Killerspiele - Die Doppelmoral der Bundesregierung

Nach dem Amoklauf von München hat Innenminister de Maizière gewaltverherrlichende Spiele kritisiert. Recht hat er. Bloß sollte er seine Bedenken lieber am Kabinettstisch äußern: Die Bundesregierung fördert die Computerspielindustrie mit viel Geld

Szene aus dem sogenannten „Ego-Shooter“-Computerspiel „Battlefield 3“ / Electronic Arts / dpa
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Christian Füller arbeitet als Fachjournalist für Bildung und Lernen im digitalen Zeitalter. Zuletzt erschien sein Buch "Die Revolution missbraucht ihre Kinder: Sexuelle Gewalt in deutschen Protestbewegungen". Er bloggt unter pisa-versteher.com. Foto: Michael Gabel

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Die Berliner ARD-Korrespondentin Marion van Haaren fragte nach dem Amoklauf von München in der Tagesschau: „Sollte man gewaltverherrlichende Videos und Computerspiele verbieten?“ Das war forsch. Denn niemand kann diese Spiele verbieten. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nicht, die Kanzlerin nicht, und selbst der Kaiser von China dürfte seine Mühe damit haben. Das liegt in der Natur einer Sache, die im Internet verfügbar ist.

Der Innenminister hatte die Debatte mit einem Satz über den Amokläufer und exzessiven Counter-Strike-Spieler angestoßen: „Es ist nicht zu bezweifeln – und so war es auch in diesem Fall –, dass das unerträgliche Ausmaß von gewaltverherrlichenden Spielen im Internet auch eine schädliche Wirkung gerade auf junge Menschen hat. Das kann kein vernünftiger Mensch bestreiten.“

Der Hashtag #Killerspiele trendet

Das kann vielleicht kein vernünftiger Mensch bestreiten. Das halbe Netz aber kann das. Sofort schnellte der Hashtag #Killerspiele in den Twitter-Ranglisten auf Platz eins. Digitalchefs der Zeitungen hauten in die Tasten oder beauftragten ihre Kollegen, de Maizière zu kritisieren. Er sei wohl ein Experte für Zeitreisen, mokierte sich die Süddeutsche über den Innenminister, weil er eine Debatte aufrufe, „die seit langem als beendet galt“.

So verliefen Killerspiel-Debatten noch immer. Sobald jemand etwas gegen digitale Spiele einwandte, wurde er in den sozialen Medien sofort attackiert. Daran beteiligen sich oft auch Journalisten – auf Netzniveau: Sie machen sich lustig, sie sind zynisch, sie verhöhnen Kritiker von Ballerspielen. „Wo jetzt wieder alle drüber reden, krieg ich total Bock auf ne Runde CounterStrike/Quake III“, twitterte etwa Hannes Leitlein, ein Kollege von Christ & Welt und Zeit Online.

Erster Verbotsversuch nach Erfurt und Winnenden

Nach den Schulmassakern in Erfurt und Winnenden hatte die Bundesregierung so genannte Killerspiele verbieten wollen. 2005 stand das sogar im Koalitionsvertrag von CDU und FDP. Das Netz veräppelte die Politik regelrecht dafür. Im Bundestag trat daraufhin eine Lobby von netzaffinen Abgeordneten auf den Plan. Sie gewannen die Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und Birgit Homburger (FDP) für ihre Sache. Eine Vorreiterin war die Abgeordnete Dorothee Bär (CSU), selbst begeisterte Gamerin und heute Staatssekretärin im Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Computerspiele seien ein Kulturgut, behauptete sie, veranstaltete eine Lan-Party mit Ballerspielen im Bundestag und half, den Deutschen Computerspielpreis aus der Taufe zu heben. Bedingung damals: Es dürfe keinen Games-Oscar für Gewaltspiele geben, sondern nur für pädagogisch und kulturell hochwertige Computerspiele.

Seitdem hat sich der Diskurs über so genannte Ballerspiele vollkommen verändert. Er ist so etwas wie ein Testfeld für die Digitalisierung der Gesellschaft geworden. Wo früher viel Ablehnung war, darf heute praktisch keine Kritik mehr geübt werden. Im Netz gibt’s für Games-Kritiker sowieso Prügel. Aber auch im Bundestag ist die Pro-Netz und Pro-Games-Lobby inzwischen extrem stark. Manche Abgeordnete geben – vertraulich – zu, dass sie es kaum wagen, Kritisches über Probleme im Netz oder etwa über Killerspiele zu sagen. Als im Bundestag jüngst ein Bericht des Technikfolgenausschusses über „digitale Medien in der Bildung“ diskutiert wurde, klammerten die Berichterstatter die Risiken kurzerhand aus. Stattdessen schlugen sie vor, Computerspiele vermehrt in Schulen einzusetzen.

