NetzDG - „Meinungsfreiheit ist kein Larifari“

Der FDP-Digitalexperte Jimmy Schulz fordert die sofortige Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Im Bundestag will er nun dafür Mehrheiten organisieren, auch mit der AfD. Statt Zensur brauche es Experten-Gerichte und Selbstkontrolle der Unternehmen

Bundesjustizminister Heiko Maas hat das NetzDG ausarbeiten lassen / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Herr Schulz, was genau stört Sie an dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von Heiko Maas?
Wir fordern die sofortige Aufhebung des NetzDG. Die Kritik hat sich schon vor einem Jahr, als die Große Koalition den Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vorgelegt hatte, sehr schnell und auf ganz breiter Front gebildet. So etwas habe ich als Netz- und Digitalpolitiker bisher noch nicht erlebt. Vom Branchenverband Bitcom über zahlreiche NGOs bis hin zu allen netzpolitischen Vereinen der Parteien gibt es seither Widerstand gegen das NetzDG, auch von cnetz, dem netzpolitischen Verein der CDU und von dem der SPD nahestehenden Verein D64.

Jimmy Schulz, FDP-Digitalexperte / picture alliance

Ihr Kollege von den Grünen, Konstantin von Notz, sagt, die jetzt aufgetauchten Probleme kämen mit Ansage.
Tatsächlich hatten viele Kritiker, die sich unter der „Deklaration für Meinungsfreiheit“ zusammengefunden hatten, schon im vergangenen Jahr das zuständige Justizministerium besucht. Wir haben damals schon alle unsere Bedenken vorgetragen. Die wurden aber offensichtlich erstens nicht gehört, zweitens nicht verstanden und drittens erst recht nicht umgesetzt.

Was ist so gefährlich daran, strafbare Äußerungen zu löschen?
Es droht die Gefahr – und wir sehen bereits wie real das ist –, dass Rechtssetzung privatisiert wird. Es ist absolut nicht unerheblich und extrem problematisch, wenn man das, was Recht und Unrecht ist, der Interpretation ausländischer Unternehmen überlässt. Zumal sich die Debatte um völlig undefinierte Rechtsbegriffe wie Hate Speech oder Fake News dreht. Hinzu kommt, dass im Gesetz völlig utopische Reaktionsfristen von 24 Stunden bis zu sieben Tagen angesetzt werden und dazu wurden noch extrem teure Sanktionsmaßnahmen geschaltet.

Was genau ist die Folge?
Wir haben in den vergangenen Tagen gesehen, dass allein die Androhung dieser heftigen Bußgelder dazu führt, dass die Unternehmen rigoros löschen.

Der Satire-Account des Titanic-Magazins war zeitweise von Twitter gesperrt worden.

Die Firmen wollen sich verständlicherweise nicht der Gefahr aussetzen, rechtliche Probleme zu bekommen. Das führt zu einem Overblocking, also einer extrem harten Zensur durch diese Unternehmen. Heiko Maas könnte nun ja sogar selbst Opfer seines eigenen Gesetzes geworden sein, weil er Thilo Sarrazin einst als Idioten bezeichnet hatte.

Wie würden Sie denn dem Problem von verbaler Gewalt auf solchen Plattformen begegnen?
Es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit einer Selbstverpflichtung der Unternehmen, gegen solche Fälle vorzugehen. Im Bereich von Filmen oder Computerspielen funktioniert das System der FSK [Anm. der Red.: Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft] und der USK [Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle] sehr gut. Aber die Durchsetzung des Rechts muss Aufgabe des Rechtsstaates bleiben und nicht die von Privatunternehmen. Zumal ich bezweifle, dass die Hunderte von Leuten, die nun von Facebook und Twitter dafür eingestellt wurden, alle eine juristische Ausbildung haben.

Privatunternehmen dürfen aber doch ohnehin selbst entscheiden, was auf ihren Plattformen stattfinden darf und was nicht.
Das ist durchaus eine Frage, die tiefgreifender beantwortet werden muss. Sind solche Firmen wie Facebook oder Twitter rein private Unternehmen oder handelt es sich dabei auch um eine Art öffentlicher Infrastruktur und sie stellen nur die Plattform dafür bereit? Das haben wir als Gesellschaft noch gar nicht abschließend diskutiert. Über diese Art nach wie vor neuer Medien brauchen wir eine Debatte.

