#Metoo - Nicht jeder Mann ist ein Problemfall

In der #Metoo-Debatte um Sexismus und brutale Übergriffe werden ausgerechnet dort neue Gräben aufgerissen, wo längst keine mehr sind. Wir brauchen endlich eine Tonalität, die ohne Geschlechter-Bashing auskommt

#Metoo - eine wichtige Debatte mit teils fragwürdiger Tonlage / picture alliance
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Warum eigentlich debattieren wir seit Wochen erneut darüber, wie viele Frauen ganz offensichtlich Gewalt von Männern erfahren? Hatten wir nicht bereits genug #Aufschrei, nachdem sich etwa einst Rainer Brüderle zwar lobend, aber vor allem übergriffig zu dem Dekolleté einer Journalistin äußerte? Hat sich nichts geändert? Offensichtlich nicht. Unter dem Stichwort #MeToo versammelt sich dieses Mal sogar ein großer Teil der Welt und klagt an – darunter durchaus auch Männer, wie die von Schauspieler Anthony Rapp geäußerten Belästigungsvorwürfe gegen den House-of-Cards-Darsteller Kevin Spacey aktuell zeigen.

Die Vorwürfe in der Debatte um männliche Gewalt reichen von grauenhaften Vergewaltigungen und Machtmissbrauch wie durch den Hollywood-Filmproduzenten Harvey Weinstein bis hin zu dümmlich unbeholfenen Alt-Herren-Äußerungen, wie jener des deutschen Ex-Diplomaten und evangelischen Bischofs Hans-Joachim Kiderlen. Dieser hatte die SPD-Politikerin Sawsan Chebli auf einer internationalen Konferenz zunächst nicht als Staatssekretärin erkannt und dies öffentlich mit den Worten gerechtfertigt: „Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön.“ Statt den Mann direkt anzusprechen, schilderte Sawsan Chebli den Vorfall später auf ihrer offiziellen Facebook-Seite unter der Überschrift „Unter Schock - Sexismus”. Fair enough, aber zumindest kann gefragt werden, ob der Vorfall diesen öffentlichen Pranger wirklich verdient hatte. Inzwischen hat Kiderlen jedenfalls um Entschuldigung gebeten und seine „unpassende Ansprache und Begrüßung“ bedauert.

Nur ein weiterer Aufschrei ohne Folgen?

Zahlreiche Meinungsbeiträge wurden seither geschrieben. Aus vielen Gesprächen nimmt man mit, wie viel auch jenseits der Kommentarspalten diskutiert wird – ob am Arbeitsplatz in der Mittagspause mit Kollegen oder abends in der Bar mit Freunden. Aber bleibt es dieses Mal mehr als nur ein anschwellender und offenbar regelmäßig wiederkehrender Sturm der Entrüstung? Flaut er demnächst wieder ab, um dann beim nächsten Anlass wieder aufzubrausen? Dann eben unter einem anderen Stichwort/Hashtag? Oder wird sich dieses Mal wirklich etwas ändern?

Es sollte sich etwas ändern, so viel steht fest. Jeder Übergriff – und sei er nur ein als solcher empfundener – ist einer zu viel. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, als zementiere jede dieser Diskussionen gegen männliche Machtstrukturen zugleich dieselben geradezu. Mehr noch, sogar Gegen- oder auch Rückwärtsbewegungen sind wahrzunehmen. Nicht wenige Männer und auch Frauen verdrehen bei den Worten Sexismus, Mansplaining, Manspreading, Lookism inzwischen genervt die Augen. Man könne es nicht mehr hören. Von Übertreibung, ja von Hysterie ist die Rede. Woran mag das liegen?

Nicht jeder kann Sexismus-Experte sein

Vielleicht müssen wir uns alle einmal fragen, welchen Ton wir in dieser Debatte anschlagen und längst nicht nur in dieser. Selbstverständlich gibt viele wichtige Themen auf diesem Planeten. Und nein, das ist jetzt kein Relativismus. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass zum Beispiel nicht jeder alle Zeit hat, sich etwa in alle Debatten genauestens einzulesen, um sich sodann eine ausgewogene Meinung und eine für jeden passende Wortwahl zur Debatte für jeden zu bilden. Jedenfalls ist es schonmal reichlich unfair, direkt über Leute herzufallen, die nicht gänzlich im Thema stecken. Die Reaktion kann dann durchaus Abwehr sein.

