Bahn-Pläne der Ampelkoalition - „Das ist eine nette Absicht“

Nimmt die Ampelkoalition die Verkehrswende ernsthaft in Angriff? Karl-Peter Naumann, Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn, ist skeptisch. Zu vieles im Koalitionsvertrag sei vage gehalten. Auf den künftigen Verkehrsminister Volker Wissing hält er jedoch große Stücke.

Anschluss verpasst: Ein ICE im Kölner Hauptbahnhof / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Karl-Peter Naumann ist Sprecher und Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn.

Herr Naumann, Bahnfahrer in Deutschland wünschen sich mehr Strecken, Pünktlichkeit und günstige Preise. Gibt das, was im Koalitionsvertrag steht, Grund zu Optimismus?

Die Antwort ist ein ganz klares Jein. Grund zum Optimismus ist die Erwähnung des Deutschlandtaktes. Wichtige Projekte, die dafür notwendig sind, stehen explizit im Koalitionsvertrag.

Damit meinen Sie den Ausbau bzw. Neubau von Bahnstrecken wie Hamm–Hannover–Berlin, den „Korridor Mittelrhein“ oder die Strecke Karlsruhe–Basel …

Karl-Peter Naumann

Richtig. Das ist positiv. Negativ ist zu sehen, dass gleichzeitig auch die Straße ausgebaut werden soll. Für eine echte Verkehrswende ist das also eindeutig zu wenig. Zudem fehlt ein Blick auf den Nahverkehr. Wir wissen natürlich, dass das Ländersache ist. Aber es gäbe einige Dinge, die man bundeseinheitlich regeln sollte. Das sind so banale Dinge wie Fahrplanwechselzeiten. Nur ein Beispiel: In Vorpommern wird am 1. November geändert, in Mecklenburg am 31. Dezember. Schon stimmen die Informationen nicht mehr, die der Reisende bekommt. Und das ist innerhalb eines Bundeslandes! Positiv sehen wir, dass das Thema Digitales im Verkehrsministerium bleibt. Denn gerade der Verkehr im ländlichen Raum ist ohne Digitales überhaupt nicht zu denken: On-Demand-Verkehre, Anrufsammeltaxis, später autonome Busse – das setzt eine enge Verzahnung digitaler Infrastruktur voraus.

Aber ist es nicht ein Fortschritt, dass im Koalitionsvertrag erstmals versprochen wird, „erheblich mehr in die Schiene als in die Straße“ zu investieren?

Richtig, es ist ein Wendepunkt. Andererseits haben wir inzwischen so viele Straßen, dass jeder Straßenneubau der Schiene das Wasser abgräbt. Nur ein Beispiel aus dem Norden: Bei der Verbindung von Hamburg Richtung Stralsund hat man nicht nur eine neue Autobahn gebaut, sondern noch eine Umfahrung um Stralsund und eine neue Brücke nach Rügen. Auf der Schiene hat man gleichzeitig die Infrastruktur ein bisschen ertüchtigt, aber teilweise ist die Strecke noch eingleisig. Da sieht man das Missverhältnis in der Vergangenheit. Die Erfahrung zeigt: Ich kann niemanden zum Umsteigen bewegen, wenn die Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr unzureichend ist. Das gilt im Übrigen auch für den Frachtverkehr: Wenn sie die Straße weiter ausbauen, dann verlagern Sie den Frachtverkehr auf die Straße.

Aber gerade beim Güterverkehr will die Koalition den Anteil der Schiene bis 2030 ja auf 25 Prozent steigern – heute liegt er bei etwa 18 Prozent.

Unterm Strich ist das aber sehr vage. Finanziell ist da nichts hinterlegt. Umweltschützer beklagen zu Recht, dass es hier eher um eine „Antriebswende“ (Elektromotor statt Dieselmotor), nicht um eine Verkehrswende geht: Wenn ich den LKW elektrisch fahren lasse, ist das zwar ein Fortschritt. Aber auch mit einem elektrischen LKW verbrauchen Sie deutlich mehr Energie als mit einem elektrischen Zug auf der Schiene. Auch weiterhin wird erheblich in die Straße investiert. Wenn man die Verkehrswende wirklich will, muss man aber sagen: Wir machen die begonnenen Projekte noch fertig, ein Torso macht keinen Sinn. Aber von einigen Ausnahmen abgesehen müsste man auf Straßenneubau verzichten. Genau das passiert aber nicht.

Wie wichtig ist die Frage der Personalie? Die Grünen zeigen sich ja unglücklich darüber, dass das Verkehrsministerium an den FDP-Politiker Volker Wissing gegangen ist.

Das spielt sicher eine Rolle. Aber gerade Herr Wissing hatte als Minister in Rheinland-Pfalz eine schienen- und ÖPNV-freundliche Handschrift. Der „Rheinland-Pfalz-Takt“ hat gezeigt, dass man auch in einem Flächenland einen guten Personennahverkehr hinbekommen kann, wenn man sich dahinterstellt. Die FDP insgesamt hat allerdings schon einen starken Fokus auf die Straße.

Einer dieser typischen vagen Sätze aus dem Koalitionsvertrag ist dieser: „Wir beschleunigen die Maßnahmen für besseren Mobilfunk- und WLAN-Empfang bei der Bahn.“ Unkonkreter geht’s nicht, oder?