Aber über die negativen Auswirkungen von Hass in sozialen Netzwerken wird doch seit Jahren debattiert. Ist das NetzDG nicht gerade eine Antwort darauf, dass die Rechtsdurchsetzung so schwierig ist, auch weil sich diese Unternehmen im Ausland befinden?
Es ist überhaupt kein Problem, das deutsche Recht durchzusetzen. Beleidigungen konnten auch bisher schon geahndet werden. Woran sich viele störten war, dass das im Zweifel zu lange dauerte. Dann muss man aber in den Rechtsstaat investieren und nicht in dessen Privatisierung. Es bräuchte zum Beispiel mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktgerichte, die sich mit solchen Fällen vorrangig beschäftigen und eine Expertise aufbauen können. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes, manche sagen sogar das höchste Gut in einer Demokratie. Mit der können wir nicht so larifari umgehen, indem wir löschen, wovon wir glauben, dass es vielleicht nicht rechtskonform sein könnte. Mit dem NetzDG wurde aber nun eine Art Nebenrecht geschaffen, dass zwar beschleunigend wirkt, aber Unklarheiten und Zensur schafft. Das geht nicht.

Sie hätten mit Jamaika die Möglichkeit gehabt, gemeinsam mit den Grünen das Gesetz zu verändern.
Wir haben auch jetzt noch Möglichkeiten. Eine Koalition aber nur an einer wichtigen Frage aufzuhängen und dafür andere bittere Pillen zu schlucken, wäre auch unverantwortlich gewesen.

Welche Wege wollen Sie nun gehen?
Eine Möglichkeit ist nach wie vor, im Bundestag eine überparteiliche Mehrheit zu organisieren und dann in Ruhe über ein besseres Gesetz zu verhandeln. Parallel dazu und vor allem, wenn uns das nicht gelingen sollte, wäre eine Verfassungsbeschwerde denkbar. Das ist aber vor allem deswegen äußerst schwierig, weil eine Privatperson betroffen sein und klagen müsste. Ich bin zum Beispiel bislang nicht persönlich betroffen. Man könnte aber der Argumentation etwa von Professor Hubertus Gersdorf [Anm. der Red.: Medienrechtler an der Universität Leipzig] folgen. Demnach könnte die Thematik dem Medienrecht unterliegen und das ist Ländersache. Eine Landtagsfraktion oder ein Landtagsabgeordneter könnte also klagen, dass der Bund mit seiner Gesetzgebung die Länder unrechtmäßig übergeht.

Ist es nicht absurd, ein Problem, das global im Internet zum Tragen kommt, mit Länderkompetenz kontern zu wollen?
Das ist genau eine der Grundproblematiken. Das Internet ist letztlich weder mit Landes-, noch mit nationalem Recht zu erfassen. Das Problem haben wir aber schon seit mehr als zwanzig Jahren. Der Gesetzgeber ignoriert diesen Kompetenzschwund aber, indem er solche wilden Gesetze beschließt.

Wie schnell könnte im Bundestag darüber abgestimmt werden? Die Bundesregierung kündigt an, das Gesetz zu evaluieren.
Schnell wird da gar nichts gehen. Unser Antrag liegt bei den Ausschüssen im Bundestag. Der öffentliche Druck könnte höchstens auf die Sondierungen einwirken. Aber das NetzDG scheint da nicht ganz oben auf der Tagesordnung zu stehen.

Würden Sie das NetzDG im Bundestag mit Hilfe der Grünen, aber auch mithilfe der AfD und der Linken zu Fall bringen wollen?
Wir haben da ein sehr viel deutlichere Haltung gegenüber dem Gesetz als die Grünen. Aber das sind letztlich Nuancen. Wenn die AfD und die Linken auch für unseren Antrag stimmen, wäre das nicht schlimm. Ich kann denen ja nicht verbieten, gegen das Gesetz zu sein, auch wenn die grundsätzlich eine komplett andere Haltung haben als wir.

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