Jene, die eine Debatte und eine Veränderung für einen ihnen wichtigen Bereich wünschen – und das dürfte im Fall von Sexismus die große Mehrheit von Frauen und Männern sein – sollten deshalb genau überlegen, wie sie ihre Anklagen und Forderungen formulieren und an wen sie sie eigentlich richten. Gerade im Sinne der eigenen Sache. Und nein, das heißt jetzt nicht: die armen, überprivilegierten, empfindlichen Männer wollen bitte gerne mit Samthandschuhen dort abgeholt werden, wo sie unwissenderweise stehen: etwa in den 50er Jahren. Es geht nicht um eine übertriebene Pädagogik. Aber es geht darum, fair miteinander umzugehen.

Alles richtig machen kann keiner

Sehr viele Männer verhalten sich nämlich in keiner Weise sexistisch. Nein, sie bemühen sich vielmehr darum, alles richtig zu machen. Alles kann übrigens ohnehin keiner richtig machen. Ein Satz, eine Geste mag vielleicht in einer Vorstandssitzung unangebracht sein. Ein Satz, eine Geste aber mag aber zum Beispiel im Privaten von jedem anders wahrgenommen werden. Am Ende ist das auch eine Charakterfrage. Hier gefällt ein freundschaftlicher Klaps auf die Schulter oder ein Kompliment zum Sitz der Hose. Dort ist das schon längst zu viel des Guten. Jedenfalls will selbst jemand der einen Fehler gemacht hat, nicht für die Fehler anderer in Mithaftung genommen werden. Heißt, weil zum Beispiel gerade über schlimme Exzesse in Hollywood berichtet wird, ist ein mündlicher Fehltritt hierzulande nicht die gleiche Vergewaltigungskultur”, wie es stellenweise zu lesen ist.

Einige Männer sind sich tatsächlich bewusst darüber, dass sie bestimmte Stereotype ganz unverschuldet irgendwann per Erziehung aufgenommen haben, und haben ihr Verhalten verändert. Viele Männer gibt es sogar inzwischen, die darüber gar nicht mehr nachdenken müssen, schlicht weil sie in ihrer Wortwahl, in ihrem Handeln und ihrem Verhalten gar nie unterschieden haben nach Mann und Frau, sondern schlicht nach Können oder Sympathie. Ja, Sympathie. Selbst bei komplett korrekter Einhaltung aller erdenklichen Gleichbehandlungsmaßnahmen, wird am Ende auch diese menschliche Tatsache über den gegenseitigen Umgang entscheiden. Auch das ist kein Relativismus, sondern lediglich der Hinweis, dass nicht überall Sexismus lauert, wo eine persönliche Abneigung oder Zuneigung vorherrscht.

Mehr Differenzierung bedeutet mehr Mitstreiter

Im Ton der Sexismus-Debatte werden aber gerade solche Männer immer wieder auf schuljungenhafte Art verprellt. Männer, die es ebenso schlimm finden, was Frauen widerfährt oder was ihnen vielleicht sogar selbst, vielleicht sogar von einer Frau widerfahren ist. Auch das soll vorkommen, auch wenn Statistiken klar belegen, von welchem Geschlecht sexuelle Gewalt hauptsächlich ausgeht. In solchen Debatten gehen solche differenzierten Töne aber oft unter, schlimmstenfalls werden sie sogar lediglich als „Ich hab ja nichts gegen, aber” abqualifiziert. Nicht jeder Hinweis und nicht jede Bitte um Differenzierung aber ist ein logischer Fehlschluss, oder wie man heute gerne sagt #Whataboutism.

Statistiken über den Problemfall Mann berechtigen nicht zur Gleichmacherei. Wenn etwa bestimmte Frauen und selbst Männer ernsthaft darüber diskutieren, ob sich ein Mann zu Seximus-Debatten überhaupt äußern darf; wenn Männer ihre Selbstzweifel darüber, ob sie sich überhaupt äußern dürfen, schon öffentlich kundtun müssen, dann läuft doch etwas falsch. Warum muss ein „verunsicherter Mann” denn auf so anstrengend manierierte Weise eingeladen werden, darüber zu schreiben, wie verunsichert er denn sei? Es ist schon bemerkenswert, wenn einerseits Geschlechtergrenzen gerne wegdiskutiert werden, plötzlich aber wieder ganz bewusst ebenjene aufgebaut werden.

