Neue Regierung - Willkommen in Absurdistan

Auch drei Monate nach der Bundestagswahl bleibt unklar, welche Parteien zukünftig das Land regieren. Die Suche nach einer neuen Regierung trägt längst aberwitzige Züge.

Wohin geht der Weg? /picture alliance
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Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Drei Monate sind seit der Bundestagswahl vergangen und keine Regierung ist in Sicht. Kein Jamaika-Bündnis und auch keine Große Koalition. Deutschland, so scheint es, ist unregierbar geworden. Allen Appellen des Bundespräsidenten zum Trotz. 
Man kann an dieser Stelle darauf verweisen, dass die Wähler den Parteien mit dem Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September ein kompliziertes machtpolitisches Rätsel aufgegeben haben. Dass es den Politikern schwerfällt, den Tatsachen eines sich verändernden Parteiensystems ins Auge zu sehen. Dass sie mehr Zeit brauchen für die Kompromisssuche. Dass die Wähler völlig unberechenbar geworden sind und schnell bereit, die Parteien für Regierungshandeln abzustrafen, weswegen das Bekenntnis „erst das Land , dann die Partei“ für sie nicht mehr gilt.

Man kann sich aber auch nicht des Eindrucks erwehren, dass die Suche nach einer Regierungsmehrheit längst ein paar aberwitzige Züge trägt.

Ohne Merkel will die FDP

Die FDP zum Beispiel hat auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft nach fünf Wochen munterer Sondierungsverhandlungen urplötzlich ihre Lust am Opponieren entdeckt. Sie will nicht mehr der billige Mehrheitsbeschaffer der Union sein, zumindest solange nicht, wie Angela Merkel Bundeskanzlerin ist. Parteichef Christian Lindner nimmt Merkel offenbar noch immer Übel, dass seine Partei zwischen 2009 und 2013 schlecht regiert hat und deshalb vom Wähler in die außerparlamentarische Opposition verbannt wurde.

Jetzt ist die FDP wieder und die Kanzlerin immer noch da. Da hilft nur eines: Merkel muss weg. Danach kann man mit den Liberalen wieder über alles reden, über Jamaika zum Beispiel und auch über Dienstwagen. Ach ja, einen Politikwechsel wollen die Liberalen auch, nur worin dieser besteht, mal abgesehen von der Abschaffung des Solidaritätszuschlages, kann kein Liberaler so ganz genau sagen.

Mehr sozialdemokratische Handschrift

Die SPD ringt auch über die Weihnachtstage darum, ob sie der staatspolitischen Verantwortung nachkommt oder ihrer Oppositionssehnsucht nachgibt. Obwohl die Partei bei der Bundestagswahl nur von 15,6 Prozent alle Wahlberechtigten gewählt wurde, verlangt sie ultimativ eine sozialdemokratische Handschrift für die nächste Bundesregierung. Was das heißt, darüber muss aber erst ein Sonderparteitag befinden. Am 21. Januar ist es soweit, anschließend wissen alle mehr. Vielleicht.

Dabei trug die vorangegangene Bundesregierung, die mit allem ihren sozialdemokratischen Ministern bis auf Weiteres geschäftsführend im Amt bleibt, im Übrigen auch eine sozialdemokratische Handschrift – vom Mindestlohn über die Rente mit 63 bis zur Homoehe. Zumindest hat die SPD dies in den vergangenen vier Jahren immer wieder behauptet. Den Wähler hat es kaum interessiert. Trotzdem wollen die Sozialdemokraten die Dosis jetzt noch mal erhöhen.

Kleine Revöltchen in der CDU

Wobei es vor allem in der CDU und auch in der CSU manche Politiker gibt, die halten Merkel schon seit langem für eine verkappte Sozialdemokratin. Nur weil es auch nach zwölf Jahren im Amt und der vierten gewonnenen Wahl in Folge gar nicht so einfach ist, sie loszuwerden, plädieren sie für eine Minderheitsregierung. Frei nach dem Motto, eine geschwächte Kanzlerin werden wir schneller los als eine, die fest im Koalitionssattel sitzt.

Interessant, dass die Möchte-Gern-Rebellen in der CDU, seinen sie nun parlamentarische Staatssekretäre oder Vorsitzende irgendeiner innerparteilichen Vereinigung, ja schon die unadressierte Forderung nach einer personellen Erneuerung der Partei für einen Akt des Widerstandes halten.

Der Opa kommt nach Berlin

Die CSU ist im Abservieren von Führungspersonal erfahrener, sie hat zumindest den halben Seehofer vom Sockel gestürzt. Das Amt des Ministerpräsidenten muss er abgeben, dafür darf er als Parteivorsitzender weiter mit Merkel und Schulz verhandeln. Wobei für die Christsozialen Berlin das neue Brüssel zu sein scheint. Früher hieß das Motto in den Parteien: Haste einen Opa, schick' ihn nach Europa. Die CSU schickt ihren Opa stattdessen in die deutsche Hauptstadt.

Ein letzter verlässlicher Partner

Was die FDP zu wenig hat, haben die Grünen im Übrigen zu viel. Familiennachzug und CO2-Ausstieg, Vorratsdatenspeicherung und Reichensteuer. Rote Linien, wohin man schaut. Für jeden Unterflügel der Partei eine. Bei soviel programmatischem Tatendrang scheint es durchaus sinnvoll zu sein, dass sich jetzt ein Schriftsteller bei den Grünen um das Amt des Parteivorsitzenden bewirbt. Denn nur mit vielen schönen Worten lassen sich jene faulen Kompromisse ummänteln, die notwendig sein werden, wollen die Grünen im Bund tatsächlich eines Tages regieren.

Immerhin wollen sie an die Macht, anders als die blau-gelb-rot-dunkelrote Mehrheit im Bundestag. Dass sich nun ausgerechnet jene die Partei, die einst angetreten war, die bürgerliche Ordnung zu sprengen und für jeden ordentlichen Christdemokraten den Gottseibeiuns verkörperte, als letzter verlässlicher Partner der Union anbiedert, man könnte fast von einem neuen Traumpartner für Merkel, Seehofer und Co sprechen, ist offenbar eine besondere Ironie der Geschichte.

Jammern ohne Wollen 

Blieben noch Linke und AfD. Die wollen gar nicht regieren. Hauen munter auf ihre fundamentalistischen Pauken. Trotzdem waren beide Parteien so beleidigt wie trotzige kleine Kinder, weil sie vom Bundespräsidenten nicht zur staatspolitischen Belehrung in Sachen Regierungsbildung ins Schloss Bellevue eingeladen wurden. Immerhin. Dem konnte abgeholfen werden. 

Es sage keiner, es käme in der deutschen Politik Langeweile auf. Willkommen in Absurdistan.

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