Brasilien - Keine Chance gegen China

Brasilien fällt bei der wirtschaftlichen Entwicklung immer weiter hinter China zurück. Die Schüler des Landes zeigen riesige Defizite im Vergleich zu Gleichaltrigen aus Ostasien. Das Talente-Problem haben auch andere westliche Staaten

Kleine Genies: Chinas Schüler erreichen die besten Ergebnisse weltweit / picture alliance
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Gunnar Heinsohn lehrt Militärdemografie am NATO Defense College in Rom und Eigentumsökonomie am Management-Zentrum St. Gallen. 

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Wenn sich Ökonomen anlässlich der Olympischen Spiele dieser Tage mal wieder mit der brasilianischen Volkswirtschaft beschäftigen, blicken sie häufig auf Unternehmen. Vielleicht aber sollten sich die Experten für die Schüler des Landes interessieren. Dann würden sie Erstaunliches feststellen: Unter tausend brasilianischen Jugendlichen gab es beim internationalen Pisa-Test 2012 nur acht mit guten oder sehr guten Mathematikleistungen. Dagegen erreichten 671 Schüler nicht einmal die Note „mangelhaft“. Immerhin: In Brasilien gaben 85 Prozent der Befragten zu Protokoll, in der Schule glücklich zu sein.

In Brasilien gab das Bruttoinlandsprodukt 2015 um knapp vier Prozent nach. Bis Mitte 2016 sank es nochmals um weitere sechs Prozent. Experten erklären das meist nicht mit Bildung, sondern mit anderen Faktoren: dem Rückgang der Rohstoffpreise, der Korruption bis in die Spitzen selbst der Arbeiterpartei. Der Staat weitete seine konsumtiven Ausgaben für die Armen aus und versäumte es, während der Hochkonjunktur Reserven anzusammeln. Ein weiterer häufig genannter Grund ist die „politische Krise“, ausgelöst durch den Rücktritt Dilma Rousseffs vom Präsidentenamt im Dezember. Zwischen Ende 2013 und Juni 2016 stieg die Arbeitslosigkeit in Brasilien von 6,2 Prozent auf 11,3 Prozent.

China produziert besser und billiger

Lange Zeit galt eine einfache Industrie für Küchenherde, Kühlschränke oder Lieferwagen als Beweis für Brasiliens unaufhaltsamen Aufstieg. Viel ist davon nicht mehr übrig: Die Lieferanten produzieren inzwischen vorrangig in China. Noch 1980 machte das chinesische Pro-Kopf-Einkommen nur ein Viertel des brasilianischen aus. 2015 hat das Reich der Mitte den enormen Rückstand vollkommen wettgemacht.

Während Brasilien seine simplen Produktionsprozesse verliert, ist niemand da, der das Land auf eine neue Stufe heben kann. In Ostasien hingegen funktionieren nicht nur herkömmliche Industrien besser. China konkurriert inzwischen auch in der Hightech-Weltspitze: Im Juni präsentierte Sunway Taihu Light aus Wuxi den schnellsten Supercomputer, hergestellt ausschließlich aus heimischen Komponenten. Und der Technikhersteller DJI aus Shenzhen liefert inzwischen 75 Prozent aller zivilen Drohnen. Die eigentliche Sensation kommt von einem Unternehmen aus Peking: Ehang hat eine Drohne für einen menschlichen Passagier entwickelt, ein Lufttaxi.

Wenige Innovationen, kaum Talente

Wie kommt es, dass China innovativer ist? Ist das Land vielleicht weniger korrupt?

Bei Transparency International landete Brasilien zuletzt auf Platz 76, China nur auf Rang 83. Hier liegen die Südamerikaner vorne. Für den wirtschaftlichen Vorsprung Chinas muss es also andere Faktoren geben. Erste Hinweise liefert das US-Patentamt, das potenzielle Neuerungen besonders erbarmungslos prüft. 2002 akzeptierte es 390 chinesische, aber lediglich 112 brasilianische Patente. 2015 erreichte China einen üppigen Vorsprung von 9004 zu 381 Patenten. 

