Wahlmanipulation per Facebook? - „Die Technologie ist längst nicht so gut, wie behauptet wird“

Der Bericht eines Magazins sorgt in den Sozialen Netzwerken für Aufruhr: Facebook-Daten und 220 Millionen Persönlichkeitsprofile sollen Trump zum Sieg bei den US-Wahlen verholfen haben. Der Big-Data-Experte Thomas Ramge bezweifelt den Einfluss der Methode

Wie groß ist die Macht von Big Data in Wahlkämpfen? / picture-alliance
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Lena Guntenhöner ist freie Journalistin in Berlin.

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Herr Ramge, was halten Sie von den Veröffentlichungen, die Wählerbeeinflussung, sogenanntes Voter Targeting, per Facebook für den Erfolg von Donald Trump und auch den Brexit verantwortlich machen? Hysterie und Verschwörungstheorie à la Orwells „1984“ – oder doch Realität?

Per se ist das erst einmal ein Lehrstück dafür, wie ein in der Tat erzählerisch sehr guter Text für unfassbar viel Wirbel sorgt, obwohl er sehr einseitig und zugleich naiv ist. Die Autoren haben für die Wirksamkeit des beschriebenen Ansatzes zwei Quellen: den Wissenschaftler, der die Grundlagen dieses Modells gelegt hat, und den Chef der Firma, der die Leistung verkauft. Das ist natürlich journalistisch zweifelhaft. Viel beeindruckender ist aber, wie hektisch, eingeschüchtert und gutgläubig die Facebook- und Twitter-Gemeinde diesen Artikel für bare Münze nimmt und weiterverbreitet. 

Sie sagen, der Text sei einseitig. Was müsste denn noch gesagt werden?

Zumindest müsste im Text deutlicher gemacht werden, dass die Kernthese auf Behauptungen baut, nicht auf offen gelegte Daten. Wenn ich aber im analytischen Bereich über Wirksamkeit rede, dann sollte ich die nicht nur behaupten, sondern auch zeigen. Das ist ja nun gerade der Witz an datenbasierten Anwendungen.

Sie haben aber doch genausowenig Einsicht in die Daten. Woran machen Sie fest, dass Cambridge Analytica nicht so gut ist, wie behauptet wird?

Moment: Nicht der Leser des Textes ist in der Beweispflicht. Ich werde aber immer skeptisch, wenn Analytik-Tools als Wunderwaffen dargestellt werden. Wenn die psychografische Vermessung des Einzelnen mit Facebook-Daten so großartig funktioniert, warum ist dann die Werbung, die wir auf Facebook erhalten, so unpassend? Da tauchen doch dauernd Produkte auf, die wir schon längst gekauft haben oder die nun wirklich überhaupt nichts mit uns zu tun haben. Eine logische Schlussfolgerung wäre: Facebook ist zu doof, mit den eigenen Daten intelligent Werbebotschaften auszuspielen. Das kann nur die Wunderwaffe von Cambridge Analytica. Ich fürchte, das überzeugt mich nicht. Auch viele Selbstversuche mit dem öffentlich zugänglichen psychometrischen Tool zeigen übrigens, dass die Maschine, die unseren Charakter angeblich so gut einschätzen kann, über ausgesprochen wenig Menschenkenntnis verfügt. Der Münsteraner Marketing-Professor Thorsten Hennig-Thurau hat seine Facebookdaten durch das Tool gejagt. Die Maschine hält ihn für einen Single, obwohl seine Frau ebenfalls auf Facebook aktiv ist. Und sie schätzt ihn als introvertiert ein, was unter seinen Freunden und Bekannten für große Heiterkeit gesorgt hat. Hennig-Thurau postet in etwa drei Selfies am Tag.  

Ist es also ganz unmöglich anhand von Facebook-Likes ein Persönlichkeitsprofil von jemandem zu erstellen?

Natürlich kann man grundsätzlich aus einem ausreichenden Datensatz herauslesen, was in etwa die Interessen, Bedürfnisse, politischen Neigungen oder andere Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen sind. Das ist auch mit immer höherer Trefferwahrscheinlichkeit möglich. Aber die analytischen Tools sind  noch lange nicht so gut, wie viele Online-Marketing Fachleute behaupten. Analytics ist ein aufwändiges und mühsames Geschäft. Wir haben hier den klassischen Fall, dass Big Data als Zauberformel verkauft wird, von Leuten, die Big Data verkaufen wollen. In dem Fall war es einfach so, dass es wahnsinnig gut in das Weltbild von vielen gepasst hat, zu sagen: Jetzt habe ich endlich eine einfache Erklärung für den Erfolg von Trump gefunden. 

Es wurde vor allem die Schuld bei Cambridge Analytica gesucht. Facebook trägt keine Verantwortung?

Die Frage nach der Schuld trifft nicht den Kern. Schuld setzt voraus, dass alles stimmt, was die da schreiben. Die Frage ist: Wie gut funktioniert datenbasiertes Marketing? Wenn wir über Schuld reden, kann man auch sagen, jeder ist selbst Schuld, der Mitglied bei Facebook ist und da irgendetwas postet oder liked. 

