Ausstieg vom Atomausstieg - „Ab 2022 werden wir teuren Strom aus dem Ausland importieren müssen“

Volkswagen-Chef Herbert Diess hält den bis 2022 geplanten Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie für verfrüht. Einer, der davor schon lange warnt, ist der CDU-Politiker Michael Fuchs („Atom-Fuchs“). Im Interview erklärt er, warum wir den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg brauchen

Der Countdown läuft: Bis 2022 wird das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet / picture alliance
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Michael Fuchs (CDU) ist ein deutscher Politiker. Von 2002 bis 2017 war er Mitglied des Bundestages.

Herr Fuchs, VW-Chef Herbert Diess hat Zweifel an der Sinnhaftigkeit unseres mehrfach beschlossenen Atomausstiegs geäußert. So irre das klingt, aber brauchen wir jetzt wirklich den Ausstieg vom Ausstieg des Ausstiegs vom Ausstieg?
Weil wir vollkommen überstürzt nach der Fukushima-Katastrophe ausgestiegen sind, machen wir uns jetzt das Erreichen der Klimaziele deutlich schwerer. Die Kernkraft ist nunmal die Energieform, die bei Dunkelflaute permanent zur Verfügung steht. Egal wie viel Wind die Grünen machen, der Wind weht einfach nicht immer. Mit Kernkraft produzieren wir CO2-freien Strom.

Aber längst produzieren die Erneuerbaren auch Überkapazitäten, die quasi ungenutzt verpuffen. 
Ja, weil wir de facto keine wirklich sinnvollen Speichermöglichkeiten haben. Alles, was da versucht wird, wie zum Beispiel über das Speichern in Wasserstoff, erreicht nur einen Wirkungsgrad von ca. 25 Prozent. Das heißt aber auch, der Strom wird damit viermal so teuer. Besonders ärgerlich finde ich: Wenn wir bei Dunkelflaute keinen Strom aus erneuerbaren Energien (EEG) im Netz haben, dann müssen wir Kernkraftstrom aus Frankreich und der Schweiz oder Kohlestrom aus Polen importieren. Das ist doch ein Witz.

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck sagt, man sei sich dieser Problematik bewusst, müsse sie aber in Kauf nehmen, um als Vorbild voranzugehen, um dann langfristig eine gesamteuropäische, erneuerbare Energieunion zu realisieren. Solarstrom könnte aus der Sahara zu uns fließen.
Das bekannte Desertec-Projekt von RWE in der Sahara ist ja seinerzeit gescheitert. Weil Sandstürme die Solarpanele schnell blind gemacht haben und damit der Wirkungsgrad immer weiter nachließ, musste man einen Rückzieher machen. Sie werden Sandstürme auch künftig nicht aufhalten können. Was wir also brauchen, sind Speichermöglichkeiten für unseren EEG-Strom.

Und die sind nach wie vor nicht ausreichend vorhanden?
Also wenn zum Beispiel der Energieexperte der Grünen-Fraktion im Bundestag, Oliver Krischer, vorschlägt, man könne doch die künftig vermehrt fahrenden Elektroautos als mobile Stromspeicher nutzen, dann ist das kompletter Unfug. Erstens bräuchten Sie dafür eine riesige Lade- und Entladeinfrastruktur und zweitens: Wer würde denn freiwillig sein E-Auto mittags entladen, wenn er es dann vielleicht spontan doch schnell braucht? Von solchen hirnrissigen Ideen halte ich nichts. 

Warum glauben Sie, kommt Herr Diess von VW plötzlich mit diesen Zweifeln am Atomausstieg um die Ecke?
Na, weil er es genauso sieht wie ich. Wir schaffen es nicht. In den nächsten 20 Jahren sollen alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden und schon 2022 alle Atomkraftwerke. Ich sage Ihnen voraus, ab 2022 werden wir massiv Strom aus dem Ausland importieren müssen.

Dann würde sich die Kostenfrage noch massiver als jetzt stellen?
Ja natürlich! Die werden uns ja nicht mit den Preisen entgegenkommen. Darum sagt Herbert Diess völlig zurecht, dass wir überlegen müssen, die verbliebenen sieben Atomkraftwerke doch länger laufen zu lassen. Bis wir eben eine echte Alternative haben. Ich bin ja gar nicht der größte Fan von Atomkraftwerken.

Michael Fuchs / picture alliance

Sie werden bis heute „Atom-Fuchs“ genannt.
Ja, weil ich mich immer dafür stark gemacht habe, dass wir nicht überstürzt aussteigen dürfen. Das ist doch eine verlogene Geschichte, erst selber aussteigen, aber dann Kernkraft importieren. Das habe ich so damals als Parlamentarier vertreten, und das mache ich auch heute noch.

