Berliner Wohnungsmarkt - Droht die Wiedereinführung des Sozialismus?

Der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD), möchte über 50.000 ehemals kommunale Wohnungen zurückkaufen. In Wirtschaftskreisen fürchtet man die Wiedereinführung des Sozialismus. Das eigentliche Problem wird von dieser Diskussion jedoch überschattet

Eine Mehrheit der Berliner unterstützt Michael Müllers Pläne / picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Erstaunliche Dinge sind derzeit in der deutschen Hauptstadt zu beobachten. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) möchte über 50.000 ehemals kommunale Wohnungen, die 2004 an Finanzinvestoren veräußert wurden, zurückkaufen. Seine Koalitionspartner Linke und Grüne unterstützen gar ein Volksbegehren mit dem Ziel, alle börsennotierten Immobilienunternehmen, die in Berlin über mehr als 3.000 Wohnungen verfügen, zu enteignen. Und alle bisherigen Umfragen legen den Schluss nahe, dass eine Mehrheit der Berliner diese Pläne unterstützt. Am Wochenende legten einige Sozialdemokraten, darunter die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Eva Högl, im Berliner Tagesspiegel nach und forderten unter Verweis auf die Gesetzgebungskompetenz der Länder in Fragen der Wohnraumversorgung die Einführung eines „Mietendeckels“ in der gesamten Berliner Innenstadt noch in dieser Legislaturperiode.

Droht in Berlin rund 30 Jahre nach dem Fall der Mauer die Wiedereinführung des Sozialismus? In Wirtschaftskreisen hegt man jedenfalls dahingehende Befürchtungen. „Wenn jedes Unternehmen, dessen Gebaren der Politik missfällt, künftig eine Enteignung fürchten muss, gefährden wir den Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg unserer Republik“, sagt Dirk Enzesberger, Vorstand einer Charlottenburger Baugenossenschaft. Und Beatrice Kramm, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer, sprach von einer ernsthaften Gefahr für die weitere Entwicklung der Stadt“, Christian Gräff, wirtschaftspolitischer Sprecher der Berliner CDU, sieht eine „rote Linie für Demokraten.“

Recht auf angemessenen Wohnraum

Etwas weniger Aufgeregtheit wäre in dieser recht aufgeheizten Debatte dringend anzuraten. Bei allen drei Vorstößen geht es eben nicht um die „Systemfrage“ Sozialismus oder Marktwirtschaft, sondern um begrenzte staatliche Eingriffe in einen entfesselten und teilweise hochspekulativen Wohnungsmarkt, der dem gesamtgesellschaftlichen Auftrag, angemessenen bezahlbaren Wohnraum für alle Schichten der Bevölkerung zu schaffen, vor allem in vielen Großstädten und Ballungsräumen nicht mehr gerecht wird.

Bei Müllers Vorschlag handelt es sich schlicht um ein noch nicht näher beziffertes Kaufangebot an einen privaten Immobilienbesitzer, das börsennotierte Unternehmen „Deutsche Wohnen“ (DW), das sich in Berlin wegen aggressiver Mieterhöhungen und systematischer Vernachlässigung der Instandhaltung einen extrem schlechten Ruf erworben hat. Im Visier sind dabei die Bestände der ehemals kommunalen und 2004 – ausgerechnet von einem „rot-roten“ Senat – an Finanzinvestoren verkauften Bestände der Wohnungsbaugesellschaft GSW, die sich jetzt im Besitz der DW befinden.

Das Volksbegehren zur Enteignung der DW und anderer Immobilienkonzerne geht da wesentlich weiter, sprengt aber keineswegs den Rahmen der Rechtsordnung. Im Gegenteil: Die Initiatoren berufen sich ausdrücklich auf den Artikel 15 des Grundgesetzes. Dort heißt es, dass Grund und Boden „zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“. Verwiesen wird ferner auf Artikel 14, der Enteignungen „zum Wohle der Allgemeinheit“ ausdrücklich vorsieht. Und auch der Artikel 28 der Berliner Landesverfassung erwähnt: „Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen“.

