No Billag in der Schweiz - Ein deutliches Ende

Die Schweizer wollen ihr gebührenfinanziertes Radio und Fernsehen behalten. Bis zum Schluss kämpften Gegner und Befürworter der No-Billag-Initiative ideologisch wie selten bis an die Schmerzgrenze. Was wir daraus lernen können

Die Schweizer wollen ihren gebührenfinanzierten Rundfunk behalten / picture alliance
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Servan Grüninger hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biologie und Statistik abgeschlossen. Er schreibt regelmäßig über wissenschafts- und gesellschaftspolitischen Themen unter anderem für die NZZ.

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Am Ende hat es dann doch nicht gereicht. „No-Billag“, die Volksinitiative, die alle Rundfunkgebühren abschaffen und dem Schweizer Staat jede Subventionierung von Fernseh- und Radioangeboten untersagen wollte, wurde abgelehnt. Und zwar deutlich: Mit mehr als 71 Prozent erteilten die Schweizerinnen und Schweizer der Vorlage eine Absage. Kein einziger Kanton stimmte zu. Gestritten wurde aber bis zuletzt – jedoch weniger um die Gebühren als ums Prinzip.

Die Initiatoren machten aus ihrer fundamentalen Staatsskepsis nie einen Hehl. Für sie war klar: Der Staat soll sich raushalten aus Radio und Fernsehen und die Schweizer Medienlandschaft ganz dem Markt überlassen. Eine Kürzung der Gebühren wäre für sie ebenso wenig in Frage gekommen wie eine Erhebung des Rundfunkbeitrags über die Steuern. Der Staat dürfe seine Bürger nicht zwingen, für Leistungen zu bezahlen, die sie gar nicht beziehen würden, so der Tenor.

Nun gibt es in einem funktionierenden Gemeinwesen zuhauf Dinge, die wir als Bürgerinnen und Bürger bezahlen, ohne sie notwendigerweise in Anspruch zu nehmen. Kinderlose bezahlen Schulen, Autofahrer den Zug, Fußballmuffel die Sportförderung. Dass eine Gemeinschaft neben Eigenverantwortung eben auch Solidarität braucht, leuchtet den meisten ein. Von links-urban bis ländlich-konservativ war dann auch niemand wirklich gewillt, das nationale Radio und Fernsehen auf dem Altar der freien Marktwirtschaft zu opfern – zu viele verschiedene Bevölkerungsgruppen und Minderheiten wären bei einem Ja betroffen gewesen. Insofern hätte man die Provokation der No-Billag-Staatskritiker eigentlich gelassen nehmen können.  

„Im Krieg“ gegen die Marktradikalen

Gekommen ist es anders: Viele Gegner der Initiative reagierten mit einem empörten Furor, der über weite Strecken ebenso ideologisch verbohrt wirkte wie die marktradikalen Fantasien der Initiatoren. Sie wähnten sich „im Krieg gegen No-Billag“ und sparten nicht mit Säbelrasseln und Untergangszenarien. Wer den Gegnern zuhörte, konnte meinen, dass nicht über das öffentlich-rechtliche Fernsehen, sondern die Abschaffung der Demokratie abgestimmt werde. Vor diesem Hintergrund war scheinbar jedes Mittel recht, um diesen Abstimmungskampf zu gewinnen. So setzte sich etwa das größte Gegenkomitee ziemlich unverfroren über das Schweizer Datenschutzrecht hinweg, um seine Botschaften auf Facebook zu verbreiten.

Nun sind unterschiedliche Wertehaltungen und Ideologien eine Grundvoraussetzungen für eine lebendige Demokratie. Wenn wir uns in allem einig wären, bräuchte es weder politische Auseinandersetzungen noch Kompromisse. Stattdessen könnten wir einhellig den Willen des Volkes umsetzen. Weil eine solche „volonté générale“ aber nur als  Rousseau'scher Traum existiert, werden Meinungsverschiedenheiten auch in Zukunft politisch verhandelt werden müssen.

Das lässt sich aber durchaus sachlich tun. Ein Beispiel dafür lieferte beispielsweise die Schweizer Abstimmung über die sogenannte Präimplantationsdiagnostik. Nach längeren parlamentarischen Vorberatungen gelang eine Kompromisslösung, die mit einer komfortablen Mehrheit angenommen wurde. Zwar trafen auch hier unterschiedliche Wertehaltungen aufeinander, doch die Diskussion war grundsätzlich geprägt von gegenseitigem Respekt.

Nicht nur Politiker, auch das Volk trägt Verantwortung

Ganz anders bei No-Billag: Wer es mit Sachlichkeit und Abgeklärtheit versuchte, wurde resolut zur Seite geschoben; es dominierten die rhetorischen Grobmotoriker. Die Schuld dafür ist indes nicht nur bei den involvierten Polit-Akteuren zu suchen – auch wir als Stimmbürgerinnen und -bürger müssen uns an der Nase nehmen. Mit unserem Verhalten in den sozialen Netzwerken rücken wir extreme Meinungen regelmäßig ins Rampenlicht.

Weil wir bevorzugt „liken“ und teilen, was unsere Meinung stützt, statt herausfordert; weil wir uns gerne über die Argumente des Gegners lustig machen, statt uns darauf einzulassen; weil wir gegnerische Entgleisungen genüsslich ausschlachten, aber über eigene Verfehlung eisern schweigen. Auch bei No-Billag blieben die Abstimmungskämpfer am liebsten unter sich und kamen in aller Regel nur dann aus ihren Schützengräben, um eine weitere Provokation auf den Gegner abzufeuern. An einem wirklich Austausch war in dem monatelangen Abstimmungskampf kaum jemand interessiert.

