch wir Verbraucher das Problem. Allzu gerne bestellen wir Produkte im Internet und erzeugen so den Stau mit, in dem wir stehen.

Vorbild Schweiz

Doch drastisch erhöhte Maut-Gebühren für Lkw wären immerhin eine Möglichkeit, um die Straßen erheblich zu entlasten. Ein Vorbild könnte die Schweiz sein. Dort gilt die „Schwerstverkehrsabgabe“ für jeden Lkw ab 3,5 Tonnen, auf jedem Straßenkilometer. Weil alle zahlen müssen, gab es in der Schweiz weder eine Verlagerung von großen auf kleine Lkw noch von der Autobahn auf die Bundesstraße. Stattdessen werden gerade in den sensiblen Alpenregionen deutlich mehr Güter auf der umweltfreundlichen Schiene transportiert. Und die Kosten für die Verbraucher sind nur um 0,5 Prozent gestiegen.

Leider spricht nichts dafür, dass sich für ein ähnliches Modell in Deutschland oder in der EU politische Mehrheiten finden. Stattdessen denkt die Bundesregierung eher darüber nach, die Planung von Infrastrukturprojekten zu beschleunigen. Es geht darum, Klagemöglichkeiten zu beschränken. Damit noch schneller noch mehr gebaut werden kann. Auch wenn die eine oder andere Brücke dann wieder einstürzt. 

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