Neuwahlen oder Groko - Trau dich, Basis!

Auch nach einem Nein zur Groko aus Sachsen-Anhalt und Berlin kämpft die SPD-Führung weiter. Denn sie hat Angst vor Neuwahlen und fürchtet um ihre Posten. Dabei bleibt noch immer eine dritte Option und die Basis könnte endlich die echte Erneuerung schaffen

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Autoreninfo

Jöran Klatt ist Politik- und Kommunikationswissenschaftler. Er hat am Göttinger Institut für Demokratieforschung gearbeitet und ist Mitglied der Redaktion von INDES-Zeitschrift für Politik und Gesellschaft.

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Sollte eine erneute große Koalition an der SPD-Basis scheitern, müsste die Partei Neuwahlen nicht fürchten. Dennoch treibt viele Sozialdemokraten momentan vor allem eine Sorge um: Die Angst, sollte es zu Neuwahlen kommen, von den Wählerinnen und Wählern für das erneute Scheitern einer Regierungsbildung verantwortlich gemacht zu werden.

Man kann der SPD in den vergangenen Jahren wohl vieles vorwerfen, aber nicht, sich im Zweifel zu wenig staatstragend und „verantwortungsvoll“ bewiesen zu haben. Darunter wurde in der Regel verstanden, die eigenen Ideen möglichst zurückzunehmen und dafür die Politik der Union ein wenig zügeln und in gemäßigte andere Bahnen lenken zu dürfen.

Verachtung für die Kernklientel

Genutzt hat es der SPD indes nicht. In den vergangenen Jahren haben sich wohl am wenigsten jene Menschen von der SPD abgewendet, die sich von ihr wünschen eine nur mitteorientierte, staatstragend-gemäßigte Kraft zu sein. Würde man Wahlen tatsächlich in der Mitte gewinnen, die SPD wäre noch Volkspartei. Vor allem an der Basis der Partei wird die Große Koalition aus gutem Grund verachtet. Denn allzu ersichtlich wird gerade an den Wahlkampfständen und im Ortsverein, dass sich das Gros der sozialdemokratischen Kernklientel von der SPD etwas Anderes erhofft.

Die SPD-Führungsriege, die zwar biographisch noch „der Arbeiterschaft“ entspringt, ist selbst längst aufgestiegen aus dieser und verachtet sie offenbar sogar ein wenig. Darauf deutete beispielsweise schon die zwar gut gemeinte, aber auch doppeldeutige Aussage Sigmar Gabriels beim bislang letzten Erneuerungsversuch der Sozialdemokratie hin, man müsse wieder dort hingehen „wo’s stinkt.“

Während nun die Führungsleute der Partei für die zahlreichen Kompromisse werben, die man erringen konnte, bleibt an der Basis vor allem eins sichtbar: Die Große Koalition bleibt ein zu eng geschnürtes Korsett. So gut manche Kompromisse auch wirken mögen – sie reichen vielen nicht mehr. Die großen Schritte Bürgerversicherung und Spitzensteuersatz bleiben mit der Union unerreichbar – darüber kann keine Rhetorik und Wortwahl hinwegtäuschen.

Die Parteiprominenz pokert hoch

Die Erleichterung der Oppositionsansage am Wahlabend 2017 wirkte daher befreiend. Umso stärker könnte die Enttäuschung nun zurückhallen. Gewollt wird die Große Koalition vor allem von der aktuellen Parteiprominenz. Sie ist nämlich das letzte Halteseil derjenigen, die einen wirklichen Erneuerungsprozess der Partei fürchten. Denn dieser würde sie treffen.

Im Falle von Neuwahlen müsste die Partei aber vor allem konsequent bleiben und versuchen aus ihrem Nein zur Großen Koalition einen Vorteil zu ziehen. „Verantwortung übernehmen“ könnte für erneuerte Sozialdemokratie mit anderem Selbstbewusstsein und Selbstverständnis auch heißen, dass die Lagerpolitik wiederkehren muss und auch von den Volksparteien wieder richtungsweisende Unterschiede erwartet werden dürfen.

