Verschwörungstheorien - Das ganze Leben nur eine Show?

Vor 20 Jahren kam der Film „Die Truman Show“ in die Kinos. Er traf den damaligen Zeitgeist und ist aktuell geblieben. Zwischen Echtem und Gemachtem zu unterscheiden, fällt uns im Zeitalter der Digitalisierung immer schwerer

Jim Carrey spielte die Hauptrolle im Film „Die Truman Show“: Truman Burbank / picture alliance
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Autoreninfo

Jöran Klatt ist Politik- und Kommunikationswissenschaftler. Er hat am Göttinger Institut für Demokratieforschung gearbeitet und ist Mitglied der Redaktion von INDES-Zeitschrift für Politik und Gesellschaft.

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Verschwörungstheorien sind dieser Tage en vogue: Leiten dunkle Geheimbünde oder Außerirdische tatsächlich die Geschicke auf der Welt? Versprühen Regierungen Chemtrails, um das Denken der Bevölkerung zu beeinflussen? War die Mondlandung nur geschauspielert? Wer derartige Fragen stellt, hat in der Regel oft das Gefühl, von der Wahrheit ausgeschlossen zu sein. Vor genau 20 Jahren erschien der Film „Die Truman Show“ (1998) mit Jim Carrey in der Hauptrolle – der diese Empfindung äußerst treffend auf den Punkt brachte. Auch heute noch haben viele Menschen das Gefühl, in einer Art „Truman Show“ zu leben. In der Psychologie wird das als „Truman-Show-Wahn“ bezeichnet.

Zur Erinnerung hier die Geschichte des Films: Als der Versicherungsangestellte Truman Burbank auf dem Weg zur Arbeit ist, fällt vom Himmel ein Scheinwerfer auf die Straße. Nach und nach wird Truman bewusst, dass es sich bei seinem Leben um den zentralen Gegenstand einer gigantischen Fernsehproduktion handelt. In ihr wird jeder seiner Schritte verfolgt und in einem ununterbrochenen Big-Brother-Format in die Welt ausgestrahlt. 

Die Wahrheit hinter der Wahrnehmung

Das Sujet der Truman Show könnte man am ehesten Konstruktivismus-Horror nennen. Der Begriff beschreibt die erschreckende und kränkende Vorstellung, vom sinnlich erfahrbaren Raum der Realität ausgeschlossen zu sein. Die Philosophie kennt Szenarien wie im Film seit Platons Höhlengleichnis. Die Idee, dass der Mensch über eine eingeschränkte Wahrnehmung verfügen könnte, es eine Wahrheit hinter der Wahrnehmung geben könnte, ist also beileibe nicht neu.

Doch spätestens in den achtziger Jahren gewannen derartige Gedanken eine neue Qualität. Der Philosoph Jean Baudrillard erkannte, dass die Welt auch durch die digitalen und visuellen Medientechnologien in ein „Zeitalter der Simulation“ eintrat. Das Literaturgenre Cyberpunk trieb in dieser Hinsicht Gedankenspiele über die nahe Zukunft auf die Spitze, und so entstand die Idee des „Cyberspace“. Die Idee eines Raumes, der zwar künstlich, aber so täuschend echt ist, dass wir ihn nicht mehr aus eigener Kraft von der Realität unterscheiden können.

Was Baudrillard und der Cyberpunk antizipierten, war eine Welt der omnipräsenten Medien, in denen es für das Individuum immer schwieriger wird, zwischen dem Echten und dem Gemachten zu unterscheiden. Medienpräsenz und die Planung die Selbst-Inszenierung gehören inzwischen zum selbstverständlichen Repertoire der Erfolgsrezepte: Und so erinnert die Figur des Regisseurs Cristof, der Antagonist Trumans, heute vor allem auch an visionäre Unternehmer wie Steve Jobs, Mark Zuckerberg oder Elon Musk. In einer Szene der Truman-Show zählt Cristof die Erinnerungen in Trumans Leben auf, die das Publikum verfolgt hat: erste Schritte oder ein ausgefallener Zahn. Zwar hat nicht jeder so viele Zuschauer wie Truman, aber auch die Generation-Facebook stellt ihre Erinnerungen der Allgemeinheit der Verfügung. 

