Mietenstreit um Adidas, H&M und Deichmann - Antikapitalistische Reflexe

Weil große Konzerne wie Adidas, Deichmann oder H&M ein neues Corona-Gesetz zum Mietkündigungsschutz für sich nutzen wollen, gehen insbesondere Sozialdemokraten auf die Barrikaden. Dabei stammt die Regelung aus dem SPD-eigenen Justizministerium.

Ärger gegen Adidas / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Nachsicht, Geduld und Unaufgeregtheit sind in diesen isolationistischen Tagen notwendige Tugenden. Aber das gilt nicht nur für Arbeitnehmer in Video-Call-Konferenzen, in denen keiner den anderen versteht, wenn man sich nicht eisern zum Ausredenlassen diszipliniert. Das gilt auch nicht nur für Familien, die nun viel enger aufeinanderhocken als es Kita-, Schul- und Arbeitszeiten sonst zulassen. Es gilt in diesen Tagen auch ganz besonders für Politiker und Medien, denn sie sollten in besonderem Maße Vorbilder sein im Umgang mit der Krise. Doch dann brannte plötzlich das Adidas-Sportshirt des bayerischen SPD-Bundestagsabgeordneten Florian Post:

Und auch die ehemalige SPD-Justizministerin und heutige Europaabgeordnete Katharina Barley verkündete stolz: „Das hier waren übrigens die letzten ⁦@adidas⁩, die wir gekauft haben“:

Vorausgegangen waren alarmistische Meldungen darüber, dass Adidas, aber auch die Großunternehmen Deichmann und H&M sich dazu entschlossen hatten, die Mieten für einige ihrer Verkaufsläden ab April vorerst nicht zu überweisen. Die Konzerne profitieren damit von einem dieser schnellen Corona-Gesetze. In diesem Fall geht es um den vorübergehenden Kündigungsschutz für Mieter, die wegen Corona ihre Miete nicht werden zahlen können. Das Gesetz stammt von der amtierenden SPD-Justizministerin Christine Lambrecht, die ihr Werk ausdrücklich verstanden wissen will als Schutz für einfache Mieter und Ladenbesitzer, aber nicht für finanzstarke Unternehmen.

Moralisch aufgeladener Populismus

Das Problem an Gesetzen – auch in Zeite von Corona – ist aber nun mal, dass sie eben nur so gut greifen, wie sie auch gut gemacht sind. Wenn nun Aktiengesellschaften, die aus guten Gründen auch ihren Aktionären und nicht zuletzt ihren Mitarbeitern verpflichtet sind, ein neues Gesetz nutzen, um, den Gesetzen der Marktwirktschaft folgend, das beste für ihr Unternehmen rauszuholen, ist das zunächst eines: Es ist rechtens. Zumal es um Stundung und nicht um Nie-Bezahlung geht. Nach Angaben von Adidas seien außerdem private Vermieter der Ladengeschäfte von der Maßnahme ausgenommen. Es ist zwar richtig, dass hier womöglich ein finanzielles Problem von der Produtkions- und Handelswirtschaft auf die Immobilienwirtschaft und dann auf die Bankenwirtschaft übertragen werden könnte und am Ende dieser verhängnisvollen Kettenreaktion wieder der Staat und damit seine Bürger werden einspringen müssen.

Aber die Lösung des Problems liegt zunächst bei den Politikern, die diese Gesetze formuliert und verabschiedet haben. Die vor allem aufs Moralische abzielende populistische Anprangerung von Adidas, Deichmann oder H&M wirkt da schlicht lächerlich. Konzerne handeln nicht in dem Sinne moralisch, wie wir Menschen es tun, auch wenn sie von Menschen geführt werden. Das liegt aber weniger an den Menschen, die sie führen, sondern am System selbst. Man muss nicht gleich den Kapitalimus überwinden wollen, wie es jetzt einige Kritiker auch aus der Reihen der SPD fordern. Aber man könnte zum Beispiel damit beginnen, zielgenaue Gesetze zu fabrizieren oder dann zumindest ohne Fingerzeig auf andere nachzujustieren.

Verantwortlich bleibt der Gesetzgeber

Diese Bundesregierung kann derzeit mit gutem Grund eine gewisse Nachsicht von Medien und Bevölkerung erwarten. Denn nie zuvor mussten so viele Bereiche unserer Wirtschaft und unseres gesellschaftlichen Lebens auf einmal (neu) geregelt werden. Selten zuvor gab es einen ähnlichen globalen Ernstfall. Und tatsächlich geht es derzeit um Leben und Tod genauso wie um das wirtschaftliche Überleben von Millionen von Menschen. Klar ist aber auch, dass die Regierung in vielen Bereichen, in denen nun im Schnellverfahren neue Regeln geschaffen werden, auch wird nachjustieren müssen. Das sollte sie aber ohne Empörungsschaum vor dem Mund machen, ohne brennende Papierkörbe. Sollen sonst demnächst auch die Bundestagsdienstwagen brennen, wenn Daimler, BMW und Audi ihre Mieten stunden? Bitte nicht!

Barley übrigens verteidigte sich inzwischen für ihren Boykott-Aufruf gegen Adidas, also jenen Turnschuhkonzern, der weltweit bislang mehr als 50.000 Menschen beschäftigt: Es stimme, schreibt sie, dass es das Recht eines Unternehmens sei, Regeln zum eigenen Vorteil zu nutzen. Um dann aber doch wieder vollkommen abzudriften: „Es ist auch ihr Recht, in Billiglohnländern produzieren zu lassen und aberwitzige Gewinnspannen abzuschöpfen. Oder mit gesellschaftstrechtl. Konstruktionen auch das letzte Steuerschluploch zu nutzen.“ Es sei aber eben auch das „Recht der VerbraucherInnen, das bei ihrer Kaufentscheidung zu berücksichtigen und die Produkte solcher Unternehmen nicht mehr zu kaufen“. Dies sei auch Marktwirtschaft, so Barley.

Spätestens an dieser Stelle muss man die Fragen stellen: 1. Warum hatte Frau Barley im Wissen um Billiglöhne, Gewinnspannen und Steuerschlupflöcher überhaupt noch Adidas-Schuhe in Zeiten vor Corona gekauft? 2. Warum hat die Groko nicht längst strikte Gesetz erlassen, um Billiglöhne, Gewinnspannen und Steuerschlupflöcher zu verhindern?

Sieht so die marktwirtschaftliche Zukunft für die Sozialdemokraten aus? Der Empörungsgrad aufgehetzter Verbraucher regelt den Erfolg von Unternehmen jedenfalls mit Sicherheit nicht besser als ordentliche und durchdachte Gesetze.

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