Wäre so etwas auch bei uns denkbar?

In den USA gibt es in der Tat einen lebhaften Handel mit persönlichen Daten. In Deutschland ist dieser Handel eingeschränkt. Unternehmen dürfen Daten nur dann nutzen, wenn es mit den allgemeinen Datenschutzrichtlinien konform geht und zweitens, wenn man der Weitergabe der Daten zugestimmt hat. 

Oft geschieht das aber doch gar nicht bewusst oder das ganze Ausmaß der Entscheidung wird nicht gesehen.

Ja und nein. Wir stimmen den AGBs zu ohne sie uns anzuschauen und verlieren den Überblick, wer Zugang zu welchen Daten von uns hat. Auf der anderen Seite verstehen immer mehr Menschen das grundsätzliche Problem: Viele digitale Dienste sind nur möglich, wenn wir Daten teilen. Der reißerische Artikel hat insofern einen positiven Effekt: Weil dieser Artikel so viel gelesen wurde, findet ja ein Lernprozess statt, hin zu einer differenzierten Haltung zu Daten und der Perspektive: Ja, wir geben auf Facebook ziemlich viel preis von uns. Aber lasst uns doch bitte nicht allzu naiv auf die Selbstdarstellung einer Online-Kampagnen-Agentur reinfallen, die behauptet: „Wir sind die Königsmacher und sonst keiner!“   

Ich finde die Vorstellung schon etwas unheimlich, dass jemand, den ich nicht kenne, so viel von mir weiß. Haben Sie keine Angst, dass das in falsche Hände gerät?

Seriöse Unternehmen verwenden Daten nicht gegen die Kunden. Sie optimieren ihre Produkte und die Kundenansprache zum beiderseitigen Vorteil. Ganz interessant finde ich zudem, dass Obama vor acht Jahren den ersten großen digitalen Wahlkampferfolg erzielt hat. Das wurde in Deutschland mit einer positiv-bewundernden Haltung zur Kenntnis genommen. Jetzt hat derjenige gewonnen, der nicht ins Weltbild passt. Auch Trump hat offenkundig geschickt Online-Campaigning betrieben. Aber dann ist es eine Verschwörung. Beides ist unsinnig. 

Also ist Online-Campaigning keine unzulässige Art der Wählermanipulation?

Nein, du hast ein Produkt, in diesem Fall einen Politiker, und spielst den Wählern die Botschaft zu, bei der du davon ausgehst, dass sie am stärksten die Wahlentscheidung beeinflusst. Was soll daran nicht legitim sein, so lange keine Gesetze verletzt werden? Die Beeinflussung von Entscheidungen ist die Aufgabe von Werbung. Aus der Vielzahl der Botschaften und der Quellen eine hoffentlich umfassend informierte Entscheidung abzuleiten, ist die Aufgabe des Bürgers.  

Sind wir überhaupt so willenlose Wesen, wie es uns das Voter Targeting suggeriert?

Die Fähigkeit eines Tools, Menschen zu manipulieren, nimmt immer dann ab, wenn die Person merkt, dass sie gerade manipuliert werden soll. Man darf die Menschen, und auch die Trump-Wähler, nicht für so dumm halten, dass sie nicht merken, dass sie gerade Werbung zugespielt bekommen. Und auch gezielte Werbung ist in anderen Kontexten ganz normal. Das ist ja überhaupt nichts Illegitimes. Das versucht Werbung schon immer. In der Sportschau läuft ja im Werbeblock auch Werbung für Bier, Autos und Baumärkte, weil das zur Zielgruppe der Sendung passt. Zudem gilt für Werbung stets: Abnutzungseffekte sind eingebaut. Eine überraschende, neue Methode hat kurzfristig eine höhere Wirkung. Mit der Zeit wird auch das neue Werkzeug stumpf. 

Wie wird die Wahlwerbung der Zukunft aussehen?

Je besser die Datengrundlage, je besser das Verständnis der Einzelperson, desto genauer kann man passende Botschaften zuspielen. Das ist eine Entwicklung, die sich fortsetzt. Und die wird irgendwann zumindest annäherungsweise an die Grundversprechen von Big-Data-basierter Kommunikation herankommen, nämlich in der Zielgruppe des oder der Einzelnen, passende Inhalte zu liefern. Werden wir deshalb zu Sklaven individueller Werbung? Ich denke nicht. Wir sind und bleiben in sozialen Kontexten schlauer als die Big-Data-Maschine. 

Thomas Ramge ist Technologie-Korrespondent des Magazins „brand eins“ und Contributing Editor von „The Economist“. Er hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, darunter die Wirtschaftsbesteller „Data Unser“ und „Smart Data“. Zuletzt erschien von ihm „Wirtschaft verstehen mit Infografiken“ (zusammen mit Jan Schwochow).

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