Kein Mensch wird je so wie ein anderer fühlen

Wieso sollte sich ein Mann nicht zur Sache äußern dürfen, genauso wie eine Frau? Sicher darf man sich fragen, ob ein Mann sich je in die Befindlichkeit einer Frau hineinversetzen kann, eben weil er keine ist. Aber mal im Ernst: Kann ein Mann sich jemals ganz in die Befindlichkeit eines anderen Mannes hineinversetzen? Es ist absurd.

Manchmal hilft es, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen. Stichwort Männergrippe, wie oft sind Männer eigentlich solchen Dingen ausgesetzt, ohne dass einer aufschreit? Wer beschwert sich darüber, wenn etwa der wohl baldige österreichische Kanzler Sebastian Kurz nur zu allzu gerne mit seiner Jugendlichkeit, seinem feschen Aussehen als Wunderwuzzi oder Kinderkanzler bezeichnet wird? Man stelle es sich einmal umgekehrt bei einer Frau vor. Was geht in kleinen Jungen in der Schule vor, die immer wieder erzählt bekommen, wie viel fleißiger und strebsamer die Mädchen seien? Sie bekommen jedenfalls aufs Neue beigebracht, dass es da eben die Mädchen und die Jungen gibt, und dass die miteinander in einem absurden Wettstreit zu stehen scheinen.

Der ewig alte weiße Mann

Die Frauen und Männer, die sich echte Veränderung wünschen beim Thema Sexismus, sollten ihren Ton überdenken und nicht mit akademischer Monstranz ausgerechnet jene verschrecken, die eigentlich ganz klar auf ihrer Seite sind. Wer sich im Vokabular um Cis-Männer, Gender Mainstreaming und ähnlichen Begrifflichkeiten nicht auskennt, sollte nicht zuerst mal grundlegend als alter, weißer Mann diffamiert werden. Auch wenn die Diagnose (siehe neuer Bundestag) stimmt, dass sich strukturell an den Positionen der Macht nur wenig, wenn überhaupt etwas zu ändern scheint. Dennoch hat sich viel geändert in den Köpfen sehr vieler und zumindest diese Leute brauchen keine Einladung zur Debatte. Sie nehmen selbstverständlich daran teil. Zumindest sollten sie das.

Sicher gibt es auch eine Bringschuld. Männer und Frauen sollten nicht allzu tollpatschig ihren Senf dazugeben, sondern sich vielleicht zumindest ein wenig informieren. Bei der vergangenen Demonstration zum Weltfrauentag in Berlin aber war auch dies zum Beispiel nicht genug. Hier wurden Männer, die mit der Gleichberechtigung sympathisierten teils brüsk von Frauen eines bestimmten Platzes verwiesen, der ein sogenannter Schutzraum war. Die Männer hätten sich vorher noch besser informieren müssen und von diesem Teil der Demo fernbleiben sollen, hieß es. Garniert mit dem Hinweis, ein Bart im Gesicht zeige ja äußerst deutlich, wes Geistes Kind Man(n) sei, also jemand der Wert darauf lege, als männlicher Mann wahrgenommen zu werden.

Sucht das Gespräch und grenzt nicht selber aus

Bei allem Verständnis dafür, dass viele Frauen auf der Welt die Schnauze von so manchem Mann voll haben dürften. Verständnis erzeugt man mit solchen - zugegebenermaßen - Extrempositionen kaum. Aber auch wer solche aggressiven, gleichmacherischen Töne duldet, wird das Gegenteil von dem erreichen, was er will. Die Menschen bekommen Angst, Fehler zu machen, sie verunsichern, werden vielleicht sogar wütend und verabschieden sich zu einer eigentlich im Verschwinden gewesenen Gegenseite. Sicher braucht es zugespitzte Formulierungen in jeder Debatte, um sie überhaupt voranzubringen. Die Grenzen aber – so viel ist sicher – verliefen für viele Menschen eigentlich längst nicht mehr zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Charakteren. Jede undifferenzierte Diagnose, die das scheinbar ewig währende Mann-Frau-Schema beschwört, treibt die Geschlechter nur weiter auseinander.

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