Diejenigen, die momentane für eine Neuauflage des Bündnisses mit Angela Merkel werben, wären hierfür allerdings untragbar. Ob beispielsweise die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles für diesen oder einen anderen wichtigen Posten überhaupt noch in Frage käme, ist mehr als offen. Ihre Wortwahl ist daher eindeutig: Man dürfe „das Ergebnis nicht mutwillig“ schlechtreden und diejenigen die dies täten müssten „auch die Alternative benennen – und das sind Neuwahlen“.

Die einstige Hoffnungsträgerin des parteiinternen linken Flügels stellt sich nun deutlich gegen diesen. Andrea Nahles, die zunächst deutlicher und mit der Zeit dann immer zaghafter versuchte, das Gesicht des Erneuerungsprozesses zu werden, hat sich nun klar entschieden. Sie und die gesamte Führungsriege der Sozialdemokraten pokern hoch und setzen alles darauf, dass die Partei vor einem völligen Bruch mit der eigenen Spitze zurückzieht.

Auf dem kommenden Parteitag dürfte es dennoch knapp werden. Gut möglich ist zwar, dass es den GroKo-Befürwortern gelingt, eine Mehrheit der Delegierten vorab auf Linie zu bringen. Dafür wird die Parteiprominenz wohl in den nächsten Tagen sehr viel telefonieren und den ein oder anderen Vornamen recherchieren lassen. Viele Ortsvereinsvorsitzende werden in den nächsten Tagen wohl zu hören bekommen, dass man doch gerade jetzt „ihre Unterstützung“ brauche und dass doch „Neuwahlen niemand wollen“ könne.

Neuwahlen nicht die einzige Option

Es ist indes überhaupt nicht gesagt, dass es quasi per Automatismus zu Neuwahlen kommen würde. Gut möglich, dass der Bundespräsident eine Auflösung des Parlaments verweigern würde. Andeutungen in diese Richtung hat er schon gemacht. Auch wenn die Union eine Minderheitsregierung nicht will, auf diesem Wege könnte sie praktisch dazu gezwungen werden.

Die Christdemokraten bleiben bisher aus gutem Grund bei ihrem Nein zu einer Minderheitsregierung: Sie wissen um das Dilemma der SPD, deren Parteiprominenz Neuwahlen fürchtet und die wegen zu viel großkoalitionären Stallgeruchs in solche nicht mehr führen könnte. Die CDU braucht die Sozialdemokratie vor allem als Puffer des Frusts über die Große Koalition. In einer Minderheitsregierung könnte sie den Unmut selbst abbekommen. Es ist daher weniger die mangelnde Stabilität einer Minderheitsregierung, die Angela Merkel fürchtet, sondern die strategische Erfahrung, dass Koalitionspartner der Union in den letzten Jahren in der Regel verloren haben, während sie selbst einigermaßen ungeschoren davon kam.

Genügend Leute könnten nachrücken

Für einen Erneuerungsprozess hätte die SPD indes bei einer Absage an die Große Koalition nun eine wirkliche Chance. Egal ob Neuwahlen eine Verbesserung oder deutliche Verschlechterung ihres Ergebnisses bedeuten würden: In der Opposition könnte sie sich neu aufstellen und den Generationenwechsel vollziehen.

Die Parteiführung versucht sich daher momentan als besonders unentbehrlich darzustellen. Mit bisher respektablem Erfolgt, immerhin in einer Partei, die nach wie vor an die 450.000 Mitglieder zeichnet – mit ihnen ein großes Reservoir an möglichen Nachrückern. Anstatt das Gewohnheitsrecht der Erben der Großen Koalition zu bestätigen, könnte die Partei sich also auf die Suche nach neuem Führungspersonal machen.

Bisher war die Hoffnung der Parteiprominenz, ohne personelle Konsequenzen selbst die „Erneuerung“ anführen zu dürfen. Doch sollte die Neuauflage der Großen Koalition an der Basis scheitern, hat diese womöglich nur den verschobenen wirklichen Erneuerungsprozess eingeleitet. Ein solcher macht an Personen nicht Halt. Eine Partei als Ganze darf dies eben aus ihrer Eigenverantwortung heraus nicht fürchten. Die momentanen Prediger der Verantwortung indes schon.

 

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