Es geht um Suchtgefahr

Der Amoklauf in München hat die Killerspiel-Frage nun unversehens wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Selbst Volker Kauder (CDU), den die Gamer und Digitalisten im Bundestag schon fest auf ihrer Seite wähnten, gab wieder ganz alte Töne ab. „Auch diese Ego-Shooter-Spiele müssen einmal hinterfragt werden“, sagte Kauder der Welt, „es gibt für alles Grenzen“.

Über ein echtes Verbot von Killerspielen wird aber wohl nicht mehr gesprochen werden. Niemand will das heute noch. Wie sollte das auch gehen? Das Verbot ist nur ein von Games-Community und -Industrie aufgebauter Scheingegner, um die Debatte leichter steuern zu können.

In Wahrheit muss man natürlich über digitale Spiele und ihre Effekte sprechen – gerade in Zeiten von Pokémon Go und intelligenten Puppen, die via künstlicher Intelligenz kommunizieren und ihre Umgebung komplett aufzeichnen. Es geht aber auch um Suchtgefahr. Erst jüngst haben die führenden Uni-Kliniken mit Sucht-Ambulanzen im Bundestag berichtet, dass die Abhängigkeit von Online-Computerspielen die am meisten verbreitete unter den Internet-Süchten ist. Rund 40 Prozent der Online-Sucht-Patienten kommen aus diesem Bereich.

Bundesministerium fördert Ballerspiele

Interessant könnte es werden, wenn Thomas de Maizière einmal nicht in der Öffentlichkeit laut spräche, sondern am Kabinettstisch besser zuhörte. Dort sitzt mit Alexander Dobrindt ein Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur, der jedes Jahr Hunderttausende Euro ausgibt – um den Markt für die Computerspielindustrie auszuweiten. Eine Schlüsselrolle spielt dabei wieder Dorothee Bär, seine Staatssekretärin. In ihrer Amtszeit wurden die Kriterien für den Deutschen Computerspielpreis so definiert, wie Bär es ausdrückte, „dass man auch mal ein 18er-Spiel auszeichnen kann“. Will sagen: ein Computerspiel, das Gewaltdarstellungen beinhaltet.

Genau besehen vollführte die Staatssekretärin ein ziemlich cleveres politisches Manöver. Forderungen nach einem Verbot von Killerspielen kamen früher stets von der CSU. Ausgerechnet der CSU-Frau Bär gelang es nun, das Blut von den Brutalo-Games abzuwischen, indem sie ihnen das Label „kulturell wertvoll“ verpasste. Kaum gab es den Games-Oscar, legte Bär noch eins drauf: Plötzlich sollten auch „richtige Computerspiele“ ausgezeichnet werden – so genannte Killerspiele. Bär hat Nägel mit Köpfen gemacht. Sie schloss Verträge mit der Industrie, in denen langfristig fixiert wurde, dass die Regierung den Computerspielpreis fördert. Der Betrag steigt von Jahr zu Jahr: Waren es 2015 noch 280.000 Euro und 2016 350.000 Euro, sollen die Mittel allein im Jahr 2017 auf 450.000 Euro steigen.

Münchner Amoklauf sollte eine Debatte anregen

Dass man Ballerspiele nicht verbieten kann, ist das eine. Aber muss die Bundesregierung für das Image der boomenden deutschen Games-Industrie über die Jahre eine Million Euro ausgeben? Muss sie Ballerspiele mit Preisen belohnen? Und warum sagt de Maizière nichts dazu, dass der Bund jene Spiele fördert, die er so grässlich findet? Oder weiß der Innenminister das etwa nicht?

Staatssekretärin Bär ist längst in einem neuen Level. In ihrem jüngsten Projekt unterstützt sie die „Stiftung Digitale Spielkultur“ dabei, Computerspiele „zu entdämonisieren“ – diesmal Spiele für Drei- bis Siebenjährige. Digitale Spiele für Kinder in diesem Alter sind selbstverständlich keine Killerspiele, sondern meistens Apps, die auf dem Smartphone laufen. Experten warnen dennoch davor, Kinder bereits in diesem Alter auf die Reizschemata von Games zu konditionieren.

Es ist Zeit, über digitale Spiele einen Diskurs zu führen. Vielleicht ist also das exzessive Spielverhalten des Amokläufers aus München Anlass, eine überfällige Debatte wieder neu zu führen. Nur diesmal vernünftig.

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