"Der Kosovo braucht uns"

Sechs Jahre nach der Bombardierung Serbiens durch Nato-Truppen ist die Zukunft des Kosovo noch immer ungeklärt. Madeleine Albright, damalige US-Außenministerin, spricht über die Grenzen militärischer Macht, verfehlte Strategien und die Lehren des Krieges.

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Bushs Irakkrieg geht ins dritte Jahr. Er nahm nicht den gewünschten Verlauf. Wie steht es mit „Madeleines Krieg“ im Kosovo, sechs Jahre nach der Bombardierung Serbiens durch die Nato? Das Glas ist halb voll oder eben halb leer. Es ist schon richtig, dies war „unser Krieg“. Präsident Clinton und ich waren davon überzeugt, dass Amerika die ethnischen Säuberungen beenden und den vertriebenen Muslimen eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen muss. Andererseits ist der völkerrechtliche Status des Kosovo noch immer ungeklärt. Es ist offen, ob er ein Teil Serbiens sein wird oder ein unabhängiger Staat. Eine Regierung Gore hätte sicher längst Klarheit geschaffen. So aber wurde der Kosovo sowohl von der US-Regierung als auch von der internationalen Gemeinschaft als nachrangiges Problem behandelt. Vor allem die ethnische Vielfalt im Kosovo ist nicht gesichert. Die Lage hat sich sogar verschlechtert. Haben Sie die Komplexität der Aufgabe unterschätzt? Die Lehre besteht – wie im Irak auch – darin, dass es nie nach Plan läuft. Wir Amerikaner, die ja nie eine Kolonialmacht gewesen sind, wollen die Dinge immer so schnell wie möglich regeln und uns dann wieder zurückziehen. Politische Prozesse aber sind organisch. Es gibt immer wieder neue Verwicklungen, Höhen und Tiefen. Derartige Einsätze verlangen also nach beständiger Aufmerksamkeit, sonst bleiben die gewünschten Ergebnisse aus. In diesem Sinn hat die internationale Gemeinschaft den Kosovo im Stich gelassen. Die Zielsetzung der Vereinigten Staaten bestand im Kosovo wie im Irak darin, mit militärischen Mitteln einen multi-ethnischen und multireligiösen Staat hervorzubringen, offenbar eine sehr schwierige Aufgabe. Unsere Ziele im Kosovo und Irak waren und sind sehr unterschiedlich. Das erklärte Ziel der Irak-Invasion ändert sich zudem ständig. Zuerst lautete das Ziel, Saddam zu stürzen und dessen Massenvernichtungswaffen unschädlich zu machen. Dann ging es um die Demokratisierung des Mittleren Ostens und die Rechte der Frauen, mittlerweile geht es offenbar nur noch darum, die Aufständischen in Schach zu halten und ein Minimum an Stabilität zu erreichen. Wie lautete die Zielsetzung im Kosovo? Wir wollten Menschen vor der ethnischen Auslöschung bewahren. Solch ein Ziel lässt sich militärisch erreichen. Und wir haben es erreicht. Eine rechtsstaatliche Verfassung und freiheitliche politische Strukturen hingegen lassen sich nicht aufzwingen. Das braucht viel Zeit und Einsatz. Außerdem haben wir im Kosovo keineswegs versucht, einen Vielvölkerstaat ins Leben zu rufen, sondern wir wollten ein Blutbad und den Zusammenbruch einer bereits existierenden multiethnischen Gesellschaft verhindern. Der Einsatz war eine humanitäre Pflicht. Was immer die Mängel bei diesen amerikanischen Einsätzen waren, im Ergebnis haben Muslime, im Kosovo wie im Irak, die Macht übernommen. Wie kommt es dann, dass die muslimischen Gesellschaften solch starke Antipathien gegen die USA hegen? Für die arabische Welt mag das zutreffen, aber im Kosovo liegen die Dinge anders. Wir werden dort für unseren Einsatz geliebt. Straßen werden nach Bill Clinton benannt, und auch wenn es mir ein wenig peinlich ist, es zu sagen, viele junge Mädchen wurden auf den Namen „Madeleine“ getauft. Im Irak geschieht dergleichen nicht. Weshalb die US-Hilfe für die Muslime global gesehen einfach nicht verstanden wird? Schwer zu sagen. Vielleicht ist der Schutz, den die Muslime in Europa von uns erfahren haben, schwer auf andere Gebiete zu übertragen. Welche Einsichten gewinnen Sie hinsichtlich der Grenzen und Möglichkeiten amerikanischer Macht, wenn Sie auf die Intervention im Kosovo und im Irak zurückschauen? Die Anwendung von Gewalt darf nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Ich glaube fest an den Einsatz militärischer Mittel, wenn es um die Verhinderung ethnischer Säuberungen geht. Ich bin allerdings nicht der Ansicht, Gewalt sollte das erste Mittel sein, wenn es darum geht, einen Konflikt zu beenden oder mit einer bestehenden Bedrohung umzugehen. Das Hauptproblem der Politik Bushs besteht ja nicht darin, dass sie unilateral wäre, sondern in ihrer Eindimensionalität. Alles wird durch eine militärische Brille wahrgenommen und in Verbindung mit dem 11.September gesehen, als ob es in der Welt keine anderen Probleme gäbe – zum Beispiel die Arbeit im Kosovo zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen. Geht es nicht auch darum, die öffentliche Meinung in Amerika von der Wichtigkeit eines langfristigen Engagements zu überzeugen? Hier teile ich die Ansicht von Präsident Bush: Solch ein Einsatz bedeutet vor allem harte, langwierige Arbeit. Wir Amerikaner sind ein proaktives Volk. Wir lieben es, Listen zügig Punkt für Punkt abzuarbeiten. Aber so geht es nun einmal nicht immer. Amerika kommt eine Sonderrolle zu. Wir haben große Macht, und das heißt auch, die Macht Gutes zu erreichen. Als ich einst sagte, Amerika sei die „unverzichtbare“ Großmacht, ging es mir um diese besondere Verantwortung, nicht etwa darum, mich mit Amerikas Vormachtstellung zu brüsten. Übersetzung: Wolfram Eilenberger Das Gespräch führte Nathan Gardels
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