Dennoch hat Ihre Partei den für uns Steuerzahler extrem teuren Wiederausstieg zu verantworten. Milliarden-Entschädigungen fließen nun an die Atomstrom-Unternehmen.
Ich war an diesem Wochenende im März zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit der Bundeskanzlerin und allen Beteiligten zusammen. Ich habe damals schon gesagt: Das ist falsch, was wir hier machen. Erstens ist Fukushima 9.000 Kilometer weg. Zweitens ist das Kernkraftwerk durch einen Tsunami kaputt gegangen. Drittens gab es keinen einzigen Toten. Die sind traurigerweise von einer Flutwelle getötet worden. Und viertens ist das Gelände inzwischen wieder freigegeben, und die Leute schwimmen wenige Kilometer entfernt wieder im Meer.

Ein politisches Manöver, das die historische Abwahl der CDU in Baden-Württemberg trotzdem nicht mehr verhindern konnte.
Ja klar, weil der Bürger gemerkt hat, wie unglaubwürdig das war. Wir haben damals nur Fehler gemacht. Ich konnte mich damals leider nicht durchsetzen.

Haben Sie den Eindruck, dass jetzt politisch wieder Bewegung in die Sache kommen könnte?
Es gibt mittlerweile eine Reihe Leute, die sich fragen, wo wir den CO2-freien Strom herbekommen und die sich fragen, was macht denn die übrige Welt. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Das hatten wir schon mal. Das hätte ich nicht so gerne wieder. 56 Kernkraftwerke sind weltweit im Bau. Es gibt inzwischen sogar solche, die abgebrannte Brennstäbe wieder benutzen können. Da hat sich technisch viel getan. Wenn wir wirklich ehrlich sind, ist das der einzige Weg, den wir zur Zeit haben, um CO2-Neutralität zu erreichen.

Sieht Frau Merkel das auch so?
Es wäre vermessen von mir, zu sagen, dass sie das auch so sieht. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch sie darüber nachdenkt. Das ist ja eine physikalische Problematik, die es zu lösen gilt. Bis jetzt gibt es keine Alternativen. Batterien sind sicher keine Option. Das sieht man ja am Auto. Je größer das Auto und je größer die Entfernung, desto schwerer wird die Batterie, desto mehr Energie muss sie wiederum liefern. Ein Teufelskreis, der derzeit nicht durchbrochen werden kann.

Aber das Thema der Endlagerung bleibt doch bestehen.
Ja, und das muss gelöst werden. Ich habe mit Jürgen Trittin in der Endlagerkommission damals verhandelt. Da kamen ja durchaus brauchbare Ergebnisse raus. Wir haben in Deutschland Möglichkeiten, entweder in Ton, Salz oder Granit zu lagern.

Aber keiner will dieses Endlager haben.
Ja, das ist hierzulande so: Heiliger Sankt Florian, verschon' mein Haus, zünd’ andere an. Sie werden kein Bundesland finden, das Hurra schreien wird. Aber das wird eines Tages ohnehin politisch entschieden werden müssen, ob die AKWs nun weiterlaufen oder nicht. Und das ist unsere Aufgabe als Politiker. Und auch mit Leuten wie Jürgen Trittin kann man hierbei vernünftige Lösungen erzielen.

Ist Atomstrom für Sie eine Brückentechnologie oder eine für die Ewigkeit?
Irgendwann wird ein schlauer Mensch auf dieser Welt eine Idee haben, wie man Strom ohne große Wirkungsgrad-Einbußen speichern kann. Ich bin überzeugt, dass erst dann der Durchbruch der erneuerbaren Energien kommen wird. Es kann aber keine Lösung sein, dass wir eine riesige Leitung durchs Meer nach Norwegen legen, dort das Wasser den Berg raufpumpen und das als unseren Stromspeicher zu bezeichnen.

Die Ideen vom massiven Leitungsausbau klingen vielleicht sinnvoll, aber sie kommen eben nicht voran.
Es gibt in der Nähe von Borkum den riesigen Windpark BorWin3 mit ungefähr 700 Megawatt. Das entspricht schon einem kleinen Atomkraftwerk. Der wird jetzt fertiggestellt, endet aber im Sand. Es gibt keine Anschlussleitung an Land. Weil wir keine Leitungen haben, weil es überall Demonstrationen dagegen gibt. Darum werden wir nächstes Jahr 700 Millionen Euro für Strom bezahlen, der nicht verwendet werden kann. Und das wird über die Netze abgerechnet. Was für ein Irrsinn. Ich hatte damals vorgeschlagen, dass wir eine einzügige Gerichtsbarkeit für den Netzausbau einführen müssen, wie es in den Neunzigern beim Ausbau der Straßen in den neuen Bundesländern gemacht wurde. Mit den dreizügigen Gerichtsverfahren aber dauert jeden Genehmigung mindestens drei Jahre – wenn nicht fünf Jahre. 

Wird der pure Druck, die Klimaziele erreichen zu müssen, am Ende zu einem Umdenken führen?
Ich habe das Gefühl, dass wir als Deutsche derart vernarrt sind in die Erneuerbaren, dass sich da nichts ändern wird. Aber mit jedem Abschaltvorgang werden wir unsere Abhängigkeit von anderen vergrößern. Das wird den Strom noch teurer machen. Dabei könnte man die Milliarden-Entschädigungen für die Atomunternehmen sparen, wenn man die Laufzeiten nun doch wieder verlängern würde.

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