Kein neuer Wohnraum

Auch der von Högl und anderen ins Spiel gebrachte massive Eingriff in die Mietpreise beruft sich streng auf geltendes Recht. Peter Weber, Fachanwalt für Miet- und Wohnungsrecht, kam Ende 2018 in einem Aufsatz für die JuristenZeitung zu dem Schluss, dass die Länder seit der Föderalismusreform 2006 über umfassende gesetzgeberische Kompetenzen für die Regulierung von Mieten verfügen. Weber sieht auch keinerlei Konflikte mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, da sich laut Bundesverfassungsgericht „die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums auf die Substanz, das Erworbene beschränkt“. Dieser Schutz umfasse aber keine Renditegarantie. Für entsprechende Ländergesetze genüge – so die von Weber wiedergegebene Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichtes – „die Befürchtung, dass bei fortwährender Freigabe der Mieten diese derart steigen, dass wirtschaftlich schwächere Teile der Bevölkerung nicht mehr in der Lage sind, angemessenen Wohnraum zu tragbaren Bedingungen zu behalten oder zu erlangen.“

Für die betroffenen Mieter hätten all diese Maßnahmen sicherlich Vorteile. In kommunalen und dauerhaft mietpreisregulierten Beständen braucht man kaum noch Angst vor dem Verlust seiner Wohnung durch explodierende Preise haben. Allerdings haben die jetzt diskutierten Vorstöße einige gravierende Mängel in Bezug auf die Lösung der Wohnungskrise: Durch Eingriffe in den Bestand entsteht kein neuer Wohnraum. Sowohl der Ankauf der alten GSW-Bestände als auch eine möglicherweise zum Marktwert zu entschädigende Enteignung würden mit zweistelligen Milliardensummen zu Buche schlagen. Abgesehen davon, dass eine mögliche Finanzierung dieser Operationen nur schwer vorstellbar ist, wäre dieses Geld in einem forcierten Neubauprogramm wesentlich zielführender und nachhaltiger im Sinne einer sozialen Wohnraumversorgung eingesetzt.

Doch genau daran hapert es in Berlin. Ausgerechnet jene Parteien und Initiativen, die sich jetzt für eine Enteignung der Immobilienkonzerne einsetzen, stehen auch stets in vorderster Front, wenn es gilt, innerstädtische Verdichtungen und große Neubauprojekte zu verzögern oder gar zu verhindern. Zudem erweist sich die Verwaltung bis zum heutigen Tag als weitgehend unfähig, vorhandene Baulandreserven auszuweisen, zu erschließen und durch zügige Planungsverfahren bebauungsreif zu machen. Ein Versagen, das von privaten Investoren, Genossenschaften und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in seltener Einmütigkeit beklagt wird.

Senat lenkt von eigenem Versagen ab

Und so sieht der Potsdamer Staatsrechtler und Kommunalwissenschaftler Thorsten Ingo Schmidt auch wenig Chancen für das Volksbegehren. Zwar seien Enteignungen im Gemeinwohlinteresse zulässig, aber „das geht nur, wenn es kein milderes Mittel gibt und wenn der Senat zuvor alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um seine Ziele zu erreichen“, so Schmidt im Berliner Tagesspiegel. Das sei zu zu bezweifeln, denn „hat Berlin wirklich genug eigene Wohnungen gebaut, bevor es nun überlegt, zu solch drastischen Mitteln zu greifen? Hat der Senat außerdem genug landeseigene Grundstücke zur Bebauung freigegeben?“

Eine Frage, die man wohl getrost mit Nein beantworten kann. Denn dieser Senat leistet sich auf Betreiben der Linken und der Grünen unter anderem den Luxus, sowohl die Randbebauung des Tempelhofer Feldes als auch das bereits projektierte Stadtentwicklungsgebiet Elisabethaue in Pankow mit jeweils rund 5.000 Wohnungen zu den Akten legen. So gesehen wirkt die Initiative für die Enteignung der Immobilienkonzerne auch wie eine linke Nebelkerze, um vom eigenen Versagen abzulenken.

Bei der ganzen Debatte sollte es jedenfalls nicht in erster Linie um ideologische Grundüberzeugungen gehen. Weder das wirtschaftsliberale Dogma vom freien Markt, der alles richten wird, noch der Glaube an die Segnungen einer allumfassenden Staatsbewirtschaftung bieten Ansätze zur Überwindung der in Teilen des Landes dramatischen Wohnungskrise. Gesellschaft und Politik müssen sich allerdings schleunigst grundlegend darüber verständigen, ob die Bereitstellung und Sicherung von angemessenem, bezahlbaren Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge ist, wie etwa der Zugang zu Trinkwasser, Energie, Bildung und Gesundheitsversorgung. Auf dieser Grundlage hieße es dann anzupacken, um den sozialen Sprengstoff, den die Wohnungsfrage in sich trägt, nachhaltig zu entschärfen.

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