Rentenexperte Axel Börsch-Supan - „Es besteht absolut kein Grund zur Panik“

Der führende deutsche Rentenexperte Axel Börsch-Supan stellt beim Thema Altersarmut einige Gewissheiten infrage – und sagt: Wer länger lebt, der sollte auch länger arbeiten

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Axel Börsch-Supan: „Wenn es weniger junge Leute gibt, müssen diese wenigstens hervorragend ausgebildet sein“ / Jan Roeder
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Eine der wohl am meisten verbreiteten Befürchtungen bei den Deutschen betrifft das Thema Alter und die Frage, was man sich nach seinem Arbeitsleben überhaupt noch wird leisten können. Immer wieder ist zu lesen, dass fast die Hälfte der Bevölkerung mit Altersarmut zu rechnen hätte; die damalige Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles sprach vor knapp zwei Jahren von einer „Rutschbahn“, auf der das Rentenniveau immer weiter abwärtszugleiten drohe. Kein Wunder also, dass viele Menschen sich Sorgen machen.

Tatsächlich ist unser auf dem Umlageverfahren basierendes Rentensystem vor allem aus einem Grund heikel: Wegen des demografischen Wandels und der gestiegenen Lebenserwartung müssen immer weniger junge Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen eine wachsende Zahl von Rentnern finanzieren. Und wenn die Generation der Babyboomer – also die geburtenstarken Jahrgänge, die zwischen 1950 und 1965 zur Welt kamen – demnächst in den Ruhestand geht, droht eine weitere Unwucht. Dennoch behauptet einer der führenden deutschen Rentenexperten: „Das deutsche Rentensystem ist eines der stabilsten in ganz Europa, es besteht absolut kein Grund zur Panik.“ Das klingt schon beinahe zynisch. Wie kommt man zu einer derartigen Behauptung?

Armut sei im Alter am niedrigsten

Der Satz stammt nicht von Norbert Blüm, sondern von Axel Börsch-Supan. Mit seinen 64 Jahren ist der Ökonom und Professor am Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik fast selbst schon im Rentenalter. An Ruhestand ist bei ihm allerdings nicht zu denken, neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit ist der gebürtige Darmstädter ein viel gefragter Politikberater: Mitglied in der neuen Rentenkommission der Bundesregierung sowie im wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums und bis vor kurzem noch aktiv im Expertenrat Demografie des Bundesinnenministeriums. Ein Mahner durchaus, aber nicht fatalistisch, sondern konstruktiv. Viele hören auf ihn.

Das ständige Gerede von der Altersarmut hat Börsch-Supan zufolge mit den Fakten jedenfalls nichts zu tun: Im Alter sei die Armut sogar am niedrigsten. „Nach der Armutsdefinition der Bundesregierung sind 3 Prozent der alten Menschen von Armut betroffen in dem Sinne, dass sie höchstens die Grundsicherung zur Verfügung haben. Im Bevölkerungsdurchschnitt sind es 9 Prozent, bei Kindern mit Migrationshintergrund 25 Prozent.“ Wir haben in Deutschland also eher ein Kinderarmuts- als ein Altersarmutsproblem. Was natürlich kein Grund zum Feiern ist, die Dinge jedoch einigermaßen geraderückt.

Widerstand von Gewerkschaften

Vor allem sollte man aber nicht glauben, dass unser Rentensystem keiner Korrekturen bedarf. „In jedem Fall wird eine Belastung auf uns alle zukommen“, sagt Börsch-Supan. Es sei deshalb wichtig, diese Belastung auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Mit anderen Worten: Die Jüngeren sollten als Einzahler ins Rentensystem nicht über Gebühr belastet werden, und „natürlich wird man wegen der höheren Lebenserwartung auch das Renteneintrittsalter nach oben anpassen müssen“.

Letzteres dürfte insbesondere bei Gewerkschaften und linken Parteien auf heftigen Widerstand stoßen. Denn für sie käme eine Erhöhung des Renteneintrittsalters einem Sakrileg gleich; erinnert sei nur an den vom ehemaligen SPD-Chef Kurt Beck viel zitierten „Dachdecker“, der mit 67 körperlich nicht mehr arbeiten könne. Börsch-Supan kontert mit nackten Zahlen: Im Alter von 60 Jahren seien ungefähr 78 Prozent der Menschen bei sehr guter oder guter Gesundheit; zehn Jahre später immer noch 73 Prozent. Und um auf den älteren Dachdecker zurückzukommen, so könnte dieser „zum Beispiel mehr in der Kundenbetreuung eingesetzt werden anstatt selbst auf Dächern zu arbeiten“. Es sei vor allem eine Aufgabe der Unternehmen, ihren Arbeitnehmern altersgemäße Tätigkeiten anzuvertrauen.

Mehr Bildung, damit die Rente sicher ist

Um das deutsche Rentensystem zukunftssicher zu machen, sind für Börsch-Supan vor allem zwei Faktoren essenziell. Zum einen muss die steigende Lebenserwartung mit der Lebensarbeitszeit in Übereinstimmung gebracht werden. „Wenn wir im Schnitt drei Jahre länger leben, sollten wir auch ein Jahr länger die Rente genießen können. Aber um dieses eine Jahr zu finanzieren, braucht es dann eben auch zwei Jahre mehr Arbeit.“ Die Sinnhaftigkeit einer solchen Zwei-zu-eins-Regel sei derart offensichtlich, dass sie auch politisch vermittelt werden könne.

Der zweite Punkt ist nicht minder plausibel: „Wenn es wegen des demografischen Wandels weniger junge Leute gibt, dann müssen diese wenigstens hervorragend ausgebildet sein.“ Denn nur so könnten später hochproduktive Arbeitnehmer aus ihnen werden, die in der Lage seien, die Renten der vielen Alten zu finanzieren. Das heißt nichts anderes als: Soll die Rente sicher sein, muss Deutschland mehr für Bildung tun.

Dies ist ein Artikel aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.















 

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