Das Bedürfnis nach Anerkennung

Die Truman-Show ist nur ein Beispiel für den Erfolg dieses Sujets um den Jahrtausendwechsel. 1999 erschien mit „Matrix“ eine äußerst erfolgreiche Verfilmung zentraler Gedanken des Cyberpunks. Ist die Welt, in der wir zu leben glauben, vielleicht nur eine Simulation wie in „Matrix“, erschaffen von Maschinen? In M. Night Shyamalans Film „The Village“ (2004) kreiert der Geschichtsprofessor Edward Walker ein Dorf, in dem er den Zeitraum des 18/19. Jahrhunderts wiederauferstehen lässt. Ein Teil der Bewohner wächst dort wie Truman auf. Das Dorf ist umgeben von einer riesigen Mauer, und den Bewohnern wird zusätzlich suggeriert, dass außerhalb davon Monster lebten, die jeden bestrafen würden, der versucht, es zu verlassen. 

Der Konstruktivismus-Horror ist seinem Wesen nach erschreckend und wirkt paranoid. Und dennoch ist er metaphorisch ein treffender Ausdruck des damaligen Zeitgeists. Bis heute hat er von seiner Aktualität nichts verloren. Gleichzeitig ist er oft narzisstischer Natur. Schließlich ist Truman ein Star, ohne es zu wissen. Der Truman-Show-Wahn deutet also auch auf ein tiefes menschliches Bedürfnis nach Anerkennung und Geltung hin. Und das in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen in unserer wettbewerbszentrierten Gesellschaft überflüssig fühlen. Was wäre man eigentlich lieber: unbedeutend, entbehrlich oder Truman?

Verschwörungstheorien fördern Egozentrismus

Gleichzeitig bieten Verschwörungstheorien aber auch Halt. Denn einerseits geben sie einer komplexen Welt Struktur und Kausalität. Egal, ob man sich als eine Art Truman versteht oder einfach nur als einen Menschen, der nichts mitbestimmen darf. Andererseits ermöglicht es die Verschwörungstheorie, aus der Masse hervorzustechen. Wer sich im Besitz des Wissens um die wahren Hintergründe wähnt, kann sich ein Stück weit über die Schar der Unwissenden und Zufriedenen erheben. Die Art der Theorien hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Während im Dorf noch Hexen und Zauberer die Schuldigen waren, sind in es in modernen städtischen Verschwörungstheorien reiche Familien oder noch immer Juden.

Die Politikwissenschaftlerin Jodi Dean bemerkt in ihrem Buch „Aliens in America“, dass sich dabei gerade die Anhänger von Ufo-Glauben und Verschwörungstheorien einer oft rational-wissenschaftlichen Sprache bedienen. Während es umgekehrt die Vertreter der weithin anerkannten Lehrmeinungen sind, die im Frust über die alternative Faktenwelt in einen autoritären Stil verfallen. Verschwörungstheorien, Ufos und Fabelwesen finden sich in den Kanälen der sozialen Netzwerke und digitalen Medien wieder. Ausgerechnet von diesen Medien wurde einst Aufklärung und mehr Wissenschaftlichkeit erwartet.

Gibt es Realität ohne Fiktion?

Doch Kritik und Widerspruch scheinen die Gläubigen noch mehr zu bestätigen. Der Widerstand gegen den Mainstream dient ihnen eher als Motivation denn als Anstrengung. Verschwörungstheorien und der Rechtspopulismus dieser Tage gehen daher oft eine synergetische Beziehung ein. Denn auch die Neuen Rechten sehen sich nicht selten durch den „Galileo-Gambit“ genannten Fehlschluss bestätigt. Das heißt, sie glauben allein dadurch im Recht sein zu müssen, weil man in Opposition zu allgemein anerkannten Lehrmeinung steht – genauso wie Galileo. Die Mauer aus „The Village“ erinnert daher auch heute an sehr reale Mauern in den Köpfen. 

In „Matrix“ wird dem Protagonisten Neo die Wahl gegeben, ob er in einer solchen Simulation, in dem Glauben sie sei die Realität, verweilen oder in die Realität hinter der Simulation ausbrechen möchte. Symbolisiert wird dies durch eine blaue Pille für die Fiktion oder einer roten für die Realität. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek fragt zu dieser Szene kritisch, ob nicht auch diese Realität wieder nur eine Illusion aus symbolischer Ordnung, Erzählungen und Ideologien sei. Vielleicht ist die Realität ja gar nicht ohne Fiktion zu haben?

Auch Truman hat die Wahl: Will er die Hauptrolle einer Fernsehshow bleiben oder in der realen Welt leben? Und wer den Film 20 Jahre nach seinem Erscheinen noch nicht gesehen hat, sollte herausfinden, ob die Scheinwelt ihn halten kann oder nicht.

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