Das ist eine nette Absicht. Es braucht hier staatliche Voraussetzungen, dass auf den wichtigsten Bahnverbindungen eine durchgehende Mobilfunkverbindung existiert. Das ist im Hinblick auf die Digitalisierung des Verkehrs dringend notwendig. Wenn man mit dem Zug unterwegs ist, um dann ein Sammeltaxi oder Ähnliches zu bestellen – dann wird das nichts ohne Verbindung. Der Staat muss den Mut haben, den Telekommunikationsunternehmen Vorgaben zu machen. Die Post ist ja heute auch verpflichtet, einen Brief auf die Alm oder auf die Hallig Hooge zu transportieren. Dasselbe brauchen wir auch für das Mobilfunknetz. Das darf nicht verhandelbar sein.

Auch eine „Beschleunigungskommission Schiene“ steht im Koalitionsvertrag. Kommissionen haben ja im Allgemeinen keinen besonders guten Ruf. Wird die etwas nützen?

Wir brauchen in jedem Fall eine Beschleunigung in der Planung. Am Anfang muss natürlich mit Bürgerbeteiligung beschlossen werden, dass es einen Streckenausbau geben muss. Dann kann man mit den Bürgern eine Trassierung besprechen. Aber wenn das abgeschlossen ist, muss das auch Bestand haben. Sonst kommen Sie ja nie weiter. Nehmen wir den Fehmarnbelt-Tunnel. Vor einigen Tagen gab es da den ersten Spatenstich auf deutscher Seite. Es existiert ein Urteil des Bundesverwaltungsgericht, dass gebaut werden darf. Aber wenn dann noch mit allen möglichen anderen Argumenten dagegen geklagt werden kann, dann kommen Sie ja nie zu einem Ende. Man braucht da Klarheit, die wir zur Zeit nicht haben. So wird es auch nichts mit der Verkehrswende. Denn mehr Verkehr auf die Schiene ist nur möglich mit einem Ausbau des Schienennetzes. Ein Großteil der Verspätungen, die es heute gibt, liegt an mangelnder Infrastruktur.

Pro Bahn unterstützte im Spätsommer einen Aufruf, dessen zentrale Forderung darin bestand, dass Bahnhöfe und Streckennetz aus dem Konzern herausgelöst werden sollten – um nicht mehr gewinnorientiert funktionieren zu müssen.

Indirekt ist das passiert: Im Koalitionsvertrag ist ja festgelegt, dass die Infrastruktur, zu der Bahnhöfe und das Netz gehören, in Zukunft nicht mehr gewinnorientiert arbeiten soll. Nehmen wir zwei Beispiele: Wenn Sie ein neues Gewerbegebiet bauen, funktioniert das nur, wenn Sie eine Straße hinbauen. Da sagt keiner: Wir bauen die Straße nur, wenn da jeden Tag 200 Lastwagen drüberfahren. Das gehört einfach dazu. Wenn Sie aber einen Schienenanschluss da hinlegen wollen, wird bislang genau gerechnet: Lohnt der sich, wie viele Wagen fahren da? Das sind sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen. Im Personenverkehr ist es dasselbe. In meiner Heimatstadt Hamburg gibt es ein sehr berühmtes Beispiel: die Elbphilharmonie. Gleichzeitig mit der Philharmonie wurde dort eine U-Bahn-Strecke gebaut, die natürlich keine Haltestelle an der „Elphi“ bekommen hat, weil der Nutzen-Kosten-Faktor der U-Bahn unter 1 gerutscht wäre. Nach dem Kosten-Nutzen-Faktor der Elbphilharmonie hat nie jemand gefragt. Auch nicht bei der Tiefgarage. Aber natürlich gehört da ein U-Bahnhof hin. Ein anderes Beispiel: Wenn ich sage, dass die Leute von Berlin auf die Insel Usedom vermehrt mit der Bahn fahren sollen, dann muss das als Argument ausreichen, um die alte Strecke mit der Brücke über die Peene wieder aufzubauen. Die wurde 1945 zerstört. Seitdem muss man einen riesigen Umweg nehmen. Da haben wir unterschiedliche Maßstäbe, und die müssen weg.

Wie stehen die Chancen, dass Reisen mit der Bahn günstiger wird? Gibt es Hoffnung?

Es gibt Hoffnung, wenn man das Netz anders betrachtet. Es ist EU-rechtlich möglich, von den Bahnverkehrsunternehmen nicht mehr die vollen Kosten für die Nutzung des Netzes zu verlangen, sondern nur noch die Grenzkosten. Dann müssen die Unternehmen weniger „Schienenmaut“ bezahlen – und das sind Einsparungen, die dann an den Kunden weitergegeben werden können.

Da nutzt die Bahn aber ihre Macht bislang noch voll aus …

Aber momentan müssen die es ja. Die politische Vorgabe ist es, das Vollkostenprinzip einzuhalten. Und das müssen sie umsetzen.

Wird es denn mehr kostengünstige Konkurrenz wie Flixtrain geben?

Beim Güterverkehr wird es sicher noch mehr Konkurrenz geben – wenn die Infrastruktur ausgebaut wird. Beim Personenverkehr wird es auf Länderebene mehr Unternehmen geben.

(Eine Durchsage unterbricht das Interview: Das WLAN im ICE funktioniert nicht.)

Im Fernverkehr hängt das von den Trassen ab. Bei der Frage, wo es Fernverkehr geben soll, ist eine ordnende Hand wichtig – die Vorgaben müssen von der Politik kommen. Grundlegend sind eben die Kapazitäten und vor allem die Vorgaben durch den Deutschlandtakt.

Herr Naumann, Sie fahren gerade mit dem Zug von Berlin nach Hamburg. Wann wird es möglich sein, so ein Gespräch wie dieses per Telefon ohne Unterbrechung zu führen?

Ich weiß nicht, ob ich das noch erleben werde.

Die Fragen stellte Moritz Gathmann.

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