No-Billag ist nicht die erste Abstimmungsschlacht

Nun ist die Schweiz harte politische Grundsatzdebatten gewohnt. Aber dass ein kleine Gruppe von libertären Staatskritikern eine millionenschwere Abstimmungsschlacht provozieren konnte, überraschte viele. Insbesondere in den Medien und den sozialen Netzwerken war die Resonanz gewaltig. Der aktuelle Abstimmungskampf weist dann auch viele Parallelen mit einem knapp 30 Jahre zurückliegenden Urnengang auf, nämlich mit der Volksinitiative für eine Abschaffung der Armee von 1989. Wie heute war die Debatte weniger getrieben vom Inhalt, sondern viel mehr von den zugrundeliegenden Ideologien: 1989 stießen kompromissloser Pazifismus auf ständige Wehrbereitschaft. 2018 forderte libertäre Staatskritik das Schweizer Ur-Vertrauen in ihre Institutionen heraus.

Auf den ersten Blick sind beide Initiativen zwar gescheitert. Die Schweizer Armee gibt es immer noch und auch das Schweizerische Radio und Fernsehen wird weiterbestehen. Doch trotz Niederlagen an der Urne haben die Initiativen ihre Wirkung entfaltet. Die Schweizer Armee musste erkennen, dass sie nicht mehr unantastbar war, und nach 1989 grundlegende Reformen in die Wege leiten. Und auch die Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft SRG muss über die Bücher gehen und ihren Kernauftrag überdenken. Der SRG-Generaldirektor Gilles Marchand sagte nach dem Ergebnis, der 4. März sei ein Wendepunkt in der Geschichte der SRG. Man sei in der Pflicht, sich zu reformieren. Er stellte in Aussicht, bis 2019 rund 87 Millionen Euro einsparen zu wollen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich der No-Billag-Abstimmung durchaus Positives abgewinnen, zeigt sie doch, dass das politische Instrument der Volksinitiative ihren Zweck erfüllt. Initiativen dienen dazu, Themen auf die politische Agenda zu setzen, die sonst kaum Resonanz erhalten würden. Damit dienen sie nicht bloß als „Ventil“ für die Bevölkerung, wie das im Ausland gerne kolportiert wird, sondern als echte Mitsprachemöglichkeit bei gesellschaftlichen Grundsatzdebatten.

Abstimmen über Grundsatzfragen

Volksentscheide zwingen Verwaltung und Politik, die Bevölkerung mit guten Argumenten zu überzeugen. Das ist bisweilen mühsam und anstrengend, aber es lohnt sich. Denn nach einer gewonnenen Abstimmung besteht in aller Regel ein klarer Handlungsauftrag für das Parlament oder die Regierung. Umgekehrt ist eine verlorene Abstimmung kein Grund für Rücktritte, sondern ein Auftrag zum Bessermachen. Keinem Mitglied der Schweizer Regierung käme es in den Sinn, den Hut zu nehmen, nur weil er oder sie eine Abstimmung verliert. Das ist entscheidend, ansonsten verkommen Abstimmungen zu einem Urteil über die Zufriedenheit mit der Regierung, anstatt dass über den Inhalt der Vorlage diskutiert wird. Viele Länder, die nur sporadisch statt systematisch mit Volksentscheiden experimentieren, mussten diese Erfahrung schon machen.

Nun ließe sich argumentieren, dass Abstimmungen nur Zeit kosten würden und den politischen Betrieb noch mehr verlangsamten; dass Volksinitiativen die politische Agenda mit Themen verstopften, die von den wirklich wichtigen Fragen ablenkten. Doch stimmt das? Deutschland kennt die direkte Mitbestimmung der Bevölkerung auf Bundesebene eigentlich gar nicht und auf Länderebene bzw. kommunaler Ebene nur sehr beschränkt. Trotzdem beherrschen ganz ähnliche Diskussionen wie in der Schweiz die Schlagzeilen. Auch die deutsche Politik quält sich seit mehreren Jahren mit Debatten über Migration, kulturelle Identität oder Kriminalität; auch in Deutschland wird zurzeit über die öffentlich-rechtlichen Medien diskutiert – und das ganz ohne direktdemokratische Mitbestimmung.

Das Volk spricht für sich

Wie lange diese Themen in den Schlagzeilen bleiben, hängt in Deutschland in erster Linie von den Interessen der Parteien ab. Wenn sie wollen, können sie eine Debatte beliebig lange am Köcheln halten, ohne dass die Bevölkerung irgendwann mal einen Schlussstrich ziehen könnte. Volksabstimmungen haben demgegenüber den großen Vorteil, dass spätestens am Abstimmungssonntag ein Entschluss vorliegt.

Volksentscheide geben der Bevölkerung die Möglichkeit bis zu einem gewissen Grad für selbst zu sprechen. Das verhindert, dass sich Politiker ungestraft zum alleinigen „Sprachrohr des Volkes“ aufschwingen können. Die linken und rechten Polparteien in der Schweizer Regierung spielen gerne mit populistischen Voten, verlieren jedoch die meisten Abstimmungen; ihre Partner in der Mitte gewinnen zwar Abstimmung nach Abstimmung, wirken aber nur wenig volksnah. Parteien, die lauthals „Wir sind das Volk“ skandieren, würden in der Schweiz deshalb schneller von eben diesem Volk abgestraft, als es ihnen lieb sein kann.

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