210 Millionen Brasilianer liegen ungefähr gleichauf mit 4,5 Millionen Neuseeländern, die 52 Patente durchbringen. Selbst das kleine Portugal zeigt sich mit einem Sprung von 12 auf 67 Patente dynamischer als seine Ex-Kolonie.

Warum bleibt Brasilien auf einem mittleren Niveau hängen, warum verrottet dort die Infrastruktur? Die Antwort: Weil Brasilien seine Talente bisher nicht vermehren konnte. Nichts spricht für einen gegensätzlichen Trend in den kommenden Jahrzehnten. Die vielen Schulabbrecher werden sich den Heerscharen globaler Migranten anschließen müssen.

China sitzt längst auch viel stärkeren Nationen im Nacken. In den USA sollen rund 44 Prozent der zwischen 1990 und 2007 verlorenen Industriearbeitsplätze auf das Konto chinesischer Importe gehen. Auch in den USA ist der Pisa-Schulvergleich erhellend: Unter 1000 amerikanischen Matheschülern erreichten nur 88 die Noten „gut“ oder „sehr gut“, aber 258 die Note „ungenügend“.

An der Spitze liegt Schanghai mit sechsmal besseren Ergebnissen. Die vielen Eliteschulen in der Metropole könnten dafür ein Grund sein. Macao oder Taiwan sind da repräsentativer: Dort scheitern 108 (Taiwan: 128) von 1000 Schülern, während 243 (Taiwan: 372) in Mathe glänzen. Auch dagegen bleibt Amerika – unter welcher Regierung auch immer – prekär. Deutschland belegt mit 177 Gescheiterten bei 175 Erfolgreichen den Mittelplatz. Bessere Werte erreicht die Schweiz: 124 unten, 214 oben.

Genies und Techies in China

Wie soll es für Brasilien jemals aufwärts gehen, wenn selbst die westlichen Top-Nationen wanken? Noch verteidigen in den USA aschkenasische Überflieger wie Larry Ellison (Oracle), Sergey Brin (Google) oder Mark Zuckerberg (Facebook) den westlichen Technologievorsprung. Doch ohne ihre ostasiatischen Mitarbeiter und, ja, Ehepartner steckten womöglich auch diese Giganten schon in ihrer Spätphase.

Derartige Verbindungen bewähren sich auch anderweitig: Als das Team USA 2015 die Internationale Mathematik-Olympiade gegen den Dauersieger China gewann, standen drei asiatische und zwei aschkenasische Rechenkünstler im US-Sechserteam. Dessen ungeachtet muss sogar Facebook bei den Chinesen abkupfern: Eine raffinierte Single-Platform-Kombination aus Messaging, Videokonferenzen, Kaufabschlüssen und Bezahldiensten übernahm das Unternehmen von WeChat, um den Anschluss nicht zu verlieren. WeChats Mutterfirma Tencent hatte seine Social-Media-Branche mit einer Kopie von ICQ (I seek you) gestartet, das Yossi Vardi, Yair Goldfinger und andere 1996 auf den Markt brachten. Von Israels Hightech-Firmen wie Playtika oder Toga Networks holen sich chinesische Unternehmen auch heute, was ihnen – noch – als überlegen erscheint. 

In Deutschland berichten nur wenige Zeitungen über Genies wie WeChat-Entwickler Zhang Xiaolong. Auch seine 20-Millionen-Stadt Guangzhou schafft es nur selten in die Nachrichten. Und wer kennt schon die Namen von Xialolongs einheimischen Wettbewerbern? Die sind dem erst 2011 gestarteten Marktführer ständig auf den Fersen.

Im August spottete der Economist darüber, wie „westliche Apps für chinesische Nutzer nur noch hoffnungslos veraltet wirken. Wenn man ohne WeChat unterwegs sein muss, gleicht das einem Schritt zurück in die Vorzeit.“

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