Weltnichtrauchertag - Beim Rauchen hört der Spaß auf

Rauchen ist ungesund, das bezweifelt zum Weltnichtrauchertag wohl niemand. Aber wie ungesund? Das ist für den Verbraucher seit einer neuen EU-Richtlinie nicht mehr klar erkennbar. Damit wird eine ganze Bevölkerungsgruppe für dumm erklärt

Jeder Raucher sollte wissen, welche Stoffe er in welchen Mengen mit einem Tabakprodukt zu sich nimmt / picture alliance
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Von Jochen Zenthöfer erscheint in diesen Tagen das Buch Plagiate in der Wissenschaft - Wie „VroniPlag Wiki“ Betrug in Doktorarbeiten aufdeckt, transcript Verlag, Bielefeld, 188 Seiten, ISBN: 978-3-8376-6258-0, 19.50 Euro. Zenthöfer berichtet seit acht Jahren als Sachbuchrezensent in der FAZ. über Plagiate in Doktorarbeiten – nicht nur bei Politikern.

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Wer über Tabak schreibt, und nicht Mitarbeiter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder eines Krebsforschungszentrums ist, muss immer zuerst seine Distanz zu diesem Produkt äußern, um einen Shitstorm zu vermeiden. Anders als beim Alkohol oder bei Zuckerprodukten erntet der Raucher nach seinem Geständnis kein Augenzwinkern, sondern Abscheu und Ausgrenzung. Daher also zunächst zu meiner Person: Ich bin Nichtraucher – immer gewesen. Ich rate Jugendlichen – natürlich! – vom Rauchen ab. Tabak ist ein Produkt, das die Gesundheit massiv schädigen kann. Ich bin froh, dass in öffentlichen Gebäuden und Zügen nicht mehr geraucht werden darf. Ich will rauchfreie Restaurants und Cafés. Ich will keine Tabakwerbung im Fernsehen zu Zeiten, in denen Kinder zuschauen (also heutzutage fast immer). Ich will, dass auf Tabakverpackungen groß und deutlich draufsteht, welche gefährlichen Stoffe in welchen Mengen tatsächlich enthalten sind. 

Wo liegt die Grenze?

Aber da beginnt bereits das Problem: Denn genau das will der Gesetzgeber nicht. Tabakproduzenten dürfen auf ihre Produkte nicht mehr schreiben, was darin enthalten ist. So beispielsweise beim Teer. Teer entsteht beim Verbrennen von Tabak. Er enthält krebserzeugende Stoffe. Wie viel Teer in einer Zigarette ist, soll der Verbraucher aber nicht erfahren. Das geht zurück auf die neueste europäische Tabakrichtlinie. Dort steht, dass Angaben auf Tabakverpackungen zu Teerwerten irreführend seien. Der Grund: Sie vermitteln Verbrauchern den Eindruck, dass bestimmte Zigaretten weniger schädlich seien als andere. Und dieser Eindruck sei falsch. Das aber würden die Verbraucher nicht kapieren. Die Folge? Man streicht die Informationen ganz. 

Bei jedem anderen Lebens- oder Genussmittel kann ich mich über deren Inhaltsstoffe informieren, nicht aber beim Tabak. Dort steht jetzt: „Tabakrauch enthält über 70 Stoffe, die erwiesenermaßen krebserregend sind.“ Das will ich keineswegs bezweifeln. Doch gibt man bei Google „krebserregende Lebensmittel“ ein, enthält man Warnungen vor: (1) Wurst, (2) Erfrischungs- und „Light“-Getränken, (3) raffiniertem Mehl (wird mit einem 220 Prozent erhöhten Risiko für Brustkrebs in Zusammenhang gebracht), (4) weißem Zucker (Kekse, Kuchen, Getränke, Saucen), (5) hydrierten Ölen, (6) industriell produziertem Obst und Gemüse (98 Prozent enthalten schädliche Pestizide, die krebserregend wirken. An erster Stelle stehen Äpfel, danach Trauben, Erdbeeren, Koriander und Kartoffeln). Der Stern schreibt: „Auch viele natürliche Lebensmittel oder verarbeitete Produkte sind wahrscheinlich oder möglicherweise Krebs auslösend. Dazu zählen etwa Reis, Fisch und Schokolade.“ Auf all diesen Produkten habe ich bisher noch keine Krebswarnung ausmachen können. Weshalb? Weil dort weniger als 70 Stoffe enthalten sind, die krebserregend sind? Vielleicht nur 50 oder 10 oder 2? Wo ist die Grenze, ab wann gewarnt wird? Und was passiert mit Tabakprodukten, die unter diese Grenze geraten? Müssen die dann keine Schockfotos mehr auf ihrer Verpackung zeigen?

