Anonymes Meldeportal der Steuerverwaltung - Denunzieren leicht gemacht

In Baden-Württemberg können die Bürger einander künftig wegen vermeintlicher Steuerdelikte mithilfe eines anonymen Meldesystems verpfeifen. Es reicht dafür auch nur der leiseste Verdacht, und der Staat selbst stellt die Anschwärz-Plattform zur Verfügung. Ein neuer Tiefpunkt der politischen Kultur.

Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (B90/Die Grünen) / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant“: Dieser Satz stammt von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, niedergeschrieben in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Fallersleben, die Älteren unter uns werden es vielleicht wissen, ist auch der Autor des „Lieds der Deutschen“, dessen dritte Strophe gelegentlich noch als sogenannte Nationalhymne gesungen wird. Schwere Kost auch dies. Jedenfalls war der Dichter ein guter Kenner hiesiger Eigentüm- und Befindlichkeiten; in den Resonanzräumen einer digital beschleunigten Denunzianten-Republik hätte er gewiss Stoff für das eine oder andere weitere Bonmot gefunden. Vielleicht wäre das Ergebnis nur etwas weniger poetisch ausgefallen.

Sehr prosaisch klingt denn auch die Mitteilung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe betreffs ihres neuen „anonymen Hinweisgebersystems der Steuerverwaltung Baden-Württemberg“: Mit diesem digitalen Tool könne der rechtschaffene Bürger „den baden-württembergischen Finanzämtern diskret, sicher und anonym Anzeigen von Steuerstraftaten oder sonstigen Verfehlungen gegen Steuergesetze melden“. Zudem bestehe „die Möglichkeit, über ein Postfach auch nach der Abgabe der Anzeige mit der zuständigen Steuerfahndungsstelle anonym zu kommunizieren“. Denunziantentum leicht gemacht, mit freundlicher Handreichung durch den Staat.

Die schwäbische Hausfrau

Da sage noch einer, wir würden bei der Digitalisierung hinterherhinken. Wenn es darum geht, kleinen oder auch größeren Steuersünderlein auf die Schliche zu kommen, zeigt sich die Obrigkeit bisweilen dann doch sehr einfallsreich und technisch versiert. Zumindest im Ländle der Tüftler und einer pietistischen Fiskalpolitik nach Art der berühmten schwäbischen Hausfrau. Diese sparsame Dame muss sich ja nicht nur um die Ausgaben-, sondern auch um die Einnahmenseite kümmern. Mit anderen Worten: Wer es als Bürger mit der Zahlungsmoral gegenüber Vater Staat aus Versehen oder mit Absicht nicht so genau nimmt, der hat seine Rechnung neuerdings ohne Mutter Staat gemacht. Denn die hat als Steuereintreiberin vom Dienst ihre Augen und Ohren künftig überall: in der Nachbarschaft, im Kollegenkreis und wo auch immer sonst noch Neid und Missgunst dergestalt gedeihen, dass der eine oder andere sachdienliche Hinweis wie reife Äpfel vom Baum fallen. Anonym natürlich, sonst macht es ja keinen Spaß.

Danyal Bayaz, seit wenigen Wochen baden-württembergischer Finanzminister von Bündnis90/Die Grünen, hat das Anschwärz-Portal soeben freigeschaltet und freut sich darüber, dass man nicht nur Steuerbetrug endlich „besser verfolgen und für mehr Steuergerechtigkeit sorgen“ könne, sondern außerdem die Digitalisierung vorantreibe und „eine einfache Kommunikation zwischen Steuerverwaltung und Bürgerinnen und Bürgern“ möglich mache. Da fügt sich doch das eine zum anderen. Und wenn Herr Müller vom ersten Stock auch noch ohne jedes Risiko sein Mütchen an Herrn Häberle aus dem Erdgeschoss kühlen kann, weil dieser jeden Freitag Besuch von einer (mutmaßlich) ukrainischen Putzfrau bekommt: umso besser! Suspekt war der Häberle sowieso schon immer…

Die wichtigsten Fragen zur Meldeplattform beantwortet das „anonyme Hinweisgebersystem“ praktischerweise gleich selbst. „Steuerverfehlungen“, heißt es da, „führen für den deutschen Staat zu großen wirtschaftlichen Schäden. Durch Ihren Hinweis auf der Meldeplattform helfen Sie der Steuerverwaltung Steuerverfehlungen aufzudecken.“ Wer hobbymäßig gern Falschparker verpfeift, für den tun sich da ganz neue Jagdgründe auf, zumal das System „höchste Sicherheitsstandards“ in Sachen Anonymität verspricht. Petzen für Fortgeschrittene, sozusagen.

Verführerischer Ton

Nicht zu vergessen: „Aufgrund der Meldungsabgabe drohen Ihnen grundsätzlich keine negativen Konsequenzen“, so die Oberfinanzdirektion Karlsruhe in verführerischem Ton. Ausgenommen davon sei lediglich „der nachweislich vorsätzliche Missbrauch der Meldeplattform, z.B. wenn Sie bewusst eine andere Person falsch beschuldigen“. Einen solchen Nachweis zu führen, das dürfte freilich nicht ganz einfach sein, immerhin bietet ja sogar der gewöhnlichste Alltag Verdachtsmomente in Hülle und Fülle: Das nervige Klopfen in der Wohnung nebenan stammt doch bestimmt vom schwarzarbeitenden Fliesenleger! Und überhaupt: Der türkische Obsthändler von um die Ecke, hat der mir letzte Woche nicht die zwei Äpfel ohne Beleg verkauft?

Es ist wahrlich beruhigend zu wissen, dass unser Staat in Zeiten der Verschwendung von Milliarden und Abermilliarden an Steuergeldern wenigstens darauf achtet, dass beim Kleingeld alles mit rechten Dingen zugeht. Eine Regierung aber, die auf die niedrigsten Instinkte der Bürger setzt, damit ihr auch ja kein Steuer-Cent an Einnahmen verlorengeht, hat ihren eigenen moralischen Bankrott erklärt.

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