Auf die Menge kommt es an

Ich habe verstanden: Tabakkonsum kann sehr gesundheitsschädlich sein. Deshalb werde ich davor gewarnt. Eine Wanderung in Süddeutschland kann aber auch sehr gesundheitsschädlich sein (Zecken!). Die bei manchen Leuten obligatorische Flasche Wein am Abend kann sehr gesundheitsschädlich sein (auf der Weinflasche wird lediglich gewarnt: „Enthält Sulfite!“; keine Schockfotos). Manche Sportarten können sehr gesundheitsschädlich sein (wie oft war Manuel Neuer jetzt schon am Fuß verletzt?). Der Besuch von Musikbars kann gesundheitsschädlich sein (Tinitus!). Büroarbeit kann gesundheitsschädlich sein („Sitzen ist das neue Zucker“). Leben an einer Hauptverkehrsstraße kann gesundheitsschädlich sein (Feinstaub!). Der Job als Vater kann gesundheitsschädlich sein (Schlafmangel!). Kinderspielzeug kann gesundheitsschädlich sein (Weichmacher!). Computerspiele können gesundheitsschädlich sein (Bewegungsmangel!). Vitaminpillen können Krebs fördern („Einige Vitamine fördern Krebs, nur wird das gerne ignoriert“, heißt es in der Apotheken Umschau vom 1. Mai 2016). Alles im Leben kann gesundheitsschädlich sein, es kommt halt auf die Menge an. Aber wie groß die Menge an Teer in einem Tabakprodukt ist, darf ich nicht wissen. Das könnte mich verwirren.

Ein Verbot verhindert nicht das Verlangen

Die Tabakindustrie sagt: Tabak ist ein legales Produkt. Man muss es produzieren, bewerben und verkaufen können. Andernfalls sollte man es verbieten. Ich finde das Argument gar nicht so dumm. (Okay, die Tabakindustrie sagt nicht, wie gefährlich ihr Produkt ist. Stimmt. Aber das sagen die ganzen anderen Hersteller und Anbieter – siehe oben – auch nicht.) Wenn es der Staat ernst meinte, müsste er Tabak verbieten. Es gibt genug Mittel, die verboten sind, wieso nicht der Tabak? Weil es so ausgehen würde wie die Prohibition? Wegen 14 Milliarden an Einnahmen aus der Tabaksteuer?

Ich vermute einen anderen Grund: Ein Tabakverbot würde nicht das Verlangen von Menschen nach Genuss beenden. Die „Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen“ schreibt, dass etwa 50 bis 60 Prozent der Raucher abhängig sind (Tabak – Basisinformation, gefördert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, 9. Auflage, Hamm 2017, 17). Daraus lese ich im Umkehrschluss: Etwa 40 bis 50 Prozent der Raucher sind nicht abhängig und folglich Genussraucher, die jederzeit das Rauchen beenden könnten, es aber nicht tun oder wollen.

Tabak sollte als legales Genussmittel behandelt werden

Bei Genussrauchern fehlen Studien, wie diese Personen im Falle eines Tabakverbots ihren Genuss substituieren würden. Naheliegend wäre ein Wechsel zu anderen Genussstoffen wie Alkohol. Möglicherweise würde aber auch zu Kokain gewechselt. Kokain gehört zu den illegalen Drogen, das sind die unreguliertesten und am wenigsten überwachten Genussmittel des Landes. Jeder Mist kann als Kokain verkauft werden. Tabak dagegen ist das am meisten überwachte und am höchsten regulierte Genussmittel in Europa. Ein Verbot würde Tabak (extreme Kontrollen) auf die gleiche Stufe wie Kokain stellen (null Kontrollen). Kubanischen Pfeifentabak gäbe es dann nicht mehr aus überwachten bayerischen Manufakturen, sondern von zwielichtigen Gestalten auf der Straße. Es hat – aus Sicht des Gesetzgebers – also einen Sinn, Tabak legal zu halten. Dann konkurriert es als legales Genussmittel mit anderen legalen Genussmitteln. Und sollte auch so behandelt und reguliert werden. Auch dabei, welche Angaben auf einer Verpackung angegeben sein müssen. 

Jeder Genussraucher sollte wissen, welche Stoffe er in welchen Mengen mit einem Tabakprodukt zu sich nimmt – genauso, wie der Weintrinker den Alkoholgehalt nachlesen kann und der Pralinenfreund die Zuckermenge. Bei Pfeifentabak darf aber nicht mehr einmal mehr draufstehen, ob er nach Cherry, Rum oder Marple schmeckt. Weshalb? Um Suchtraucher zu schützen? Wer aber bitte raucht Pfeife, wenn nicht ein Genussraucher? Das ist das nächste Problem der Tabakregulierung: Produkte werden in einen Topf geworfen, obwohl sie sich an unterschiedliche Personenkreise wenden. 

Raucher sind erst der Anfang

Der europäische Gesetzgeber hält den Raucher generell für dumm. Das ärgert mich. Nicht weil ich Raucher wäre, sondern weil ich es gefährlich finde, wenn man eine ganze Gruppe von Menschen für dumm erklärt. Wenn das einmal begonnen hat, wird es Schule machen. Als nächstes sind die Schleckermäuler dran, dann die Weintrinker, schließlich die Dieselfahrer, danach Flugreisende, später Sportler gefährlicher Sportarten (wie Fußball). Jetzt ist es nur das Verbot, die Inhaltsstoffe von Tabak benennen zu dürfen.

Okay: Das ist ein vermeintlich harmloses Verbot und lediglich eine geächtete Personengruppe betreffend. (Raucher sind das einfachste Opfer, auf das wir uns alle einigen können. Noch besser als die Gruppe jener Menschen, die Tiere schächten.) Uns Nichtraucher mag all das in hämischer Verbundenheit freuen oder einfach egal sein. Doch der Damm ist gebrochen und beim übernächsten Mal sind wir vielleicht selbst betroffen. Dann hört der Spaß auf. Doch dann ist es zu spät.
 

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